Christine Longin über Frankreichs koloniales Erbe: Macrons Schweigen
Der Französische Präsident Emmanuel Macron lobt sich gemeinhin gerne dafür, deutliche Worte zu finden. Auch wenn es um heikle Themen wie die koloniale Vergangenheit Frankreichs geht. Im Präsidentschaftswahlkampf 2017 bezeichnete er den Kolonialismus als „Verbrechen gegen die Menschheit“. In seiner Rede am Sonntagabend war der Staatschef von einer solchen klaren Verurteilung allerdings meilenweit entfernt.
Statt des Kandidaten sprach diesmal der Präsident, der eine zweite Amtszeit anvisiert. Dabei hat Macron vor allem die rechtskonservative Wählerschaft im Auge. Und dieser Zielgruppe versicherte er, dass kein Name aus der kolonialen Geschichte des Landes getilgt und keine Statue abmontiert werde.
Jean-Baptiste Colbert, der die Regelung zum Umgang mit den Sklaven in den französischen Kolonien verfasste, darf also weiter vor der Nationalversammlung in Paris thronen. Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit bleibt den akademischen Zirkeln vorbehalten. Das tägliche Leben der Franzosen, die in fast jeder Stadt eine nach Colbert benannte Straße haben, soll sie nicht erfassen.
Dabei ist der Blick auf den Kolonialismus dringend nötig, um den Rassismus und die Diskriminierung zu verstehen, denen die Nachkommen der Einwanderer aus den früheren Kolonien ausgesetzt sind. Er manifestiert sich bei der Arbeitssuche, bei der Wohnungsbewerbung und ganz besonders im Umgang mit der Polizei. Schon mehrfach wiesen der Menschenrechtsbeauftragte und internationale Organisationen auf das rassistische Verhalten französischer Polizisten hin.
Seit knapp zwei Wochen demonstrieren Zehntausende gegen den Rassismus der Polizei, der auch für den Tod des Schwarzen Adama Traoré vor vier Jahren verantwortlich gewesen sein könnte. Macron fand kein Wort für diese Kundgebungen, kein Wort für Traoré, der ähnlich wie George Floyd in den USA bei seiner Festnahme nicht mehr atmen konnte. Über der Polizeigewalt liegt der präsidiale Mantel des Schweigens.
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