Chinesisches Essen: Streetfood zum Frühstück
Unsere Autorin hat in China fast täglich Jianbing-Wraps auf der Straße gegessen. Die Sehnsucht und Nostalgie zog sie in eine Fußgängerzone in Essen.
Es gibt viele Dinge, für die man die chinesische Küche lieben kann. Der betäubende Sichuanpfeffer von den Märkten in Chengdu, Hotpots in Chongqing, die mehr als vierzig Knoblauchzehen fürs Aroma enthalten, pikante Baozi – herzhaft gefüllte und gedämpfte Teigtaschen – oder Eis am Stiel, verkauft aus Pappkartons an Harbins Bushaltestellen. All das und noch vieles mehr habe ich bei zwei längeren Aufenthalten als Schülerin und Studentin sowie auf mehreren Reisen durch China kennen und genießen gelernt.
Doch eine Spezialität stellt alles andere in den Schatten, dabei sieht sie auf den ersten Blick ziemlich unscheinbar aus: Jianbing. Ein pikanter, mit allerlei Gewürzen gefüllter Wrap, der als Streetfood verkauft wird. Für mich jeden Morgen vor der Schule zum Frühstück oder jeden Abend vor der Chorprobe auf die Hand.
Zubereitet wird der Jianbing immer frisch, wie ein Crêpe. Mit einer Kelle wird eine Portion Teig auf eine heiße, runde Steinplatte gegossen und gleichmäßig verteilt. Während ein Crêpe hierzulande damit schon fast fertig ist und mit Zimt, Zucker oder Schokolade serviert wird, fängt die Magie beim Jianbing erst richtig an.
Denn nun wird ein rohes Ei auf den Teig geschlagen und gleichmäßig verteilt, es kommen verschiedene Soßen und Öle dazu, zahlreiche Kräuter und Gewürze wie Koriander, Chili und Knoblauch, und gern auch noch ein, zwei größere Zutaten – bei jedem Imbiss ist das Rezept ein wenig anders. Am Ende kommt häufig noch eine Art Cracker mit rein, dann wird der mittlerweile gebackene Teig mehrfach zusammengeklappt und zweigeteilt – fertig zum Mitnehmen oder zum Verspeisen an Ort und Stelle.
Grandios und trotzdem unbekannt
Für mich war klar: Weltweit kommt kein Streetfood an Jianbing ran. Er ist so gut, dass es ihn eigentlich auf der ganzen Welt geben sollte. Doch selbst im streetfoodaffinen und kulinarisch international gut aufgestellten Berlin ist er nicht zu finden.
So schaute ich mir sehnsüchtig Videos von der Zubereitung von Jianbing auf New Yorker Straßen an, wo er in den letzten Jahren einen Hype erfahren hat – bis ich meinen Heißhunger nicht mehr ignorieren konnte und mich auf die Suche nach Imbissen und Restaurants machte, die Jianbing in Deutschland zubereiten.
Meine Suche führte mich in eine wenig belebte Seitenstraße der Essener Fußgängerzone, nicht weit vom Hauptbahnhof. Dort, im Erdgeschoss eines Ärztehauses und neben einem gefragten Bubbletea-Laden, findet sich das „Two Eggs Jianbing“.
Die Suche führt nach Essen
Die kitschigen Lichterkettensternchen am Schaufenster und die gestapelten Pappkartons mit allerlei Zutaten wecken sofort Erinnerungen aus meiner Zeit in Chongqing. Der Laden ist allerdings viel gepflegter als die meisten Restaurants dort. Seine Inneneinrichtung ist ganz auf die namensgebenden Eier abgestimmt: die Tische und Wände sind weiß, die kleinen Stühlchen sind gelb und an der Wand hängt eine Uhr in Form eines Spiegeleis.
Eröffnet wurde der Laden im Sommer 2018 von Fei Gao, der seit zehn Jahren in Deutschland lebt. „Als ich noch ein kleines Kind war, hat meine Mutter mir zum ersten Mal Taschengeld gegeben, damit ich mir am Stand neben meiner Grundschule ein Jianbing kaufen konnte“, erzählt der Ladenbesitzer. Somit sei der Laden mit einer schönen Erinnerung verbunden, die gleichzeitig „mein erster Umgang mit Geld in jungen Jahren“ war.
