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Campact-Vorstand zur Coronapolitik„Körperverletzung durch Unterlassen“

Campact ruft zum „harten Lockdown“ auf und will über Impfungen informieren. Vorstand Felix Kolb ist über Medien und Politik verärgert.

Inzwischen ein emotionales Thema: Campact will Bedenken gegen Corona-Impfungen entkräften Foto: Marta Fernandez Jara/imago
Eiken Bruhn
Interview von Eiken Bruhn

taz: Herr Kolb, Campact will über Corona-Impfungen aufklären. Wie kommt's?

Felix Kolb: In einer Umfrage hatten wir herausgefunden, dass sich zwar die allermeisten unserer An­hän­ge­r*in­nen impfen lassen wollen, aber ein Teil unsicher ist und Gefühle dabei eine große Rolle spielen. Wir haben ja nicht nur rational-analysierende Anteile, sondern auch emotionsgetriebene. Die springen auf Meldungen von Problemen und Nebenwirkungen an. Deshalb wollen wir nicht nur Fachinformationen liefern, sondern eine Stimmung kreieren, die zeigt, dass es normal ist, sich impfen zu lassen.

Das macht doch die Bundesregierung mit „Deutschland krempelt die Ärmel hoch“.

Aber diese Kommunikation erreicht nur die Leute, die der Bundesregierung vertrauen.

Das machen die Campact-Anhänger*innen nicht?

Nicht alle, und wenn man sich anschaut, was der Gesundheitsminister so hinlegt, ist das leider auch nicht komplett irrational. Wir starten immer wieder Projekte, die von unserem Standard, Gesellschaft durch Einmischung in Politikprozesse zu verändern, abweichen. Aufgrund unserer Größe haben wir auch eine gewisse Verantwortung. In dieser Situation erst recht. Es geht darum, möglichst schnell eine Herdenimmunität gegen Corona zu erreichen.

Wie wollen Sie bei dem Hin und Her um AstraZeneca ein positives Impfklima schaffen?

Das macht es nicht leichter. Aber gleichzeitig zeigt das doch nur, wie sorgfältig gearbeitet wird. Es wird eben nicht einfach drauf losgeimpft, sondern Empfehlungen werden angepasst, wenn es neue Erkenntnisse gibt.

Dienstag haben Sie eine Kampagne für einen „harten Lockdown“ gestartet. Einen Tag später hatte die 65.000 Unterschriften. Für Ihre Verhältnisse ist das wenig, oder?

Sabine Vielmo
Im Interview: Felix Kolb

47, ist Campact-Vorstand, Mitgründer von Attac und hat über die Auswirkungen von sozialen Bewegungen promoviert.

Das wussten wir aus Testmails vorher. Danach will eine Gruppe härtere Maßnahme, einer weiteren gehen die bestehenden zu weit und die größte Gruppe ist so verunsichert, dass sie nicht weiß, was sie richtig findet. In einer normalen Situation hätten wir die Kampagne nicht gestartet, wir wollten aber ein politisches Zeichen setzen.

Sie haben bereits im November vor der dritten Welle gewarnt und ein Umsteuern gefordert.

Ja, wie schon bei der zweiten Welle hat die Politik sowohl Wis­sen­schaft­le­r*in­nen ignoriert als auch die Entwicklungen in anderen europäischen Ländern.

Haben Sie eine Antwort auf die Frage nach dem Warum?

Entweder ist das eine kleinkindhafte Realitätsverweigerung der Regierungen. Oder sie hatten nicht den Mut, die öffentliche Empörung auszuhalten, die es gekostet hätte, vor vier Wochen nicht die Maßnahmen zu lockern, sondern zu sagen, wir müssen sie verschärfen. Dieser Fehler wurde auch vergangene Woche nicht korrigiert.

In meinen Augen handelt es sich beim Agieren der Verantwortlichen um vorsätzliche Körperverletzung durch Unterlassen. In jedem Fall ist dieses wiederholte Nicht-Handeln ein größerer Skandal als die Maskenkorruptionsaffäre, hatte aber keine politischen Konsequenzen.

Sie wirken erschüttert.

Ja, das geht vielen bei Campact so, weil die aktuelle Situation in mehrfacher Hinsicht zeigt, was uns in der Debatte um die Klimakrise noch erwartet. Schon jetzt sehen sich Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen wie Luisa Neubauer im Internet mit Hate Speech konfrontiert. Wenn ich sehe, wie Wissenschaftler*innen, die sich zu Corona äußern, massiv angegangen werden und sich deswegen sogar aus der Öffentlichkeit zurückziehen: Das macht mir Angst. Werden sich die Protagonist*innen, die jetzt Corona leugnen, als nächstes auf das Thema Klimakrise stürzen? Die andere Parallele, die extrem verstörend ist, ist wie Vi­ro­lo­g*in­nen und Phy­si­ke­r*in­nen alles, was in dieser Pandemie passiert ist, vorausgesagt haben, mit teilweise erschreckender Präzision.

