piwik no script img

Chinas Machthaber Xi JinpingDer nächstgrößere Vorsitzende

Eigentlich sollte kein Staatschef je wieder so mächtig werden wie Mao. Doch am Wochenende soll Xi Jinping für eine dritte Amtszeit gewählt werden.

Mao und Xi gemeinsam gerahmt in einem Pekinger Wohnzimmer Foto: Kevin Frayer/Getty Images

Peking taz | Dichtes Gedränge herrscht vor dem „Messepalast Beijing“, einem sowjetischen Prachtbau im Pekinger Stadtzentrum. Entlang des halbkreisförmigen Säulengangs tummeln sich Hunderte Kader mit Parteiabzeichen am Revers, um vor den jüngsten Errungenschaften ihrer Volksrepublik Selfies zu schießen: Tarnkappenbomber sind hier ausgestellt, Modelle von Weltraumraketen und Kernkraftwerken. In den Museumshallen geht die „rote“ Propagandaschau nahtlos weiter. Und neben Xi Jinping, der den Besuchern auf Dutzenden überdimensionalen Fotografien entgegenlächelt, scheint es keinen Platz für andere Politiker zu geben.

Kurz vor dem 20. Parteikongress in Peking ist mehr als deutlich, dass Xi Jinpings umstrittene dritte Amtszeit bloß Formsache ist. In Windeseile hat der mächtigste chinesische Staatschef seit Mao Zedong sein Heimatland radikal umgestaltet – stets getrieben von der historischen Mission, China zu alter Größe zurückführen. Dabei gibt es weltweit wohl keine andere Person von solch politischer Tragweite, über die die Öffentlichkeit gleichzeitig so wenig weiß. Auch für die meisten der 1,4 Milliarden Chinesen ist Xi Jinping ein absolutes Rätsel geblieben. Was treibt ihn an?

Um Xi zu verstehen, muss man die Narrative der Parteipropaganda verlassen und tief in die Archive blicken. Etwa auf jenen Tag im Jahr 1966, als der damals pubertierende Xi im Innenhof der zentralen Parteischule Pekings eingesperrt wurde. Ein paar unachtsame Worte gegen die damals beginnende Kulturrevolution reichten aus, um dem 13-Jährigen eine harte Lektion zu erteilen: Wie ein enger Vertrauter von Xis Vater später in seinen Memoiren niederschrieb, hievten an jenem Tag Maos Rotgardisten den Heranwachsenden auf eine Bühne, setzten ihm einen 30 Kilogramm schweren Eisenhut auf den Kopf und erniedrigten ihn mit einem öffentlichen Tribunal.

Dabei war der 1953 geborene Xi das, was man in China einen „Prinzling“ nennt: Er gehört der „roten Aristokratie“ der zweiten Generation an. Sein Vater, Xi Zhongxun, war einst die rechte Hand Mao Zedongs. Gemeinsam kämpften sie Seite an Seite für die kommunistische Revolution. 1959 wurde er für seine Loyalität belohnt und zum stellvertretenden Ministerpräsidenten des noch jungen Landes ernannt.

Parteikongress in China

Chinas Kommunistische Partei hat mehr als 95 Millionen Mitglieder und beginnt am Sonntag in Peking ihren 20. Parteikongress. Er wird mit dem Rechenschaftsbericht des Generalsekretärs Xi Jinping eröffnet.

2.300 Delegierte vergeben formal die höchsten Ämter in Partei und Staat bis 2027. Da die KP über dem Staat steht, entscheidet sie allein über Regierungsposten, auch wenn der Nationale Volkskongress diese formal erst im März 2023 vergibt.

Echte Debatten sind nicht zu erwarten, vielmehr dürfte Xis personellen Vorschlägen und politischen Leitlinien gefolgt werden. Seine angestrebte dritte Amtszeit wird er voraussichtlich bekommen, viele seiner politischen Ideen sind bereits Parteidoktrin.

Das KP-Machtzentrum ist der Ständige Ausschuss des Politbüros, das vom Zentralkomitee bestimmt wird. Letzteres benennt der Kongress. Offen ist, wer Ministerpräsident Li Keqiang nachfolgt und ob Xi für sich einen möglichen Nachfolger in Stellung bringt. (han)

Doch zu Beginn der 60er Jahre geriet der alternde Mao nach einer katastrophal fehlgeschlagenen Industrialisierungspolitik massiv unter Druck: Der „Große Sprung nach vorn“ endete in der wohl größten Hungersnot der modernen Menschheitsgeschichte. Im Pekinger Parteiapparat rumorte es, und der zunehmend paranoide Mao wähnte an jeder Ecke eine Verschwörung. Im Jahr 1962 wurde auch Xis Vater geschasst, sämtlicher Ämter enthoben und in ein Arbeitslager gesteckt. Die gesamte Familie wurde innerhalb weniger Wochen von der Parteielite zum gesellschaftlichen Abschaum erklärt. Xis ältere Schwester hat – wie so viele in jenen Tagen – die Demütigung nicht ertragen können: Sie nahm sich während der Kulturrevolution das Leben.

Historiker und Sinologen beschäftigt daher die Frage, wieso Xi, der in jungen Jahren unter der exzessiven Machtfülle eines alternden Diktators litt, nun selbst in die Fußstapfen Mao Zedongs zu treten scheint.

Während viele aus Xis Generation mit der Partei brachen, ins Ausland emigrierten oder zur Zeit der Wirtschaftswunderjahre Zuflucht im kapitalistischen Hedonismus suchten, entschied er sich fürs Gegenteil. Er galt als besessen von dem Gedanken, seiner Gesellschaft zu beweisen, was für ein vorbildlicher Kommunist er ist: ideologisch sattelfest, nicht durch Geld korrumpierbar und absolut loyal zur Regierung. Über ein Dutzend Mal bewarb er sich auf eine Parteimitgliedschaft, ehe er 1974 aufgenommen wurde.

Nach Maos Tod wurde Xis Vater schließlich rehabilitiert. Mit dessen Starthilfe begann Xi Jinping seine Karriere als Privatsekretär bei einem hochrangigen Militäroffizier. Später entschied er sich zur Ochsentour durch die Provinzen, während der er dank eiserner Arbeitsdisziplin bei der KP rasant aufstieg.

Dabei half ihm durchaus, dass er als unscheinbar, nahezu langweilig galt. Xi Jinping bot keine Angriffsfläche für Kontroversen, hielt sich geschickt im Hintergrund. Er schien zu wissen, dass seine Zeit irgendwann kommen würde. 2012, nach mehreren erfolgreichen Bewährungsproben in Fujian, Zhejiang und Shanghai, war es schließlich so weit: Er wurde vom Parteikomitee zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei gewählt. Dabei half ihm auch, dass er keiner der damals zerstrittenen Machtfraktionen angehörte.

„Xi Jinping hat sämtliche Bereiche der Gesellschaft umgestaltet: wie Wohlstand generiert wird und Technologien reguliert werden, oder wie das Bankensystem operiert“, sagt Desmond Shum. Der 54-jährige Immobilienunternehmer sitzt in seinem lichtdurchfluteten Londoner Büro. Einst gehörte Shum selbst zur Pekinger Elite, bis seine ehemalige Frau und damalige Geschäftspartnerin aus ungeklärten Gründen spurlos verschwand.

Sie ist nur ein Beispiel für die brutale Konsequenz, mit der Xi Jinping die rasant wachsende, aber auch zutiefst korrupte Gesellschaft aufräumte. Über 100.000 Regierungsbeamte wurden im Zuge seiner Antikorruptionskampagne inhaftiert, manche von ihnen zum Tode verurteilt. Beim einfachen Volk genoss Xi wegen seiner konsequenten Linie gegen Korruption schon früh Beliebtheit.

Auch der Jugend gefiel zunächst das neue, nationalistische Selbstbewusstsein, das Xi mit seinem überbordenden Propagandaapparat initiierte. Doch natürlich fußte der erstarkende Patriotismus auch auf realen Errungenschaften: in der Wissenschaft, im Bereich der Zukunftstechnologien oder auch bei der zunächst raschen wirtschaftlichen Erholung nach der ersten Coronawelle.

Mehr noch: Unter Xis Ägide ist die Volksrepublik China zu einem Land geworden, das nicht mehr regelmäßig von Lebensmittelskandalen erschüttert wird, in dem die Luftqualität in den Großstädten merklich besser ist und Behördengänge effizient ablaufen. Noch im vergangenen Sommer ließ Xi Jinping sich beim 100-jährigen Parteijubiläum von den Massen umjubeln.

