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Christlicher NationalismusDie Lieblingswaffe der Rechtspopulisten

Während Demokratien bröckeln, wird das Christentum von Rechten entdeckt. In den USA, Ungarn oder BRD: Der Glaube dient einer Politik der Ausgrenzung.

Feiern Charlie Kirk als christlichen Märtyrer: Be­su­che­r*in­nen der ­Trauerfeier in Glendale am 21. September Foto: Adriana Zehbrauskas/NYT/Redux/laif

Viktor Orbán spricht gern vom „christlichen Europa“ – und meint damit ein Ungarn, das Migranten draußen hält und die liberale Demokratie gleich mit. Symbolkräftig ließ er die Krone von Stephanus dem Heiligen, der als erster König von Ungarn die heidnischen Magyaren christianisierte, aus dem Nationalmuseum ins Parlament überführen. Giorgia Meloni beschwört in Rom „Gott, Familie und Vaterland“ – eine Dreifaltigkeit gegen Feminismus, Gleichberechtigung und Vielfalt.

In Frankreich berufen sich Marine Le Pen und Éric Zemmour auf das „jüdisch-christliche Erbe“ – eine Formel, die nichts anderes bedeutet als: Muslime gehören nicht zu Frankreich. Und in den Niederlanden? Da mimt Geert Wilders den Hüter christlicher Werte, obwohl sein Lebensstil mit christlicher Moral wenig zu tun hat.

Deutschland steht dieser ­Entwicklung in nichts nach. Im AfD-Wahlprogramm ist das Christentum nicht etwa Religion, sondern der Zement der „deutschen Identität“ und mit „unserer“ Kultur „eng verbunden“. Somit ist die muslimische Zuwanderung die größte Gefahr für die „christlich-abendländische Kultur in Deutschland“, wobei auch vor einer „Islamisierung“ Deutschlands gewarnt wird. Die christliche Religion wird zur Grenzmarkierung aufgerüstet.

In den USA hat sich diese ­Allianz von Politik und Christentum längst etabliert. Evangelikale Pastoren segnen Präsidentschaftskandidaten, Wahlkämpfe verlaufen wie Erweckungs­gottesdienste. Donald Trump verkauft Bibeln wie andere Politiker Basecaps und inszeniert sich als „nichtkonfessioneller“ Messias, während J. D. Vance seine Konversion zum Katholiken erfolgreich vermarktet und sich so den Rückhalt der erzkonservativen Republikaner sichern will.

Eindrucksvoll wurde die enge Verbindung bei der Trauerfeier für den ermordeten ­Charlie Kirk in Arizona beschworen. Die höchsten Ebenen der US-Regierung und der evangelikalen Kirche verschmolzen bei dem Gottesdienst zu einer sakralen Einheit, um Kirk als modernen christlichen Märtyrer zu feiern.

Scharfe Waffe im Kulturkampf

Die Botschaft der Rechts­populisten ist überall dieselbe: „Wir“ sind die Hüter der ­Tradition, „die anderen“ – ­Muslime, Liberale, Feministinnen, Homosexuelle – bedrohen die göttliche Ordnung. Religion wird zur scharfen Waffe in einem Kulturkampf, der Gesellschaften spaltet und Demokratien zermürbt.

Das Christentum wird nicht als Glaubens­praxis verstanden, sondern als Abgrenzungsmarker. Es geht nicht um Nächstenliebe, sondern um Grenzziehung und Ausgrenzung. Wer dazugehört, darf sich sicher fühlen, wer draußen steht, wird zur Gefahr erklärt. Statt integrativer Kraft wird Religion zum Ausweis nationaler Identität – sie ist Machtwerkzeug und Passierschein zugleich.

Diese Strategie hat einen Vorteil: Sie immunisiert gegen Kritik. Wer Orbán widerspricht, widerspricht Gott. Wer Melonis Familienpolitik kritisiert, stellt sich gegen die „Schöpfungsordnung“. Politik wird so von der sachlichen Ebene mit notwendiger Diskussion und Auseinandersetzung entbunden und mit moralischer Absolutheit gepanzert.

Marine Le Pen ließ ihre Anhänger bei einem Besuch der Kathedrale von Reims wissen: „Frankreich muss sich an die Versprechen seiner Taufe erinnern. Es gibt Menschen, die glauben an den Himmel, und solche, die daran nicht glauben. Aber ich glaube!“ Und die AfD träumt offen von einer „Rückabwicklung“ liberaler Errungenschaften – im Namen des „christlichen Abendlands“.

Tragisch ist das auch, weil die Sprache des Christentums einmal eine andere war. Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Solidarität – all das, was einst den Schwachen Hoffnung versprach, wird heute zur Maske einer harten Agenda.

Nicht nur politische Rhetorik

Doch es geht nicht nur um politische Rhetorik, Minderheiten verlieren ihre Rechte. Frauen, die selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden wollen, Homosexuelle, die heiraten möchten, Migranten, die Teil der Gesellschaft sein wollen – sie alle werden zu Zielscheiben. Seit Jahren schränkt Orbán unter dem Vorwand des Kinderschutzes die Rechte von LGBTQ+-Menschen ein und verbietet Aufklärungsbücher in Schulen und Bibliotheken.

Meloni will „die Familie stärken“, indem sie alle Lebensformen jenseits der traditionellen Kleinfamilie abwertet. Und die AfD möchte die christliche Identität retten, indem sie Migranten dämonisiert und Flüchtlinge entrechtet. Christus soll gepredigt haben, Fremde aufzunehmen – doch die neuen Kreuzritter sehen in jedem Fremden einen Feind. Hier zeigt sich die eigentliche Perversion: Die Religion, die einst den Unterdrückten Stimme gab, wird zur Ideologie der Herrschaft und Abgrenzung umfunktioniert.

Diese Einstellung könnte auf den ersten Blick fast lächerlich wirken, wenn sie nicht so gefährlich wäre. Die sakrale Rüstung, mit der Rechtspopulisten ihre Politik verkleiden, ist effektiv. Sie macht aus knallharter Machtpolitik eine quasi-heilige Mission. Wer sich dagegen stellt, gilt nicht mehr als politischer Gegner, sondern als Feind Gottes. So wird Demokratie zur Nebensache, Diskussion zur Blasphemie, Opposition zum Frevel.

Die Kirchen selbst verheddern sich in Widersprüchen: Einerseits wollen sie sich als Bollwerk gegen den Rechtspopulismus verstehen, andererseits profitieren sie seit Jahrhunderten von derselben Logik der kulturellen Deutungshoheit. Wenn die Bischöfe heute erschrocken den Schulterschluss von Kreuz und Nationalismus beklagen, dann übersehen sie, wie tief beide schon immer ineinandergegriffen haben.

Gerade hierzulande müsste man genauer hinsehen: Ist das Gerede vom „christlichen Abendland“ der Versuch eines letzten Abwehrzaubers gegen die Moderne – oder nicht vielmehr der Beweis, dass Religion, wenn sie politisch instrumentalisiert wird, stets dazu neigt, Freiheit und Vielfalt zu ersticken und zur Waffe im Arsenal der Populisten verkommt.

Leider lassen sich die Kirchen in Deutschland und anderen Ländern von den Rechtspopulisten vereinnahmen, statt lautstark ihre Stimme zu erheben und sich von nationalistischem Irrsinn abzugrenzen.

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