Carsten S. im NSU-Prozess: Richter Hartnäckig
Der viel kritisierte Richter im NSU-Prozess, Manfred Götzl, beeindruckt mit einer peniblen Vernehmung des wegen Mordbeihilfe angeklagten Ex-Neonazis Carsten S.
MÜNCHEN taz | Was wurde der Vorsitzende Richter Manfred Götzl vor dem NSU-Prozess gescholten. Die Akkreditierung ausländischer Journalisten versemmelt. Verantwortlich für den verschobenen Auftakt. Berüchtigt für seine Wutausbrüche. So stand es in vielen Zeitungen, auch in der taz. Doch jetzt, da in dieser Woche der NSU-Prozess mit der Aussage des ersten Angeklagten richtig begonnen hat, straft Richter Götzl seine Kritiker Lügen.
Penibel vorbereitet hat der 59-Jährige am Dienstag und am Mittwoch den wegen Beihilfe zu neun der zehn Neonazi-Morde angeklagten Carsten S. vernommen. Wie ein Beichtvater hat er dem Angeklagten zunächst nur zugehört, ihm Raum gegeben für seine eigene Darstellung der Zeit um die Jahrtausendwende, als der heute 33-Jährige in der Jenaer Neonaziszene aktiv war und schließlich zum Helfer der untergetauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe wurde.
Es fällt Carsten S. schwer über diese Zeit zu reden, die er mit einem Ausstieg im Jahr 2000 und einem Coming-Out als Schwuler längst hinter sich glaubte. Jene Zeit, in der er und seine rechtsextremen Kumpels Katz und Maus mit den Behörden spielten und „zu einem guten Abend auch eine Polizeikontrolle gehörte“, wie S. im Rückblick sagt.
Einmal, so erzählt er mit brüchiger Stimme, hätten sie nach einer Kirmes in Jena Neonazigegner zusammengeschlagen. Auch er habe zugetreten. Kurz darauf habe etwas von zwei Schwerverletzten in der Zeitung gestanden. Die Erklärungsversuche, die Carsten S. liefert, klingen hilflos. Ein Gefühl der Stärke. Anerkennung.
Er habe „ein positives Gefühl gehabt“
Über den eigentlichen Tatvorwurf – die Beschaffung der NSU-Mordwaffe, einer Ceska-Pistole mit Schalldämpfer im Frühjahr 2000 – hatte Carsten S. schon am Dienstagabend irritierende Sätze gesagt. Er habe „ein positives Gefühl gehabt, dass die drei in Ordnung waren“. Für ihn seien sie „drei arme Verfolgte“ gewesen.
An viele Details seiner Kontakte mit dem Trio von 1998 bis 2000 erinnert sich Carsten S. nicht mehr. Immer wieder überlegt er lange, um dann zu sagen, er bekomme das „nicht mehr hergestellt“. Kann er nicht? Will er nicht?
Richter Götzl schaut durch seine runde Brille einfach nur auf den Angeklagten. Er hat die Hände gefaltet, wartet, ohne etwas zu sagen. Kommt da noch was?
Dann wird aus dem milden Zuhörer doch noch ein gestrenger Fragesteller. Götzl will es Carsten S. nicht einfach machen. Den naiven Mitläufer, der ohne echte Überzeugung in der Neonazi-Szene unterwegs war, kauft er ihm nicht ab.
„Was war Ihre Motivation?“
Carsten S. berichtet von „Aktionen“ gegen Dönerbuden, die man demoliert habe. Das sei „lustig“ gewesen, „wir haben uns damals einen Spaß gemacht, denen eins auszuwischen“. „Warum“, will Richter Götzl wissen, „was war Ihre Motivation?“ Als der Angeklagte herumdruckst, sagt Götzl: „Da weichen Sie mir jetzt aus.“
Carsten S. spricht von einem „gewissen Feindbild“, aber Wörter wie Rassismus bringt er nicht heraus. „Wen meinen Sie mit Feind?“, hakt Götzl nach. Ob er sich mit der Ausländerfeindlichkeit der Szene selber identifiziert habe? „Ja, ich habe mich damals auch damit identifiziert“, sagt Carsten S. schließlich.
Noch hartnäckiger ist Götzl bei der Frage, was sich der Angeklagte dachte, als er den mutmaßlichen NSU-Terroristen eine Pistole mit Schalldämpfer in den Untergrund lieferte. „Hatten Sie keine Bedenken, keine Befürchtungen?“, fragt der Richter. „Ich weiß es nicht“, antwortet Carsten S. „Das ist ja keine Spielzeugpistole, das ist eine gefährliche Waffe“, entgegnet Götzl. „Sie werden sich mit dem Thema einfach auseinandersetzen müssen.“
Einmal blitzt an diesem Mittwoch dann doch noch das Wutpotenzial in Richter Götzl auf. Als er gerade eine Frage gestellt hat, ruft einer der Nebenklage-Anwälte etwas dazwischen. Er verbitte sich die Einmischung, raunzt Götzl den Mann mit erhobener Stimme an. Er solle sich nicht in seine Fragen einmischen, die seien „sehr präzise und klar“. Stille in Saal A 101.
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