CSU-Parteitag vor gefürchteter Landtagswahl: Vier Daumen für ein Halleluja

Auf ihrem Parteitag achten die CSU-Granden peinlich genau auf ihre selbstbewußte Front. Droht ihnen doch das Unvorstellbare: der Verlust der absoluten Mehrheit.

"Den anständigen Bayern schüttelt's beim Gedanken an eine Koalition": Beckstein (l) und Huber demonstrieren Einigkeit. Bild: AP

NÜRNBERG taz Die wohlmeinendsten Gesten können manchmal die verletzendsten sein. Der Parteitag ist fast schon beendet, da drängt der Fürther Kreisrat Hans Haag mit einem Plakat zu den abgezäunten Sitzreihen der Vorstandsmitglieder. "CSU 55 % + x", steht darauf. Der Parteivorsitzende Erwin Huber hat gerade mit Mühe sein Schlussreferat zu Ende gebracht. Er will jetzt ein wenig gefeiert werden und hofft, dass der Applaus nicht allzu viel dünner ausfällt als vor ein paar Stunden der für den Ministerpräsidenten Günther Beckstein.

Huber zögert, was er mit Haag und seinem Plakat tun soll. Ihn ignorieren, von den Ordnern gar abdrängen lassen? Das sähe nicht gut aus. Da greift er lieber beherzt zu und hält das Pamphlet mit den Erfolgszahlen selbst in die Luft - mit den Zahlen, die das gegenwärtige Führungsduo so klein aussehen lassen. Am Ende hält sich auch Beckstein an der Stange fest, die das Plakat trägt. Jener Beckstein, der zuletzt befand, auch bei einem Ergebnis unter 50 Prozent werde für die CSU die Welt nicht untergehen.

Die Unsicherheit lugt hinter der Fassade dieses Parteitags überall hervor, mit dem sich die CSU an diesem Wochenende in Nürnberg auf die Landtagswahl am 28. September einstimmt. Sie wird sogar größer mit jedem Versuch, sie irgendwie zuzudecken, jede kraftvolle Parole gerät zum stillschweigenden Eingeständnis der Schwäche. Im Grunde weiß die Partei überhaupt nicht, was das ist: ein Wahlkampf, bei dem es nicht bloß um die Größe der absoluten Mehrheit geht, sondern um die Verteidigung der Mehrheit selbst.

Nach den Umfragen ist es nicht ausgeschlossen, dass es im Herbst ein Parlament mit sechs Parteien gibt. Neben CSU und SPD werden die Grünen ziemlich sicher in den Landtag einziehen, bei FDP, Linkspartei und freien Wählern ist das zumindest möglich. Für die Mehrheit der Sitze brauchten die Christsozialen dann auch wirklich die Mehrheit der Stimmen.

Die Partei versucht, die eigene Angst vor einer Zukunft ohne CSU-Alleinregierung auf die Wähler zu übertragen. "Den anständigen Bayern schüttelt's bei dem Gedanken an eine Koalition", sagt der Ministerpräsident. Der Parteivorsitzende wird noch deutlicher: "Eine Denkzettelmentalität zeugt nicht von Patriotismus und von Liebe zum Land."

Dieses Land aber versteht die CSU selbst nicht mehr so ganz. Das Land, in dem rund 5 Prozent der Wähler für die Linke stimmen wollen. In dem auf dem Land die Wirtshäuser sterben. In dem die Münchener Telefonistinnen nun sächsisch sprechen. Wo die Partei früher für deftige Sprüche gut war, versucht sie sich mit Sowohl-als-auch-Sätzen an die veränderte Realität anzupassen. Heraus kommen umständliche Aussagen wie jene, mit der Beckstein seine Familienpolitik erläutert: "Wir wollen diejenigen, die Frau Leyen als Zielgruppe ansieht, genau wie diejenigen, die Bischof Mixa anspricht."

Huber und Beckstein strampeln sich ab, kämpfen ums eigene Überleben und um die Mehrheit der Partei. Unterdessen sitzt die übrige CSU-Prominenz auf den Zuschauerbänken und hält sich fein heraus. Die Bundesminister Horst Seehofer und Michael Glos, der Berliner Landesgruppenchef Peter Ramsauer, die machtbewussten jungen Bezirkschefs, allen voran Exgeneralsekretär Markus Söder - sie applaudieren so teilnahmslos wie pflichtbewusst, sie studieren ungewohnt ausführlich das Parteiblatt Bayernkurier, sie lesen die Kurznachrichten auf dem Handy. Sie warten ab und halten sich bereit für die Zeit nach der Landtagswahl.