Das Two Eggs Jianbing ist sein erster gastronomischer Betrieb. Die Eröffnung war ein Risiko, sagt er, denn bisher gab es noch niemanden, der versucht hat, mit Jianbing in Deutschland Geld zu verdienen. Und tatsächlich sind die meisten Gäste Chines:innen. So langsam würden aber auch andere neugierig auf den Wrap.
Käse und Eisbergsalat für den deutschen Geschmack
Das Rezept hat Fei dabei möglichst so gelassen, wie er es von früher kennt – es aber mit europäischen Zutaten ergänzt, „damit das Gesamtbild ausgewogener ist“. Mein erster Blick aufs Menü bestätigt das. Statt der rosa Würstchen, die sich die Chongqinger Kommiliton:innen gegönnt hatten, gibt es hier Hähnchenschnitzel, Thunfisch, Käse oder Mais zur Auswahl.
Ich bestelle den Standard-Jianbing, vegetarisch mit nur einem Ei, für 3,50 Euro. Der Imbissmitarbeiter breitet den heißen Teig aus, schlägt ein Ei drauf und streut Sesam und Lauchzwiebeln dazu. Dann dreht er den ganzen Teig um, schmiert auf die Rückseite zwei verschiedene Soßen und ergänzt sie durch Bocui, frittiertes Brot, und Eisbergsalat. Die Zubereitung dauert keine zwei Minuten, dann drückt mir der Mitarbeiter das Jianbing in die Hand.
Der Wrap ist warm und erinnert optisch an das, was ich auf den Straßen Chinas so sehr geliebt habe. Nach den ersten Bissen aber merke ich geschmacklich einen starken Unterschied.
In meiner Erinnerung haben haufenweise Kräuter und Gewürze dem Wrap zu einer Geschmacksexplosion verholfen. Im Jianbing in meiner Hand sind für meinen Geschmack zu viele Salatblätter – und dafür zu wenig Kräuter. Ich vermisse die Schärfe und den Pepp, den Koriander, die Chilis und das ganze andere Zeug, das ich schon in Chongqing nicht identifizieren konnte.
Großer Lob von chinesischer Seite
Anderen Kund:innen des Two Eggs Jianbing geht es anders, sie sind äußerst zufrieden. Jiabei und Yunle, zwei junge Frauen, die in Essen studieren und sich nur mit dem Vornamen vorstellen, kommen mit ihrer Freundin zu dritt aus dem Laden. Yunle findet, dass der Jianbing dem Streetfood aus der Heimat gleicht. „Sie haben hier aber kein Youtiao“ ist ihre einzige Beschwerde – Sie vermisst frittierte Teigstangen, die ihrer Meinung nach ebenfalls ins Jianbing gehören. Jiabei hingegen kannte den Wrap zuvor gar nicht. „Ich hab’s erst hier kennengelernt“, sagt sie. Mit der Zubereitung ist sie jedenfalls zufrieden.
Eine weitere Studentin kommt zweimal im Monat zum Laden. Sie erklärt mir, dass es in China zwei verschiedene Arten gebe, Jianbing herzustellen – einmal die Art der Provinz Tianjin und einmal die Art aus Shandong. „Ich glaube, dieser hier schmeckt ähnlich wie der Wrap aus Tianjin“, sagt sie.
Sie selbst kommt aus Shandong, ist dennoch zufrieden mit der Zubereitungsart des Two Eggs Jianbing. „Selbst in China gibt es keine authentische Zubereitungsart“, sagt sie. „Von daher ist das hier schon sehr gut.“
Nostalgie und Hoffnung bleibt
Das zu hören, lindert meine Enttäuschung. Ein wenig davon bleibt trotzdem. Aber vielleicht ist das auch die Erkenntnis dieser Fahrt nach Essen: Manche Genüsse sind einfach an besondere Orte, an Lebensabschnitte, an Umstände und Erinnerungen gebunden. Sie woanders zu rekonstruieren kann nur scheitern.
Wenn ich an Jianbing denke, denke ich weiterhin an meine Zeit in China, an den gewohnten Smalltalk mit der Verkäuferin in Chongqing, dessen meterlange Schlange mich nie davon abhielt, mich hinten anzustellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind