Christy Halls Film-Debüt „Daddio“: Brave Mädchen sagen „Danke“
Christy Halls Debüt über eine Taxifahrt in New York verspricht tiefgründige Dialoge. Doch der Film reproduziert nur Geschlechterstereotype.
Wie wohltuend konzentriert das Konzept dieses Debüts doch klingt. Zwei Menschen treffen aufeinander, in einer alltäglichen Situation, aus der etwas Besonderes entsteht: Eine junge Frau nimmt sich ein Taxi, um des Nachts vom Flughafen „JFK“ in das Zentrum von Manhattan zu gelangen. Was folgt, ist keine anonyme Stille zwischen Fahrgast und Fahrer, sondern ein ausgiebiges Gespräch über nichts Bestimmtes und doch alles, was von Belang ist.
Mehr soll in „Daddio“ nicht geschehen, womöglich ist das aber bereits sehr viel. Wie Jim Jarmuschs atmosphärischer Film „Night on Earth“ über fünf nächtliche Fahrten in fünf verschiedenen Weltmetropolen zeigte, kann das Taxi schnell zur Welt in der Welt werden, in der sich die darin befindlichen, einander eigentlich fremden Menschen mit einer Offenheit begegnen, wie sie außerhalb kaum möglich erscheint. Die erste Regiearbeit von Christy Hall verheißt, so könnte man meinen, nicht weniger denn tiefschürfendes Dialogkino.
Dabei bestanden bereits vorab leichte Zweifel, ob derlei Hoffnungen auf präzise menschliche Beobachtungen und den Zauber des Zufalls, wie er nur bei unverhofften Begegnungen entsteht, gänzlich erfüllt werden: Bringt Dakota Johnson das nötige Charisma mit, diesen Film zu tragen? Mit Charakterrollen hat sich die durch die Erotikschmonzette „Fifty Shades of Grey“ bekannt gewordene Schauspielerin bislang nicht hervorgetan, der Spott für ihre Rolle in Marvels bislang seelenlosestem Kommerzstreifen „Madame Web“ ist noch nicht verhallt. Auch dass ihr männlicher Gegenpart, Sean Penn, mit Musketier-Bart wie die schmierige Karikatur eines mittelalten Mannes aus der Arbeiterschicht wirkt, war schon auf den Filmplakaten zu erkennen.
Ein filmischer Totalausfall
„Daddio – Eine Nacht in New York“. Regie: Christy Hall. Mit Dakota Johnson, Sean Penn u. a. USA 2023, 101 Min.
Nichts aber hätte den filmischen Totalausfall erahnen lassen können, als der sich „Daddio“ schließlich entpuppt. Allein schon deswegen, weil man sich in einer gewissen Sicherheit wähnen konnte, dass es derlei Filme, zumindest in dieser Größenordnung, eigentlich gar nicht mehr gibt.
Es dauert nicht lange, ehe eine vage bedrohliche Atmosphäre im Taxi entsteht, nachdem die namenlos bleibende junge Frau mit der wasserstoffblonden Bobfrisur die Tür hinter sich zugeschlagen hat. Sie zückt ihr Smartphone und zögert, bevor sie einem lediglich als „L.“ eingespeicherten Kontakt per Kurznachricht Bescheid gibt, dass sie gelandet ist.
Dafür, dass sie ihr Handy schnell wieder wegsteckt, weht das erste paternalistisch angehauchte Lob aus der Fahrerkabine zu ihr herüber. Clark, so der Name des Fahrers, der sich gerade noch über schnödes Plastikgeld und ausbleibende Trinkgelder, die zunehmende Digitalisierung und abnehmenden zwischenmenschlichen Kontakt ausließ, findet es nämlich toll, dass sie nicht dauernd am Handy hängt. Sowieso könne er sie recht gut lesen, schwadroniert er weiter. So zielstrebig wie sie in sein Fahrzeug eingestiegen sei, sowieso ihre ganze Art sage ihm: Das ist eine Frau, die klarkommt!
