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Cartoon-Zeichner über das Lustigsein„Ich klaue Ideen bei meinem Sohn“

Tobias Vogel zeichnet unter dem Pseudonym @kriegundfreitag Strichmenschen: nachdenkliche, verzweifelte, aber vor allem lustige.

Nicht kopierbar: Die Strichmännchen von Tobias Vogel sind seine Handschrift Foto: Miguel Ferraz
Interview von Carla Geiger

Tobias Vogel aka @kriegundfreitag zeichnet lustige Strichmenschen mit schwarzem Fineliner in dicke Skizzenblöcke. Seine Cartoons veröffentlicht er auf Twitter und in eigenen Büchern. Vogels kleines Atelier liegt im Hamburger Oberhafen-Quartier, wo die taz ihn getroffen hat.

taz: Herr Vogel, wie lange denken Sie über eine Strichmensch-Zeichnung nach?

Tobias Vogel: Das ist extrem unterschiedlich. Teilweise schießen mir die Ideen quasi fertig in den Kopf und ich habe nicht bewusst darüber nachgedacht. Das sind Ideen, die mir das Universum zu schenken scheint und teilweise kaue ich tagelang auf Ideen rum bis etwas Vernünftiges daraus wird. Manchmal habe ich schon eine Pointe, aber mir fällt keine Rampe ein um dahin zu führen.

Mitten im Lockdown Ende 2020 haben Sie getwittert, dass Sie Ihren Versicherungsjob kündigen werden und von der Kunst leben wollen. Wie funktioniert der Plan?

Sehr gut! Ich habe ehrlich gesagt nicht mit der großen Resonanz auf meine Ankündigung gerechnet. Das war nicht so dramatisch wie es wirkte. Ich habe vorher auch schon vom Künst­le­r:in­nen­da­sein gelebt, war allerdings in Elternzeit und hatte den Job im Hintergrund, den ich wieder hätte anfangen können. Da ich damals gemerkt habe, dass es auch ohne feste Anstellung funktioniert, habe ich meinen Plan umgesetzt. Und es funktioniert.

Strichmenschen kann je­de:r zeichnen. Warum sind Ihre besonders?

Das weiß ich auch nicht so genau. Viele sagen, dass meine Strichmenschen einen Look haben, der nicht so einfach zu kopieren ist. In sozialen Netzwerken zeichnen Menschen ja gerne als Hommage Strichmenschen-Comics. Die sehen dann doch irgendwie anders aus als meine. Das ist wie mit einer Handschrift. Es ist auch nicht einfach eine Handschrift zu kopieren. Ähnlich scheint es mit den Zeichnungen zu sein, so simple wie sie sein mögen.

Ihr Humor ist auch wie eine persönliche Handschrift. Trocken, schwarz, ironisch, kindlich. Woher haben Sie ihn?

Bild: Miguel Ferraz
Im Interview: Tobias Vogel

39, zeichnet als @kriegundfreitag Cartoons. Sein Pseudonym verdankt er der Auto-Korrektur seines Handys: Aus „Krieg und Frieden“ machte sie „Krieg und Freitag“. Aufgewachsen ist Vogel in Krefeld, heute lebt er in Hamburg.

Das ist eine gute Frage. Ich bin höchstwahrscheinlich von allen möglichen Anderen beeinflusst. Ich konsumiere viele Serien, Bücher, Podcasts. Wahrscheinlich sind da diverse Einflüsse in mich eingesickert. Irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Ideen andere Menschen zum Lachen bringen, ohne dass ich bewusst darauf hinarbeite. Mein Humor hat sich sozusagen von alleine in mir entwickelt.

Sie waren also nicht als Kind schon besonders lustig?

Nee, das kann ich nicht behaupten. Ich war nicht der typische Klassenclown. Und ich kann auch nicht behaupten, dass andere mehr über mich gelacht hätten. Zum Zeichnen bin ich ja erst spät gekommen. Ich war zwar schon immer kreativ, aber auch richtungslos. Erst mit Mitte 30 bin ich zu meiner jetzigen Ausdrucksform gelangt. Wahrscheinlich brauchte diese Ader ihre Zeit um sich entwickeln zu können.