Aber Wis­sen­schaft­le­r*in­nen sagen die Klimakrise doch seit 30 Jahren voraus.

Das zeigt, wie anstrengend das noch wird. Bei Corona braucht es aber nur Wochen oder Monate, um gegenzusteuern. Aber wenn bestimmte Klimakipppunkte erreicht sind, dauert das Jahrzehnte – falls überhaupt noch etwas möglich ist.

Sie haben gesagt, Sie möchten über die Rolle der Medien in der Pandemie sprechen.

Ja, das ist schwierig, da die AfD es salonfähig gemacht hat, Medien pauschal als Lügenpresse zu diskreditieren.

Früher waren wir „wie die Bild“. Jetzt gehört die taz zu den „gleichgeschalteten Systemmedien“.

Genau darum geht es mir nicht. Medien erfüllen ihre Aufgabe, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, im Großen und Ganzen gut. Aber Jour­na­lis­t*in­nen vergessen oft, dass sie nicht nur neutrale Be­ob­ach­te­r*in­nen sind, sondern durch ihre Berichterstattung selbst zu Ak­teu­r*in­nen werden. Wenn x Medien sagen, man solle mit der zweiten Welle mal nicht so eine Panik machen, senden sie damit auch Signale an die Politik und beeinflussen deren Wahrnehmung.

Aber kontrollieren sich Medien nicht gegenseitig?

Nach meiner Wahrnehmung nicht oder nicht genug. Das hat auch mit den Spielregeln zu tun, nach denen sie funktionieren, etwa der Run auf Negativ-News. Und Medien lagen ein paar Mal richtig falsch, zuletzt mit dem Diskurs, die Bevölkerung wolle unbedingt Lockerungen. Das war auf subjektive Beobachtung und nicht auf messbare Daten gestützt. Die sagten genau das Gegenteil.

Jour­na­lis­t*in­nen könnten sich auch fragen, warum sie die Politik im Sommer nicht genug angetrieben haben. Ich weiß noch, wie schockiert ich war, als es in der Tagesschau tagelang nicht um Corona ging.

Ich habe auch Corona-Pause gemacht.

Ich verstehe ja, dass alle müde waren, aber da haben Medien wirklich versagt. Mir fehlt ein gesellschaftlicher Raum, in dem sie sich selbstkritisch damit beschäftigen, welchen Einfluss sie auf den Verlauf der Pandemie hatten. Ich erlebe es oft bei Jour­na­lis­t*in­nen von Flaggschiff-Medien wie der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel, die haben alle ein ziemlich großes Ego und finden sich unheimlich wichtig für die Demokratie.

Aber sie übernehmen keine Verantwortung dafür, wenn etwas falsch läuft. Aber ein System, das nicht bereit ist, die eigenen Schwächen und Fehler zu reflektieren, gibt Verschwörungstheorien Nahrung.

Diese Krise beschäftigt Sie sehr, oder?

Ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich mich so massiv einschränke. Ich glaube, nicht nur bei mir entsteht Frust, wenn eine Politik alles, was Menschen mitgetragen haben, durch Unfähigkeit verspielt. Diese ständigen Appelle, vernünftig zu sein – und dann hat sie nicht den Mumm, sich über den Widerstand von Wirtschaftslobbys hinwegzusetzen.

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9 Kommentare

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  • Volle zustimmung!



    Nur mit dem letzten Teilsatz habe ich ein Problem: "nicht den Mumm, sich über den Widerstand von Wirtschaftslobbys hinwegzusetzen."



    Ich fürchte, das liegt nicht am Mumm, sondern an Korruption...

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""In meinen Augen handelt es sich beim Agieren der Verantwortlichen um vorsätzliche Körperverletzung durch Unterlassen.""



    ==



    Sie meinen mit den Verantwortlichen die sogeannnten Querdenker, oder das Verletzten der SchutzRegeln durch seltsame Impfgegner und sonstigen Covididioten und deren ohrenbetäubendes Stillschweigen in der Frage wie diese Gruppe andere vor Ansteckungen schützen möchte?

    Verantwortung abzuwälzen ist billig - und den eigentlichen Feind mit der oder den Regierungen zu verwechseln auch.

    Schon mal daran gedacht das sie wenn sie unter den Gültigkeitsbereich des Grundgesetzes fallen sie auch Pflichten haben?

    Das die Politik derzeit nicht besonders souverän aussieht liegt am



    a. Wahlkampf und



    b. darin begründet, das es in einer demokratischen Kompromiss- Republik keinen Kompromiss gibt zwischen den Flügeln der Covididioten -- über diejenigen, die wie die FDP wirksame lockdowns ausschliessen wollen und die Aussagekraft der Inzidenzen relativiern -- bis zu denjenigen, die härtere Kontaktbeschränkungen parallel zum Hochfahren der Impfbemühungen befürworten.

