Caritas-Experte über E-Autos: „Ein großer Hebel für die Mobilitätswende“
Freitag beraten die Länder über die Pläne des Bundes, E-Dienstwagen zu fördern. Ob das den Pflegediensten hilft, erklärt Christopher Bangert von der Caritas.

taz: Herr Bangert, wie sind Sie heute zur Arbeit gekommen?
Christopher Bangert: Heute bin ich mit meinem Sohn gefahren, ich hatte eine Mitfahrgelegenheit. Normalerweise fahre ich mit Bus und Straßenbahn. Ich wohne auf dem Land in der Nähe von Freiburg, da habe ich eine ÖPNV-Anbindung. Die ist nicht brillant, aber in aller Regel nutze ich sie.
taz: Haben Sie einen Dienstwagen?
Bangert: Nein, nein. Bei uns in der Bundeszentrale des Deutschen Caritasverbandes gibt es keine Dienstwagen. Hier in der Dienststelle in Freiburg haben wir für die Hausmeister zwei Wagen, die sie vor Ort brauchen. Die kann man ausleihen, wenn man mal einen Termin irgendwo auf dem Lande hat. Aber die Bundeszentrale selbst hat keine, unser Reisemittel ist der Zug.
taz: Wer im Caritasverband hat denn einen Wagen?
Bangert: Ambulante Pflegedienste, Mobilitätsdienste, Mahlzeitendienste, Transportdienste, die Menschen mit Behinderung oder ältere Menschen dahin bringen, wo sie teilhaben können. Sie brauchen Autos, um diese Dienste überhaupt erbringen zu können. Manche Diözesanverbände haben Dienstwagen, um ihre Mitglieder in der Region zu betreuen – zum Beispiel, um von Freiburg hoch in den Schwarzwald zu fahren, wo man mit öffentlichen Verkehrsmitteln relativ lang braucht.
taz: Wie viele Dienstwagen sind das bundesweit?
Bangert: Man könnte es für die ambulanten Pflegedienste grob schätzen. In der Caritas haben wir 1.061 ambulante Pflegedienste, jeder Pflegedienst hat, vorsichtig geschätzt, mindestens zehn Autos. Dann kommen Sie schon auf gut 10.000. Aber es gibt sicherlich noch mehr. Wir haben 1.900 stationäre Pflegeeinrichtungen, etwa 600 stationäre Jugendhilfeeinrichtungen und fast 1.700 stationäre und teilstationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe. In der Wohlfahrtspflege insgesamt sind es über 125.000 Einrichtungen und Dienste in den unterschiedlichen Hilfebereichen – dazu gehören dann zum Beispiel auch die AWO, die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland oder das Deutsche Rote Kreuz. Viele nutzen Autos, um Teilhabe zu ermöglichen. Oder für die Verwaltung. Wir sind mit unseren Autos schon ein großer Hebel für die Mobilitätswende.
taz: Welche Alternativen gibt es zum Auto?
Bangert: Im städtischen Kontext gibt es bei den ambulanten Pflegediensten die Tendenz hin zu E-Bikes, weil man damit teilweise schneller ans Ziel kommt. Auch E-Roller sind langsam im Kommen. Aber der Standard ist schon noch der Kleinwagen.
taz: Mit Verbrennermotor?
Bangert: Bei den ambulanten Pflegediensten, die Menschen vor Ort versorgen und auch im ländlichen Raum unterwegs sind, würden wir gerne auf E-Mobilität umsteigen. Wir haben dazu letztens eine Befragung in der Freien Wohlfahrtspflege gemacht, allerdings nicht repräsentativ, bei der herauskam, dass knapp zwei Drittel der Dienste gerne auf E-Autos umstellen würde. Aber es scheitert an den Rahmenbedingungen.
taz: Woran genau?
Bangert: Elektroautos sind meistens teurer als Verbrenner. Dann sagen unsere Kostenträger: Die Beschaffung eines E-Autos ist nicht wirtschaftlich, weil es günstigere Alternativen gibt. Die Kostenträger kommen dafür also nicht auf. Das heißt, wir müssen den Wagen entweder komplett über eine Förderung finanzieren oder die Differenz zum Förderbetrag irgendwie wieder reinholen. Wir bräuchten eine wirksame, unbürokratische Förderung für elektrische Kleinwagen in der ambulanten Pflege und für E-Transporter, die wir für unsere Fahrdienste brauchen – zum Beispiel in Einrichtungen der Behindertenhilfe.
taz: So eine Förderung gab es schon mal.