Sind Sie in Ihrem Alltag auch lustig?

Ich hoffe doch. Das würde ich schon behaupten. Was ich vermisse, das ist eine Kehrseite der Selbstständigkeit, dass ich keine Ar­beits­kol­le­g:in­nen habe, mit denen ich mir die Bälle hin und her werfen kann. Das habe ich an meinem vorherigen Job sehr gemocht. Ich hoffe, dass ich da schon mal die ein oder andere Pointe gelandet habe.

Das soziale Umfeld ist auch inspirierend.

Auf jeden Fall! Das, was andere Menschen machen inspiriert mich. Ich bin auch sehr interessiert daran, was andere Kreative fabrizieren. Das sieht man in meinem Bücherregal. Ich bin offen für fremde Einflüsse, die ich in meiner eigenen Form umsetze. Wenn man offen für das Leben, für die Welt und für seine Umgebung ist, kann alles eine Inspiration sein. Das kann ein Dialog sein, den man aufschnappt oder ein Werbespot. Ansätze für Ideen kann man überall finden, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht.

Ihr Band „Babysachen“ zeugt davon, dass auch Ihr zweijähriger Sohn inspirierend für Sie ist.

Absolut. Ich hätte nicht gedacht, dass kleine Kinder so witzig sind. Gerade jetzt, wo er langsam fließender spricht, sagt er jeden Tag Dinge, die ich im Grunde nur aufschreiben muss und sie sind ein Knaller. Es ist fast Ideenklau, den ich bei meinem Zweijährigen betreibe.

In Ihrem Regal steht ein Band der feministischen Comiczeichnerin Liv Strömquist.

Irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Ideen andere Menschen zum Lachen bringen, ohne dass ich bewusst darauf hinarbeite. Mein Humor hat sich sozusagen von alleine in mir entwickelt.

Ja, ich finde ihn fantastisch. Liv Strömquist gibt einem Gedanken viel mehr Raum zur Entfaltung als ich. Es sind regelrechte Essays, die sie mit ihren Illustrationen produziert. Das habe ich selbst noch nicht gemacht und ich weiß nicht, ob ich das intellektuelle Rüstzeug dafür hätte. Vielleicht lasse ich es mal darauf ankommen und versuche auch etwas Längeres. Ihre Kunst ist es komplexe Ideen niedrigschwellig rüberzubringen.

Wie hat das Zeichnen bei Ihnen angefangen?

Das war kurz bevor ich meinen Twitter-Account gestartet habe, Anfang März 2017. Ich war mit meiner Frau in Eimsbüttel unterwegs. In einer Buchhandlung habe ich Bücher zum Thema „Zeichnen lernen“ gesehen und dachte vielleicht wäre das ein netter Ausgleich zu meinem Versicherungs-Job. Ich habe mir ein Skizzenbuch gekauft und bin relativ schnell bei den Strichmenschen gelandet, für die man natürlich keine Zeichnen-Lernen-Bücher braucht. Als ich die Zeichnungen auf Twitter veröffentlicht habe, gingen sie sofort durch die Decke. Das war unglaublich. Nach einem Monat hatte ich schon eintausend Follower:innen.

Ihr neuer Band heißt „Psyche, du kleiner Schlingel“. Beschäftigt Sie das Thema Psyche?

Ja, auf jeden Fall. Ich bin nicht der Typ, der aus seinem Herzen eine Mördergrube macht und alles nur mit sich allein aushandelt. Das ist ja etwas, was man Männern oft nachsagt. Ich bin dafür das eigene Seelenleben offenzulegen. Das will ich aber nicht auf obszöne Weise machen, indem ich alles hinschreibe, wie es in mir gerade stattfindet. Wenn, dann soll es auf eine pointierte Weise sein. Das versuche ich in meinen Cartoons umzusetzen.

Ihre Zeichnungen sind lustig und nachdenklich zugleich. Verkörpern die Strichmenschen Ihre eigenen Gedanken?

Nicht immer. Meine Zeichnungen sind vielleicht zu 70 Prozent autobiografisch. Teilweise denke ich mir Sachen schlicht aus.

