Chipkarten-Syndikate und Gesundheitsfilz: Krankhaftes Interessengestrüpp
Vertrauen im 260-Milliarden-Gesundheitssektor spielt noch immer eine große Rolle. Durch Schlamperei, Parteienzank und Indiskretion werden die Patienten zunehmend verunsichert.
BERLIN taz |Da flattert mir ein Brief ins Haus: Meine Krankenkasse hätte gern ein biometrisches Gesichtsbild von mir - für die neue, ausschließlich Vorteile bringende elektronische Gesundheitskarte. Ich könne es gleich über die Website hochladen, steht in dem Papier. An meiner Redlichkeit, dass ich tatsächlich ein Foto abliefere, das mich selbst zeigt, scheint bei meiner Kasse niemand zu zweifeln. Ich widerstehe nur mühsam der Versuchung, ein Bild von Karl Lauterbach hochzuladen.
Früher, lange bevor sich die systemrelevanten Börsenhasardeure ihr frisches Zockergeld vom Staat erpressten, warb eine deutsche Bank mal damit, dass Vertrauen der Anfang von allem sei. Während heute derartige Werbung kaum mehr ein müdes Lächeln bei den potenziellen Opfern hervorzaubern könnte, spielt das Buhlen um Vertrauen im 260-Milliarden-Gesundheitssektor noch immer eine große Rolle.
Das Gezerre um den Gesundheitsfonds und der Parteienzank jenseits von Sachpolitik hatten den geneigten Patienten zwar einiges an Illusionen geraubt, aber die Galionsfigur des Vertrauensmanagements zwischen Patientenvolk und Krankheitsverwaltern ist von jeher Ministerin Ulla Schmidt, dem hypnotischen rheinischen Singsang sei Dank.
Die Autorin ist Sprecherin des Chaos Computer Clubs.
Sie kündigte die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für den 1. April an - allerdings für das Jahr 2008. Vermutlich war der Termin ähnlich ernst zu nehmen wie der Weltuntergang der Zeugen Jehovas: eigentlich immer gleich um die Ecke. Das mit der Chipkarte ist terminlich zwar weit hinter dem Plan, war aber kein Aprilscherz: Die macht jetzt Ernst.
Die Parallelen zum Finanzkasino sind bestechend. Im Gespann mit Chipkartensyndikaten, Gesundheitsfilzokraten und im Interessengestrüpp verirrten Politikerdarstellern ziehen die Krankenkassen den Karren der elektronischen Krankenkarte mit den ihr anvertrauten Patientendaten immer tiefer in den Sumpf.
In der gerade laufenden Testphase des geldfressenden Gesundheitsdatenabenteuers setzte einer der Technikdienstleister nun neue Maßstäbe: Ausgerechnet eine Tochter der Bundesdruckerei mit dem passenden Namen "D-Trust" verschlampte den digitalen Schlüssel, mit dem die Chipkarten gesegnet werden, die jeder Arzt in der Testregion zum Datenabruf braucht.
Viele der Probekarten waren mit einem Schlag mausetot. Den betroffenen Ärzten ist damit ihr elektronischer Rezeptblock abhandengekommen, und abrechnen können sie auch nicht mehr. Wäre dies der Echtbetrieb, hätten 140.000 Heilberufler ein richtiges Problem, denn alle ausgegebenen Karten müssten erneuert werden.
Die Bundesdruckerei, erst kürzlich per Rückverstaatlichung aus der Organbank der Privatisierungstaliban errettet, ist bei Bürgerdatenhortung ganz vorne mit dabei. Biometrischer Reisepass, elektronischer Perso, Krankenkarte, Heilberufsausweise und Patientennummer - alle Zentralerfassungsprojekte in einem Haus. In dem war übrigens neulich Hausdurchsuchung, wegen Bestechung.
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