Ein wahres Musterbeispiel für „Mansplaining“
Wirklich lange bleibt das Smartphone dann nicht in der Tasche, denn es hagelt Nachrichten. Wie schön sie sei, kann das Publikum mitlesen, und: „Ich brauche dich.“ Als sie ihrem Kontakt ankündigt, dass sie ihn heute nicht mehr besuche, dass es spät und sie müde sei, werden die Mitteilungen obszöner. „Steck das Smartphone zwischen deine Beine. Hilf mir abzuspritzen“, geht es weiter. Sichtbar genervt legt sie das Handy wieder aus der Hand, worauf der Redeschwall in der analogen Welt weiter auf sie hereinprasselt.
Woher sie komme (aus Oklahoma), wie lange sie schon in New York wohne (neun Jahre), was ihr Beruf sei (Programmiererin), will der Mann am Steuer wissen. Und das „Mädchen“ auf der Rückbank (Dakota Johnsons Rolle wird im Abspann doch tatsächlich als „Girlie“ gelistet) gibt brav Antwort.
Unaufgeforderte anzügliche Nachrichten, eine unangenehme Taxifahrt: Vieles von dem, was Christy Hall schildert, dürfte nahezu jede Frau bereits einmal erlebt haben. Anlass zur Aufregung gibt nicht die Situation, die „Daddio“ heraufbeschwört. Wohl aber die Art, wie die weibliche Protagonistin, allen voran ihre Reaktion auf das übergriffige Verhalten der beiden Männer, gezeichnet wird. Umso mehr, als dass sich die weitere, durch einen langen Stau gehörig in die Länge gezogene Fahrt nicht anders als ein wahres Musterbeispiel für „Mansplaining“ der besonders unerträglichen Ausprägung beschreiben lässt, begleitet von einer Menge misogyner Entgleisungen.
Als der „Menschenkenner“, der Clark ist, schließt er schnell, dass der Mann, der seiner jungen Mitfahrerin unaufhörlich schreibt, verheiratet ist. Aus eigener Erfahrung rät er ihr, diesem bloß nichts von Liebe zu erzählen. Er selbst habe seine erste Frau, die „traumhafte Titten“ hatte und „dumm wie Scheiße“ war, mit einer 19-Jährigen betrogen. Dann, als seine Ehefrau nicht mehr mit ihm schlafen wollte, weil er sie für ihre Gewichtszunahme hänselte. Diese 19-Jährige habe er eigentlich gerne länger „behalten“, leider aber habe sie das „L-Wort“ gesagt. Männern sei es eigentlich am liebsten, wenn ihre Gespielinnen „gar nichts“ sagten.
Das kurze Aufblitzen von etwas Gestrigem
Dass sein junger Fahrgast nun ebenfalls bei einem älteren Mann auf Zuspruch hoffe, liege wiederum daran, natürlich, dass das kleine Mädchen damals keinen „Daddy“ hatte und nun nach einer Kompensation suche.
Wo man von „Girlie“ eine Form des Protests erwarten würde, folgt höchstens ein müdes Augenrollen, vereinzelt ein halbherziges Widerwort. Zumeist aber antwortet die Protagonistin gar mit einem verlegenen Grinsen, begleitet von einem lasziven Augenaufschlag oder nervösem Kauen auf den Fingernägeln. Die fragwürdige Fantasie vom schüchternen Schulmädchen, sie kommt in „Daddio“ immer wieder zum Vorschein.
Vergeblich wartet man auf eine Wendung, die „Daddio“ in eine andere Richtung führen würde; sucht nach einem doppelten Boden, wodurch das Geschehen problematisiert und sich Christy Halls Debüt doch noch als ein kritischer Kommentar zu sexistischen Stereotypen lesen ließe. Die Möglichkeit einer solchen Interpretation aber versperrt spätestens das auf Rührseligkeit drängende Finale, das den emotionalen Abschied zwischen Clark und der jungen Frau zeigt.
Denn noch ehe das Taxi in die Nacht davonbraust, wird die gesichtslose Affäre doch noch ein intimes Foto und Clark ein sattes Trinkgeld in Höhe von 500 Dollar erhalten haben. Denn was machen brave Mädchen, wenn sie eine wertvolle Lektion gelernt haben? Na klar, ganz lieb „Danke“ sagen. Im besten Fall ist dieser Film nicht mehr als kurzes Aufblitzen von etwas Gestrigem, eine schauderhafte kurze Erinnerung daran, was eigentlich längst überwunden scheint. Man hofft es zumindest.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz