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Chinas IT-WirtschaftAlibaba im freien Fall

China hat seiner Tech-Branche mit drastischen Regulierungswellen stark zugesetzt. Am Beispiel Alibaba zeigen sich nun die Folgen.

„Gemeinsamer Wohlstand“ lautet das Schlagwort der Parteiführung Foto: Andy Wong/ap

Peking taz | Das von Jack Ma gegründete Internetimperium Alibaba galt lange Jahre als Aushängeschild für Chinas innovativen Unternehmergeist. Doch mittlerweile ist der E-Commerce-Riese dessen größter Sorgenfall: Die am Donnerstag veröffentlichten Geschäftszahlen sind die wohl schwächsten seit Alibabas Börsendebüt vor knapp acht Jahren. Im Quartal bis einschließlich Dezember ist der Nettogewinn um nahezu drei Viertel eingebrochen. Der Gesamtumsatz ist nur mehr um knapp zehn Prozent gestiegen. Noch vor Kurzem war man an das Vierfache des Wachstums gewöhnt.

Was die aktuelle Entwicklung von Alibaba so einzigartig macht, sind die dahinter liegenden Gründe. Denn die allgemein schwächelnde chinesische Wirtschaft und die steigende Konkurrenz können den Absturz des Unternehmens nicht erklären. Vielmehr ist dieser hausgemacht: Alibaba musste – wie praktisch die gesamte Internetbranche Chinas – aufgrund der drastischen Regulierungswellen der Regierung massiv Federn lassen.

Allein in den letzten Tagen haben die digitalen Marktführer Tencent, Meituan und Alibaba laut Berechnungen von Bloomberg nahezu 100 Milliarden Dollar an Marktwert verloren. Hintergrund waren weitere Ankündigungen der Behörden, Beschränkungen für Online-Essenslieferanten sowie die Computerspiel-Branche einzuführen.

Auf den ersten Blick klingt das zunächst kontraproduktiv: Warum soll eine Regierung seine erfolgreichsten Firmen derart stark beschneiden? Doch tatsächlich hält Staatschef Xi Jinping die Verluste als notwendige Kollateralschäden für eine langfristige Transformation der Volkswirtschaft. Derzeit befindet sich China nämlich inmitten eines ökonomischen Paradigmenwechsels. Viele Experten bezeichnen Pekings Regulierungswellen metaphorisch als „Sommergewitter“. Dabei sollen zum einen die aufkommenden Technologien und Online-Plattformen in einen rechtlichen Rahmen integriert werden. Das exzessive Sammeln von Daten, Ausnutzen von Oligopolen sowie prekäre Leiharbeiter-Verhältnisse sollen zudem eingedämmt werden.

Ebenso möchte China ganz gezielt seine Ressourcen umlenken: Die Verbraucher-Elektronik und Konsumenten-Apps, die die Volksrepublik in den letzten Jahren hervorgebracht hat, sind für Xi Jinping nur technische Spielerei. Stattdessen will man die Priorität auf eine gesunde Halbleiter-Branche fokussieren, die Industrieproduktion ankurbeln und generell Dinge herstellen, die in der analogen Welt das Leben der Leute real verbessern. Viele Ökonomen glauben, dass China vor allem die deutsche Wirtschaft mit seinen starken mittelständischen Unternehmen als Inspiration sieht.

Xi steht derzeit stark unter Druck, denn der Frust der Mittelschicht steigt angesichts zunehmender Arbeitslast und irrwitzigen Immobilienpreisen rasant. Die Kommunistische Partei muss zudem die rasant auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich in den Griff bekommen.

Vermögenssteuer in Sicht

„Gemeinsamer Wohlstand“ lautet das Schlagwort von der Parteiführung. Doch was damit gemeint ist, bleibt bislang vage und nebulös. Derzeit wird nach dem „trial-and-error“-Prinzip erprobt, wie eine Umverteilung innerhalb der Gesellschaft gelingen kann. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine flächendeckende Vermögenssteuer eingeführt wird und die führenden Unternehmer bei ihren Abgaben stärker an die Kandare genommen werden.

Viele Ökonomen und Geschäftsleute halten die Maßnahmen für einen deutlichen Rückschritt. Denn es scheint, als ob Peking mit seinen politischen Repressionen sowie staatlichen Regulierungen einer innovativen Branche den notwendigen Elan raubt. Desmond Shum, der in den 2000er Jahren als einer der erfolgreichsten Immobilienentwickler in Peking galt, sagt: „Klar ist die Ungleichheit damals gewachsen, aber gleichzeitig wurden auch 100 Millionen Chinesen aus der Armut gehoben. Und was haben wir jetzt? Alibaba hat in den letzten Jahren hunderte Milliarden Dollar an Marktwert verloren – und der Bodensatz wächst gar nicht mehr“.

Vielleicht behält der mittlerweile in London lebende Geschäftsmann mit seiner Prognose recht. Denn Chinas Aussicht für 2022 sieht düster aus: Nur etwas über vier Prozent soll das BiP wachsen – ein Bruchteil vergangener Jahre.

Doch die Befürchtung, dass Xi Jinping erneut ein sozialistisches Modell á la Mao Tse-tung aufbauen möchte, scheint wenig begründet. Erst am Donnerstag stellte Ha Zengyou, Generaldirekter der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission, unmissverständlich klar: Man müsse den Fehler vermeiden, künftig „faule Menschen heranzuziehen“, die sich auf der sozialen Hängematte des Wohlfahrtsstaats ausruhen könnten. Das klingt um einiges kapitalistischer, als sich die meisten europäischen Politiker ausdrücken würden.

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6 Kommentare

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  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Das fatale am chinesischen System ist, dass es auf ihre Art äußerst erfolgreich ist. Es hat völlig verarmte Menschen mit dem Fahrstuhl in die oberen Etagen befördert.