    Völlig egal was eine Regierung in dieser Situation beschliesst - Konsens in dieser Stimmungsgemengelage der Bevölkerung ist nicht möglich.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Im Moment geht es nicht um Konsens!



      Das macht der Artikel auch klar!



      Es geht um den Schaden, den nicht wirklich vernünftig agierende Politiker anrichten in einer Pandemie!



      Da müssten sie eigentlich über Eigeninteressen und Politikspielchen stehen - stattdessen gibt es einen Wettstreit der Eitelkeiten...

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @Mainzerin:

        Natürlich geht es um den Konsens durch Kontaktvermeidung den Virus daran zu hindern den nächsten anzustecken.

        Das ist der Kern des Problems - alles andere ist unwichtig hinsichtlich einer erfolgreichen Bekämpfung der Pandemie bis zur Impfung.

        Kennzeichen von aufgeklärten Individuen in einer Gesellschaft ist die Fähigkeit ""Wichtiges"" von ""Unwichtigem"" unterscheiden zu können.

  • RS
    Ria Sauter

    Da fiel mir nur ein:



    "Schuster bleib bei deinen Leisten!"



    Einen zweiten Lauterbach braucht niemand!



    Wenn das die Ängste von Herrn Kolb sind, dann möchte er diese bitte nicht allgemein verbreiten und Campact dazu missbrauchen!

    • @Ria Sauter:

      Unabhängig von der Frage, wer Recht hat - der Spruch fällt definitiv in die Kategorie "Wenn man keine Argumente hat...". Jemandem mit diesem Spruch eine legitime und diskursreife Meinung abzusprechen, aufgrund des bisherigen (beruflichen) Hintergrunds, zeugt lediglich von einem hohen Maß an Borniertheit.

      Mal abgesehen davon, dass sich die Menschheit nie weiterentwickelt hätte, wenn der Schuster bei seinen Leisten geblieben wäre...

      Zu Herrn Kolb/ Campact: Warum sollte ein Verein wie Campact, der zu jedem x-beliebigen Thema eine Kampagne hervorbringt, gerade zum wichtigsten Thema aufgrund eines mangelnden Hintergrunds schweigen?

    • @Ria Sauter:

      Eigentlich brauchen wir viele Lauterbachs. Herr Lauterbach hat nämlich meist Recht mit seinen Vorhersagen. Hat vielleicht was damit zu tun, dass er Ahnung von Virologie hat.

      Die meisten Politiker zimmern sich leider ihr Wunschvirus, dass sich dann bitte so verhalten soll, wie sie das gern hätten. Damit kommen sie an, weil sich zu viele Bürger am ihren Wünschen orientieren, nicht an den Tatsachen.

  • "Wie wollen Sie bei dem Hin und Her um AstraZeneca"

    Da gab es kein Hin und Her, sondern jeweils gut begründbare Entscheidungen aufgrund der vorliegenden Faktenlage - ein Hin und Herr gibs nur bei Medien die "Aufregung" für die Auflage brauchen!

    "Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen wie Luisa Neubauer"



    Die Dame zielt mit ihrem Werdegang klar auf eine Politikerkarriere - das ist keine Kli­ma­ak­ti­vis­tin, das ist einfach Ihr Pfad zum gut dotierten Posten. Aktivisten machen sowas in ihrer Freizeit!

    Aber Wis­sen­schaft­le­r*in­nen sagen die Klimakrise doch seit 30 Jahren voraus.



    Die ersten - erstaunlich präzisen - Vorhersagen sind inzw. weit über 100 Jahre alt!



    siehe Wikipedia: Der atmosphärische Treibhauseffekt wurde erstmals 1824 von Joseph Fourier beschrieben; ab den 1850er Jahren gab es weitere Forschungen. Der Chemiker und Physiker Svante Arrhenius sagte im Jahr 1896 eine globale Erwärmung durch die von Menschen emittierten CO2-Mengen voraus. 1938 gelang es Guy Stewart Callendar, auf der Basis von Temperaturmessungen erstmals die globale Erwärmung nachzuweisen.

    • @danny schneider:

      ""Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen wie Luisa Neubauer"

      Die Dame zielt mit ihrem Werdegang klar auf eine Politikerkarriere - das ist keine Kli­ma­ak­ti­vis­tin, das ist einfach Ihr Pfad zum gut dotierten Posten. Aktivisten machen sowas in ihrer Freizeit!"



      Warum werden Foristen immer gleich unsachlich und persönlich beleidigend wenn es um Klimaaktivistinnen geht?



      Weil es Frauen sind?