Untereinander ist das Führungsduo peinlich auf Symmetrie bedacht. Huber und Beckstein werden in zwei Wahlkampfbussen mit ihrem jeweiligen Konterfei durchs Land fahren, obwohl für das Amt des Ministerpräsidenten doch nur Beckstein kandidiert. Sie dürfen auf dem Parteitag gleich lange Reden halten, in denen sie auf ermüdende Weise das Gleiche sagen. Abgestimmt haben sie die Texte vorher nicht, erläutert Beckstein. Niemand soll glauben, das geschehe aus Misstrauen: "Wir vertrauen uns blind." Vom Podium aus sagt der Ministerpräsident sogar, die Zusammenarbeit mit dem Parteivorsitzenden sei "traumhaft".

Nach der Rede, die für Becksteins Verhältnisse geradezu mitreißend ist, winkt der Ministerpräsident seinen Finanzminister auf die Bühne. Doch Huber will nicht. Er schickt erst einmal Becksteins Frau nach oben. Dann überlegt er es sich anders, geht hoch und imitiert sogar Becksteins Gesten. Vier hochgerissene Arme, vier hochgestreckte Daumen. Unten im Saal wiederholt sich das Spiel. Beckstein klettert auf seinen Stuhl, reckt die Hände wieder in die Luft. Und wieder folgt ihm Huber erst beim zweiten Anlauf, steigt erst nach einem kurzen Zögern hoch. So war es auch am Vortag schon, beim Besuch der Kanzlerin. Begrüßt wird sie von Parteivize Ingo Friedrich, ein Empfang durch Huber oder Beckstein könnte die empfindliche Symmetrie der Doppelspitze durcheinanderbringen.

Ihre Rede gerät zur taktischen Meisterleistung. Sie lobt die historischen Verdienste der CSU - und erteilt damit der gegenwärtigen Führungsspitze eine Lektion, gegen die sie sich nicht wehren kann, der sie sogar noch applaudieren muss. Sie lobt Franz Josef Strauß und macht damit die aktuelle CSU-Führung sehr klein. Sie schimpft auf die zerstrittene SPD und rügt damit indirekt die Schwesterpartei, die in der Union ständig Konflikte entfacht. Sie rühmt den ausgeglichenen Haushalt Bayerns und gibt damit einen Hinweis , warum der Bund die Pendlerpauschale nicht wiedereinführen kann.

Die Christsozialen können an diesem Tag nicht oft genug betonen, auch Helmut Kohl sei auf ihren Parteitagen schon gefeiert worden. Dennoch ist es diesmal anders. Früher war die eigene Führung nie so schwach, die Mehrheit bei der nächsten Landtagswahl nie so fraglich, die Partei selbst nie so verunsichert über die Verhältnisse im eigenen Land. Fast ist es schon nicht mehr so wie auf dem Kongress einer eigenständigen Partei, sonder wie auf der Tagung eines CDU-Landesverbands - eines Verbands von der braveren Sorte allerdings.

Nach Merkels Rede sieht Huber recht hilflos aus. Minutenlang steht er neben der im Applaus badenden Kanzlerin, einen Blumenstrauß in der Hand, der aussieht wie ein Trostpreis für ihn selbst. Dann sagt er, mitten in den Beifall hinein: "Es ist für die Ärzte in Bayern sehr wichtig, dass das Honorarvolumen sichergestellt ist." Keiner soll überhören, dass sich die CSU wenigstens in diesem Punkt durchgesetzt hat. Es hört sich nach Merkels rauschender Rede sehr kleinkariert an.

Dann setzt sich Merkel auf die CSU-Vorstandsbank. Sofort buhlen Huber und Beckstein um die Gunst der Berlinerin, auch auf dem Weg zum Ausgang buhlen sie darum, wer am Ende der Partie länger im Besitz der Kanzlerin gewesen ist. Dann sitzt Merkel auch schon im Auto, auf dem Weg in ihren vorpommerschen Wahlkreis.

Huber und Beckstein bleiben ratlos auf dem blauen Teppich zurück, mit dem die Treppe vor der Messehalle ausgekleidet ist. "Kommt, gehn wir wieder rein", sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla - und verschwindet. Seine CSU-Kollegen bleiben und geben Interviews. Getrennt. Huber lässt sich vor einen CSU-Logo fotografieren. Auf Beckstein strebt schüchtern ein Parteitagsbesucher zu. "Herr Ministerpräsident, Ihr Schnürsenkel ist offen", sagte er. "Nicht dass Sie noch ins Stolpern kommen."

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