    Ein System, dass lüstern auf totale Macht und Überwachung aufbaut, das letztlich die Welt zerstören wird, wenn man Xi und seine grauen Männer gewähren lässt. Ein Albtraum, der selbst die Visionen von George Orwell längst übertroffen hat.

    Alle großen deutschen Firmen, die Geschäfte mit diesem Staat machen, sind schuldig!

  • Na ist ja idyllisch, dieses China. Vielleicht geht es dem Herrn Xi aber auch in erster Linie darum, die von der Partei unabhängigen Machtzentren zu zerschlagen und das Aufkommen "unchinesischer" Perspektiven im Keim zu unterbinden. Das war ja auch der Tenor der Verlautbarungen, die er gemeinsam mit seinem Freund Putin kürzlich abgegeben hat.

    Es gibt eine große Anzahl sehr kluger Köpfe innerhalb und außerhalb Chinas, die sich darum bemühen, die chinesische Regierung zu normalisieren und als auf das Gemeinwohl bezogen darzustellen. Bei den einen ist vielleicht die Furcht vor dem Blick in die Abgründe groß, die anderen sorgen sich um ihre Einreiseerlaubnis. Von einem Beitrag in der taz würde ich gerade in diesen dunklen Tagen schon erwarten, dass er nicht einfach die schöne, heile Lehrmeinung beschreibt, wie sie aus den Schriften der Staatsökonomen hervorgeht, sondern diese in den Kontext der politischen Verhältnisse stellt.

    Die faulen Menschen in der Hängematte hat Mao "runter in die Felder" geschickt. Was ist an dieser Rhetorik bitte unsozialistisch?

  • Immer wenn ich als Argument von einem Ökonomen höre, dass ein Unternehmen in den letzten Jahren hunderte Milliarden Dollar an Marktwert verloren habe, könnte ich kotzen. Was ist dabei wirklich verloren gegangen ausser Monopolygeld in einem Datenbanksystem? Warum dient der Börsenwert eines Unternehmens immer als Rechtfertigung für alles?

    • @Carine Salazar:

      "Monopolygeld in einem Datenbanksystem"



      Ich hätte meine Zweifel ob das wirklich so rein virtuell ist wie sie vermuten. Immerhin ist das Geld für das die Akten ge- und verkauft werden ja durchaus real. Und mit der Aktienmehrheit an einem Unternehmen hat man auch sehr wesentlichen Einfluss auf das reale Unternehmen.

  • Den Markt am nationalen Wohl ausrichten ! Beispiel Dueutschland:



    Warum ist es überhaupt das Problem einer deutschen Bevölkerung, wenn die Aussichten der Konzerne im globalisierten Markt durch autoritäre Politik (wenn sie vielen Chinesen Arbeit garantiert und es dort so etwas wie Demokratie und Mitbestimmung gäbe, wäre es für die Menschen dort gut)



    immer problematischer werden, es betrifft doch kaum noch Arbeitsplätze hierzulande und auch Patente und Forschung werden hier langsam zu teuer. Könnte es da zur Vermeidung von Versorgungsproblemen und der Vernichtung von weiteren Existenzen hierzulande nicht besser sein, eine neue gemeinwohlorientierte Wirtschaft einzuführen und die Grenzen zu schließen vor dem Einfluss der Globalisierer ? Wir haben doch auch eine mittelständische Wirtschaft, die ohne VW,Siemens,Daimler, Airbus & Co auch Arbeit hierzulande bieten können, wenn sie ihren Markt hier garantiert bekommen ? Können wir nicht auch klimafreundlich ohne Autos, Flugreisen, Kreuzfahrten etc. auskommen und uns wertebewusst auf heimische Produkte und Ressourcen einrichten ? Die Mär, ohne Exporte zu überleben zu können, endet doch dann, wenn wir selbst keine Existenzen mehr anbieten können, weil anderswo alles noch Profit-freundlicher abgeht, Beispiel USA. Man sollte die chinesischen Machthaber nicht unterschätzen. Auch wenn sich niemand ausmalen mag, unter dem Joch einer Parteidiktatur leben zu wollen, schon das Beispiel UdSSR zeigte, die Kluft zwischen arm und reich, wie sie in Rußland größer denn je ist, der Markt allein garantiert keinen Sozialstaat.

    • @Dietmar Rauter:

      Eine gemeinwohlorientierte Wirtschaft ist definitiv eine gute Idee, aber auch die wird nicht ohne Importe aus anderen Ländern auskommen denn Deutschland ist ein rohstoffarmes Land, fängt bei Eisenerz an und gilt für fast alle Rohstoffe, die wir in der Fertigung einsetzen. Will man importieren, muss man auch exportieren, denn nur so kann man dauerhaft die Importe bezahlen oder wenn es ohne Geld gehen soll muss man Exporte gegen Importe tauschen. Wenn man sich die Struktur des Mittelstands anschaut, dann sind viel zumindest zum Teil Zulieferer der großen Industriekonzerne oder machen einen großen Anteil ihres Umsatzes durch Export. In grossen Bereichen der elektronischen Industrie haben wir aber weder das Know-How noch die Unternehmen, um Mikrochips und ähnliches herzustellen. Das löst also das Problem nicht.



      Wir müssen aus ökologischen Gründen den globalen wie den deutschen Kuchen kleiner machen und dabei den jeweiligen Kuchen dann viel gerechter verteilen. Zur Zeit erfolgt die Umverteilung nur in dem der Zuwachs des Kuchens (Wachstum) ein bisschen anders verteilt wird. An den Bestandskuchen geht keiner ran, weder in Deutschland noch global, denn dann geht es ums echte abgeben und nicht mehr darum wie viel oder wenig man dazu bekommt.