Bangert: Genau, es gab mal das Flottenaustauschprogramm „Sozial & Mobil“. Das hat das Bundesumweltministerium 2020 im Kontext der Coronapandemie speziell für das Gesundheits- und Sozialwesen gestartet, auch als Konjunkturspritze. Da wurden wirklich viele kleine E-Autos in der Wohlfahrt mit insgesamt 200 Millionen Euro gefördert. Aber das Programm ist 2023 ausgelaufen und wurde nicht neu aufgelegt.
taz: Wie viele E-Autos konnte der Caritasverband damals anschaffen?
Bangert: Das haben wir nicht genau erhoben. Das Flottenaustauschprogramm hat schon viele Einrichtungen dazu motiviert, zumindest einen Teil ihrer Flotte auszuwechseln und kleine E-Autos anzuschaffen. Aber der Anteil ist noch sehr gering.
taz: Jetzt will die Bundesregierung Steuervorteile für elektrische Dienstwagen einführen. Firmen sollen die E-Autos schneller abschreiben können, die von ihnen angeschafft, aber auch privat von ihren Mitarbeitenden genutzt werden.
Bangert: Das bringt uns gar nichts, weil gemeinnützige Organisationen sowieso keine Ertragsteuern zahlen. Wir sind auf Zuschüsse angewiesen. Außerdem werden unsere Autos in der Regel nicht privat genutzt. Es kann mal sein, dass Mitarbeitende im ambulanten Pflegedienst die letzte Schicht fahren und den Wagen dann mit nach Hause nehmen dürfen, damit sie am nächsten Morgen wieder damit fahren können. Aber eigentlich ist das nicht Standard. Gut wären auch Entlastungen bei der Stromsteuer. Die würden E-Mobilität für unsere Dienste deutlich erschwinglicher machen.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ruft die Union und seine Partei zu einer Senkung der Stromsteuer für alle auf. „Hier geht es um Fairness“, sagte Woidke der dpa. „Ziel für die Bundesregierung muss daher sein, die Stromsteuer schnell für alle Stromkunden zu senken, um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren.“ Mehrere CDU-Regierungschefs verlangen ebenfalls eine Korrektur.
Union und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag eine Senkung der Stromsteuer für alle versprochen. Weil der Bundesregierung das zu teuer ist, will sie jetzt aber nur das produzierende Gewerbe und die Landwirtschaft entlasten. Das stößt auf Kritik, auch weil Anreize für den Kauf von E-Autos oder Wärmepumpen ausbleiben.
taz: Gerade wird diskutiert, dass die Stromsteuersenkung nur für Unternehmen und für die Landwirtschaft kommt.
Bangert: Da sind wir dann nicht dabei.
taz: Wenn Sie von kleinen E-Autos sprechen, was meinen Sie dann genau?
Bangert: Elektrische Kleinwagen, die weniger als 20.000 Euro kosten. Da gibt es einen echten Mangel, und das war auch schon problematisch im Rahmen des Flottenaustauschprogramms. Irgendwann gab es zwar noch Fördergelder, aber keine entsprechenden Autos mehr. VW und Co. haben sie schlicht nicht mehr produziert, weil sie größere Autos mit höheren Gewinnspannen verkaufen konnten. Wir sind jetzt aber optimistisch, dass die Autobauer bald E-Autos in allen Segmenten von klein bis groß anbieten.
taz: VW plant ein E-Auto für 20.000 Euro. Der ID. Every1 soll 2027 auf den Markt kommen. Bisher kostet das billigste E-Auto von VW mindestens 30.000 Euro – es gibt aber billigere Autos von internationalen Herstellern. Warum schlagen Sie da nicht zu?
Bangert: Wir achten schon auf unsere Lieferketten und darauf, dass bei der Produktion des Autos Menschenrechte geachtet werden. So fordert es das deutsche Lieferkettengesetz. Und, wie gesagt, das Geld dafür muss auch irgendwoher kommen.
taz: Wenn Mitarbeitende ein E-Bike oder einen E-Roller fahren, woher kommt das Geld dann?
Bangert: Das Investitionsvolumen ist natürlich deutlich geringer als bei einem E-Dienstwagen, doch grundsätzlich stellt sich die gleiche Frage: Unsere Dienste können kaum Rücklagen bilden. Auch 1.500 Euro für ein E-Bike müssen von den Kostenträgern – also von Pflegekassen oder über Beiträge, von den Kommunen oder überregionalen Sozialhilfeträgern – refinanziert werden. Ein Fördertopf würde hier auch helfen, besonders wichtig wäre er aber wirklich für die kleinen E-Autos.
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