Claudius Prößer hat Paris in Coronazeiten besucht: Kein Korn mehr für Kalayci
Reisen erweitert bekanntlich den Blick. Das trifft auch in Coronazeiten zu: Der Blick über den Tellerrand zeigt, wie andere mit der Krise umgehen oder was sie besser machen. Er kann aber auch verdeutlichen, wo und wie die menschliche Natur der Eindämmung des Risikos im Weg steht, und vielleicht lässt er sogar die nahe Zukunft hierzulande erahnen.
Die Rede ist hier nicht von Touren in Risikogebiete, sondern von einem banalen Paris-Trip. An etlichen Details wie auch im Verhalten der Menschen zeigt sich, dass die Metropole an der Seine im Frühjahr viel stärker vom Virus geschlagen war als Berlin. Vielleicht aber auch, dass die Behörden dort einfach beherzter handeln.
So wurde etwa an jedes Buswartehäuschen ein formschöner Desinfektionsmittel-Spender geschraubt, und meistens ist auch etwas drin. Kein Supermarkt, kein Museum, kein Secondhand-Klamottenladen dürfen betreten werden, ohne sich die Hände mit dem bereitstehenden Mittel zu benetzen. Und nicht nur ist in der Métro die Maskendisziplin weit höher als bei der BVG – nicht wenige lassen den Mund-Nasen-Schutz auch auf der Straße an.
Beim Abstand ist man dagegen weniger streng. Einerseits wird ganz offiziell nur ein Meter – statt anderthalb – vorgegeben, andererseits lieben die PariserInnen die Geselligkeit dann doch zu sehr: Sie ballen sich vor den Bistros und Cafés – sofern die im Coronasommer geöffnet sind –, und wenn auf der Place de la République an einem heißen Abend Hunderte Bachata tanzen, schaut die Polizei erst mal zu und wippt mit dem Fuß.
Insofern kommt es nicht ganz überraschend, dass seit Montag auf vielen Einkaufs- und Ausgehstraßen, unter anderem an den innerstädtischen Seine-Ufern, Maskenpflicht im Freien herrscht. Eine ziemlich heftige Maßnahme, gerade bei brütender Hitze. Aber die Infektionszahlen steigen eben schon wieder deutlich.
Zurück in Berlin hat Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) – deren Kommunikationsstrategie man zuletzt als dürftig beschreiben musste – endlich mal wieder ein großes Interview gegeben. Und sich besorgt über die Laxheit geäußert, die Bewirtende und Bewirtete bei den Abstands- und Informationsauflagen in der Gastronomie an den Tag legen. Werde das nicht besser, finde sie es „inzwischen auch richtig, über ein Alkoholverbot nachzudenken“.
Vielleicht möchte sich Kalayci, die nach den Wahlen aus der Berliner Politik ausscheidet, noch ein paar Lorbeeren als Hardlinerin verdienen. Gleich die Prohibition einführen zu wollen, damit schießt sie deutlich übers Ziel hinaus. Damit, dass vor Gaststätten, aber auch Spätis Nacht für Nacht auf alle virologischen Mahnungen gepfiffen wird, hat sie aber recht.
So unpopulär es gerade ist: Senat und Bezirksämter müssen endlich wieder Verantwortung übernehmen, Tische auseinanderrücken lassen, Gruppen zerstreuen. Sonst wird’s am Ende noch bitterer: für die Erkrankten und fürs Gewerbe auch.
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