Club Berghain wird zur Kunst: Arty-Party in Zeitlupe
Eigentlich ist Berlin im Sommerloch. Dummerweise drängten sich alle Dagebliebenen in der Schlange vor dem Berghain, wo eine Kunstausstellung eröffnete.
Wie dämlich kann man sein. Da dachte man: Ach, so mitten im August, da ist doch kein Schwein in der Stadt. Das dachte man, weil man in eine andere Lebensphase eingetreten ist, plötzlich viele Leute mit Kindern kennt und die im Sommer aus der Stadt weg sind. Die Kitas sind ja zu, und jeden Tag Prinzenbad-Schlamm, das hält man nicht aus. Deswegen raus. Kaum zurück: Kurzschluss im Hirn. Ach, das Berghain wird zehn. Wie nett. Startet die Jubiläumsfeierlichkeiten mit einer Ausstellung. Könnte man ja mal vorbeischauen, ein bisschen Norbert-Bisky-, Carsten-Nicolai- und Sven-Türsteherlegende-Marquart-Kunst kucken, ist ja eh kein Schwein in der Stadt.
Solcherart naive Übertragung eigener temporärer Lebensverhältnisse auf den Rest der Menschheit wird zu Recht bestraft. Mit der Geißel der niemals schlafenden, niemals aus der Stadt in österreichische Streichelzoos fliehenden Arty-Party-Crowd: der Schlange. Sie reichte nicht nur vom Zaun zum Haupthaus, nein, auch noch links ums Eck, an der Kantine vorbei, bis ganz nach hinten zum Eingang der Halle am Berghain. Satte zweihundert Meter in Zeitlupe vorrückende Menschenmasse. Wegen einer Installation aus gesammeltem Clubgänger-Pipi, in das man mit heiligem Schauer die Alkohol-Ecstasy-etc.-Potenz hineinimaginieren darf.
Wir sind dann wieder aufs Hollandrad gestiegen. Es reicht auch, im Onlineangebot der New York Times über das Pipi zu lesen.
Auf der Revaler Straße fragen uns junge Frauen, ob es das Rosi’s noch gebe. Vor drei Jahren, als sie Abi gemacht hätten, war es doch noch da. Wir suchen das Rosi’s auch. Vor fünf Jahren, als wir dort Mumford and Sons haben spielen sehen, war es doch auch noch da. Gemeinsam finden wir es, demütig geduckt im Schatten eines von den Guidelines internationaler architektonischer Urbanität geprägten Luxusneubaus.
KIRSTEN RIESSELMANN
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