Christine Lieberknecht und CDU Thüringen: Staatstragend und widersprüchlich
Bodo Ramelow will, dass Christine Lieberknecht übergangsweise in Erfurt regiert. Wer ist die CDUlerin, der die Linke zu vertrauen scheint?
Paul Lieberknecht betreibt im 330-Einwohner-Nest Ramsla bei Weimar eine Zaunbau-Firma. In dem Dorf wohnt auch seine Mutter, die fünf Jahre lang Ministerpräsidentin von Thüringen war, sich seit der Landtagswahl 2019 ganz aus der Politik zurückgezogen hatte und jetzt, so der Plan ihres Nachfolgers Bodo Ramelow, interimsweise wieder Regierungschefin werden soll.
Auf den ersten Blick ist das überraschend, auf den zweiten weniger. Ramelow und Lieberknecht verstehen sich gut; Ramelow bezeichnet sich selbst als „gläubigen Christen“, die Theologin Lieberknecht, Tochter eines Superintendenten, war in der DDR evangelische Pfarrerin. Das merkte man ihr an, baute sie doch gern Martin-Luther-Zitate in ihre Reden ein. „Wir teilen einen gemeinsamen Glauben“, sagte sie in einem Interview mit dem Autor vor vielen Jahren über ihr Verhältnis zu Ramelow; da führte sie noch die Fraktion der Thüringer CDU.
Aus Bodo Ramelows Umfeld heißt es, die gegenseitige Wertschätzung rühre auch aus dem Umgang mit der rechtsterroristischen Gruppe NSU, die sich in Thüringen gründete. Lieberknecht bat die Angehörigen der Opfer um Entschuldigung für das Versagen der Ermittlungsbehörden.
Wohldosierte Anpassung an die DDR
Zur Linkspartei steht sie weniger versöhnlich als zu Ramelow: Nach der Wende grenzte sie sich scharf von der damaligen PDS ab und warnte noch vor der Landtagswahl 2014 vor „linken Ideologen“. Ihre Haltung zur DDR und zur SED ist widersprüchlich. Zu DDR-Zeiten trat sie 1981 in die staatstreue Ost-CDU ein und ließ sich zur FDJ-Sekretärin an der Theologischen Fakultät der Uni Jena wählen.
Im Fach Staatsbürgerkunde schrieb sie als Schülerin das auf, was die Lehrer von ihr verlangten, wie sie freimütig erzählte: Sie wollte ihren Studienplatz nicht gefährden. Der taz sagte sie jüngst, sie habe in der DDR „was verändern wollen“. Früher nannte sie praktischere Gründe als Motiv: Sie habe sich nicht sozial isolieren wollen. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte.
Trotz – oder wegen? – ihrer wohl dosierten Anpassung in der DDR hat sie den Anti-Linkspartei-Kurs der CDU, der zur Polarisierung im Freistaat maßgeblich beigetragen hat, jahrelang mitgetragen. Nach der inzwischen berühmten „Hufeisentheorie“ – einer stark verkürzten Form der Totalitarismustheorie – gehen von einer gemäßigten Mitte zwei gleichwertige extreme Flügel nach links und nach rechts ab.
Keine Debatte über die NS-Erinnerungskultur war in den vergangenen Jahren im Thüringer Landtag möglich, ohne dass die CDU nicht mit dem Verweis auf den SED-Staat antwortete. So konterte sie in der vergangenen Legislaturperiode den Plan der rot-rot-grünen Landesregierung, den 8. Mai zum Thüringer Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus zu machen, mit der Idee, gleichzeitig den 17. Juni als Gedenktag für die Opfer der „SED-Diktatur“ aufzunehmen.
Den Ernst der Lage erkannt
Langjähriger enger Mitarbeiter Lieberknechts war Karl-Eckhard Hahn, der heute für die CDU-Fraktion arbeitet und mit einem Aufsatz kurz vor der Ministerpräsidentenwahl für Aufsehen sorgte, in dem er eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD ins Spiel brachte. Die rechtskonservativen Positionen von Hahn, der zeitweise Lieberknechts Regierungssprecher war, sind seit Jahren in Thüringen bekannt.
Sie selbst war zuletzt in der CDU umstritten, ihre Bilanz an der Spitze der CDU-SPD-Regierung von 2009 bis 2014 durchwachsen. Eine Gebietsreform scheiterte, die Minister*innen regierten vor sich hin, es fehlte die gemeinsame Linie. Christine Lieberknecht war als Ministerpräsidentin bundespolitisch praktisch nicht präsent; es wirkte zeitweise so, als fühle sie sich auf der großen Bühne unwohl.
Das fiel auf, denn als Landtagspräsidentin und Thüringer CDU-Fraktionschefin hielt sie gern grundsätzliche Reden, in denen es um das große Ganze ging: Freiheit, Verantwortung, Bürgergesellschaft.
Damals, als Fraktionschefin, sagte sie unumwunden, dass sie eigentlich gern Landtagspräsidentin geblieben wäre. Die eher präsidiale Aufgabe lag ihr – das dürfte zu einer Rolle als Übergangsministerpräsidentin passen. Den Ernst der Lage hat sie jedenfalls erkannt. Der taz sagte sie vor wenigen Tagen: „Ich habe lange Weimarer Verhältnisse für unmöglich gehalten, aber nun habe ich erstmals richtig Sorge.“
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