Doch seither mehren sich die Zeichen, dass Xi den Zenit seiner Macht überschritten haben könnte. Zu viele Fehlentscheidungen in zu kurzer Zeit, mindestens drei mit schwerwiegenden Folgen: Das dogmatische Festhalten an „Null Covid“ hat das Land in einen Strudel aus Lockdowns und wirtschaftlicher Rezession geführt und Proteste hervorgerufen. Selbst der Stadtstaat Singapur verzeichnet derzeit mehr internationalen Reiseverkehr in nur einer Woche als die Volksrepublik China im gesamten Halbjahr.

Doch vor allem hat die Überwachung ein dystopisches Ausmaß erreicht. In den großen Städten müssen die Bewohner nahezu täglich zum PCR-Massentest antreten, sich bei jedem Supermarktbesuch mit ihrem digitalen „Gesundheitscocde“ registrieren und von ihrem ­Nachbarschaftskomitee zur willkürlichen Zwangsquarantäne verdonnern lassen.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Gleichzeitig hat Chinas Chefideologe mit seiner drastischen Regulierungswelle die erfolgreichsten Techkonzerne des Landes geschröpft und damit die Volkswirtschaft um ihren Wachstumsmotor gebracht. Offensichtlich jedoch war Xi bereit, jenen Preis im Austausch für politische Kontrolle zu zahlen. Und nicht zuletzt sein unerwartet deutlicher Schulterschluss mit Russland könnte dem Land noch langfristig schaden.

Wie beliebt Xi Jinping innerhalb der Bevölkerung ist, lässt sich kaum sagen. Wer offen Kritik am System übt, muss mit einer langen Haftstrafe rechnen.

Doch nur drei Tage vor Beginn des Parteikongresses gibt es im Pekinger Stadtzentrum Zeichen des Protests. Ein als Bauarbeiter gekleideter Mann befestigte mehrere Protestbanner neben einer zentralen Straße. „Wir wollen Essen, keine PRC-Tests. Wir wollen Reformen, keine Kulturrevolution“, war darauf zu lesen. Und: „Streikt und stürzt den Diktator und Verräter Xi Jinping!“

Die vielleicht größte öffentliche Opposition in der chinesischen Hauptstadt seit über zwei Jahrzehnten blieb flüchtig: Nach wenigen Minuten wurde der Mann festgenommen, und im Internet wurden sämtliche Spuren seiner Aktion gelöscht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Letztlich sind Xi und Putin aus demselben Holz geschnitzt. Underdogs der untergegangenen Regime, die sich einst als kommunistisch oder real sozialistisch bezeichnet haben und die heute nach außen mehr oder weniger offen imperialistisch auftreten und im Inneren jegliche Opposition unterdrücken.

    Ist Taiwanpolitik Chinas etwas anderes als als Putins Vorstellungen für die Ukraine? Von Hongkong nicht zu reden.

    Und die westlichen Regierungen haben dabei zugeschaut, so lange die Wirtschaft durch bilaterale Beziehungen Profite einfahren konnte. Heute ist es dafür fast zu spät, etwas zu ändern, wenn man die Energieabhängigkeit von Russland und den Technologieabfluss nach China bedenkt. Die Hoffnung auf (demokratischen) Wandel durch Handel war, ist und bleibt für mich jedenfalls eine Illusion.

    Und dies hätte eine europäische Linke schon lange erkennen und thematisieren müssen und sich nicht wegen personeller Eitelkeiten und vermeintlich wichtigere nationale Themen selbst zu zerlegen.

    • @Augustin:

      "Underdogs der untergegangenen Regime..."

      Wann ist denn die KP Herrschaft in China untergegangen?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Wenn der Benutzername doch nur Agenda wäre.

        Als "Chinakenner" der die Landessprache auf Konversationsniveau mit Menschen vor Ort spricht kann ich Ihnen versichern dass das alte kommunistische China Mao in den 90er und Nuller Jahren untergegangen ist zugunsten einer neuen Generation die sich der Welt öffnen wollte.

        Xi dagegen spricht kein Englisch, schwelgt in Nostalgie und hat seit 2013 (vermehrt aber seit ca. 2017) begonnen die Öffnung der Gesellschaft zurückzurollen. Er fürchtet/verachtet die moderne Welt und Liberalität.

        Er möchte ein stockkonservatives China das einen chinesischen Sonderweg geht. Solche Bemühungen, seien sie religiös oder politische motoviert, haben stehts im Desaster geendet.



        Nicht zuletzt in Deutschen Landen.