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Castorfs letzte Spielzeit an der VolksbühneIch hasse Wanderausstellungen

Mit „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“ von Christoph Marthaler startet die letzte Spielzeit von Frank Castorf an der Berliner Volksbühne.

Götterdämmerung über der Volksbühne. Bisher verbanden sie alle mit vor allem einem vertrauten Gesicht – dem von Frank Castorf. Der aber muss jetzt gehen Foto: dpa

Mit Noppenfolie wird eigentlich Zerbrechliches eingepackt. Kunstwerke zum Beispiel. Wer hätte gedacht, dass man damit auch tanzen kann, so wie Schauspieler Marc Bodnar, der die Folie dramatisch schwenkt und dabei selbst graziös durch die Luft springt. Er trägt einen blaugrauen Arbeitskittel und hat zuvor noch einen in die Folie gewickelten Kollegen hereingetragen, ausgepackt und vor der Wand wie eine Skulptur abgestellt.

Als Nächstes folgt eine Klimakiste, in der Hildegard Alex steckt: Sie summt das bekannte Stück Friedrich Hollaenders, „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“, versucht auszubüchsen und Klavier zu spielen. Aber auch sie wird vom Mann im Kittel vor der Wand abgestellt. Er räumt auf, er arrangiert eine Ausstellung.

Man spielt also Museum und man spielt Tanztheater in der Berliner Volksbühne. „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“ ist der Abend überschrieben, „eventuell“, so steht auf dem Programmzettel, von Christoph Marthaler, Anna Viebrock und dem Ensemble geschaffen. Weil es die letzte Spielzeit in der Intendanz von Frank Castorf ist und sich das ganze Haus in Abschiedsschmerz und Abwehrbewegungen gegen den ernannten Nachfolger Chris Dercon, der bisher vornehmlich Ausstellungshäuser geleitet hat, befindet, neigt man dazu, alles darauf zu beziehen. Dann kann man in diesem Abend zum Beispiel eine Parodie auf die Verschränkung der Genres, Kunst, Theater und Tanz sehen, wie sie zu Dercons Konzept gehören.

Aber was für eine sanfte, federleichte Parodie ist das geworden, was für eine milde Melancholie waltet in allen Dingen. Den bösesten Satz spricht Irm Hermann, die in ihrer Klimakiste residiert wie ein Königin: „Ich hasse Wanderausstellungen“, sagt sie. Sonst wird nicht viel gesagt an diesem Abend. „Eventuell“ murmelt ein paar Mal der ältere Schauspieler Ulrich Voß, der lange in einem Hemd über die Bühne schlurft. Er trägt seinen Stuhl in den Armen, sucht einen Platz, findet ihn nicht, zieht wieder ab.

Genussvoll mottenzerfressen

Sophie Rois tritt auf, nein, sie lässt sich weder rein- noch raustragen, ein Volksbühnenstar im Marthaler-Ensemble. Mit Sonnenbrille lehnt sie an Türrahmen und trägt „Raziella“ vor, ein altes neapolitanisches Lied, ein ganzes Kinodrama kann in ihren tragischen Gesten nisten. Gesungen wird, wie so oft bei Marthaler, mehr als gesprochen. Mit dem Gesicht zur Wand, wie bestrafte Kinder, intonieren sie einen klagenden Händel, in die Windmaschine hinein singen sie die Sehnsucht von Schubert, tonlos beinahe, aber frontal singen alle „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“.

Lange wird der Auftritt zweier Musiker vorbereitet, sie durchwühlen eine Tasche voller zerbrochener Geigen, dem Dirigenten zittert vor Schwäche der Backenbart, mit krächzender Stimme und kratzigen Tönen geben sie endlich eine schwächelnde Version von Verdis Chor der Gefangenen („Va, pensiero“, „Flieg, Gedanke“) zum Besten.

All diese Bilder von Trauer, Vergänglichkeit, von der Altersschwäche der Utopien, sind aber so genussvoll mottenzerfressen und mit dem Stoizismus der Clownerie inszeniert, dass man dauernd lachen muss. Vergänglichkeit und das Kriseln der Utopien waren Marthalers Thema schon seit jeher, so scheint es, zumindest seit er mit „Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab!“ vor 23 Jahren erstmals an der Volksbühne in Erscheinung trat.

Damals verknüpfte er den ins Stottern geratenen Motor des Fortschritts in der gerade untergegangenen DDR mit dem Gefühl der angehaltenen Zeit, wie er es aus Regionen der Schweiz kannte. Das Stück wurde zu einem großen Erfolg der Volksbühne und wird in „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“ mit einem einzigen Wort zitiert: „Danke“. Wie ein Schlusswort an das Publikum und das Haus.

Zwei große Hundenäpfe stehen auf der Bühne, aus denen die Künstler ab und an trockene Kekse naschen. Das Prekariat der Künstler und die Flaschensammler draußen vor dem Theater finden so auch Eingang in die Bildwelt innen, man weiß von wachsender Armut.

Aber die Virulenz, mit der die Volksbühne zu ihren Anfangszeiten von Umbrüchen erzählte, von der ist nicht mehr viel da. Die Vergeblichkeit, mit Mühen anständig durch ein langweiliges Leben zu kommen, von der Marthaler damals schon erzählte, sie ist zu einer sich immer weiter drehenden Mühle geworden, an deren Geräusch man sich gewöhnt hat.

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