Welche Zeichnung ist zum Beispiel autobiografisch?

In meinem älteren Band „Schweres Geknitter“ fragt eine gute Fee einen Strichmenschen, welchen Wunsch sie ih­m:ihr erfüllen kann: „Ewiges Leben, Reichtum?“ Der Strichmensch antwortet: „Sag mir bitte einfach, was mit mir nicht stimmt.“ Die Sehnsucht das, was in meinem Leben schief zu gehen scheint, auf eine simple Erklärung oder Diagnose herunterzubrechen, ist autobiografisch.

Was ist schief gegangen?

(Lacht.) Wo soll ich anfangen? Ich bin wahnsinnig unstrukturiert. Ich lasse viele Dinge Ewigkeiten schleifen. Ich bin teilweise das Cliché des verkrachten Künstlers. Das ist kein Cliché, das ich zelebriere, sondern eines, das ich sehr gerne sehr bald überwinden würde. Aber das ist nicht so einfach.

Bei vielen Ihrer Strichmenschen lässt sich eine Depression vermuten. Haben Sie damit selbst Erfahrung?

Tatsächlich nicht. Da fallen wahrscheinlich manche aus allen Wolken, wenn sie das lesen. Ich habe ja vorhin das Beispiel mit der guten Fee gebracht: Bei mir scheint das Verkrachte nicht aus einer psychischen Erkrankung, sondern aus einer Persönlichkeitsdisposition zu stammen. Manchmal wünschte ich, ich hätte dafür auch ein Label oder eine Diagnose.

Während der Corona-Zeit haben psychische Probleme zugenommen. Zeigt sich das in Ihren Zeichnungen?

Nein, das würde ich nicht sagen. Die Quellen für psychische Probleme waren bei mir auch schon vorher vorhanden. Als unser Sohn nicht in die Kita konnte und ich nicht ins Atelier, als wir die ganze Zeit aufeinander gehockt haben, da bin ich teilweise an meine Grenzen gekommen. Das ist aber nicht verstärkt in die Cartoons eingeflossen. Ich würde nicht sagen, dass die Depri-Cartoons, die ja ein bisschen ein Unter-Genre bei mir sind, deswegen zugenommen haben.

Für wen zeichnen Sie die Strichmenschen?

Für niemanden speziell. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mich beim Zeichnen lähmt, wenn ich das Publikum mitdenke. Dabei kommt entweder gar nichts oder nichts Gutes raus. Am besten funktioniere ich, wenn ich darüber gar nicht nachdenke. Ich habe auch schon Sachen gepostet, die untergegangen sind und totale Rohrkrepierer waren.

Warum sind Cartoons Ihre Ausdrucksform?

Ich habe lange davon geträumt einen Roman zu schreiben und bin daran gescheitert, dass ich erstens zu unorganisiert und zweitens schlicht zu faul bin. Ein Strichmenschen-Cartoon kommt mir da natürlich enorm entgegen. Ich muss zwar länger darüber nachdenken, aber dafür muss ich nicht am Schreibtisch sitzen. Das kann ich auch machen während ich die Wohnung aufräume. Die eigentliche Zeichenarbeit geht schnell, das kommt mir als notorischer Faulpelz sehr entgegen.

Was machen Sie, wenn Sie eine Strichmensch-Blockade haben?

Das passiert nicht. Blockaden entstehen, wenn man zu hohe Ansprüche an das eigene Tun hat. Es ist kein Weltuntergang, wenn ich mal einen Flop lande. In sozialen Netzwerken versendet sich das.

Wie reagieren Sie, wenn jemand Ihre Zeichnungen kritisiert?

Das kommt drauf an, was jemand kritisiert. Es ist absolut unmöglich, dass allen gefällt was ich mache. Wenn kritisiert wird, dass etwas an meinen Cartoons problematisch ist, dann nehme ich das ernst. Ich habe auch schon Sachen gelöscht, wenn jemand mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass etwas nicht angemessen war. Ich bin quasi ein Twitter-Urgestein und bin sensibilisiert.

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