CDUlerin über bedrohte Flüchtlinge: „Durchgreifen, sobald ein Stein fliegt“
In Deutschland brennen jede Woche Flüchtlingsheime. Die Integrationsexpertin Cemile Giousouf über Rechtsextreme, Asylpolitik und Verantwortung.
taz: Frau Giousouf, in dieser Woche endet die parlamentarische Sommerpause des Bundestages. Während des Sommers hat sich die Situation für Flüchtlinge in Deutschland dramatisch zugespitzt. CDU-Innenminister de Maizière will die Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen verdoppeln und setzt auf Gutscheine statt Bargeld. Ist das die richtige Antwort der Union an bedrohte Menschen?
Cemile Giousouf: Unser Innenminister versucht damit, die Anreize für die Menschen zu mindern, die hier kein Recht auf Asyl haben. Es ist menschlich nachvollziehbar, dass diese Leute den entsprechenden Antrag stellen. Unser Grundgesetz regelt klar, wer Recht auf Asyl in Deutschland hat. Wirtschaftliche Gründe zählen eben nicht dazu. Damit sind wir langfristig überfordert. Wir müssen statt dessen den Schutzbedürftigen helfen, die ein begründetes Recht auf Asyl haben.
Und was sagen Sie nun zu dem Gutschein-Vorschlag des Innenministers?
Ich halte davon wenig. Ich würde mir wünschen, dass wir unsere Energie auf andere Fragen richten.
wurde geboren 1978 und ist die integrationspolitische Sprecherin der Unions-Fraktion. Sie kam 2013 in den Bundestag, zuvor arbeitete sie als Referentin im Integrationsministerium von Nordrhein-Westfalen. Im Parlament sitzt Giousouf im Bildungsausschuss. Sie ist die erste Muslimin in der Unions-Fraktion überhaupt. Ihre Familie stammt aus Griechenland und gehörte hier der türkischen Minderheit an.
Bitte ein paar Beispiele. Welche wären das?
Ein Weg wäre, weitere sichere Herkunftsstaaten gesetzlich festzulegen und die Verfahren zu beschleunigen. Und wir müssen die entsprechenden Länder in die Verantwortung nehmen, ihre Minderheitenrechte einzuhalten und Bürger besser zu behandeln. Natürlich geht es auch um Geld: Der Bund verdoppelt seine Zuweisungen an die Länder und Kommunen.
In Deutschland brennen in jeder Woche Flüchtlingsunterkünfte. Hätte die Bundesregierung – allen voran die Kanzlerin – früher reagieren müssen?
Dass die Lage so eskaliert, konnte niemand voraussehen. Das Ausmaß hat uns alle schockiert. Aber es reicht nicht mehr, dass sich Politikerinnen und Politiker solidarisch erklären. Wir müssen darüber nachdenken, was wir strukturell tun können, um diesen Fremdenhass langfristig zu bekämpfen. Die Flüchtlinge werden ja dort vor Ort leben.
Was muss passieren?
Die Flüchtlinge müssen gut untergebracht und geschützt werden. Wir brauchen für die Integration dieser Menschen einen langfristigen Plan. Und wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen. Betroffenheit hilft jetzt nicht weiter. Man sieht in diesen Tagen deutlich, dass die Linie nicht zwischen den Flüchtlingen und der deutschen Bevölkerung verläuft, sondern zwischen den Demokraten und denen, die gegen unsere Demokratie agieren.
Sie sagen: Menschen, die gegen Flüchtlinge hetzen, stehen außerhalb des Grundgesetzes. Was sollte der Staat gegen diese Personen unternehmen? Der Bund deutscher Kriminalbeamter fordert eine Neudefinition des Terrorismus-Begriffs.
Ich bin ganz nah an dieser Forderung. Aber es würde schon sehr viel helfen, wenn die Polizei härter durchgreift, sobald ein Stein fliegt, sobald ein Arm gereckt wird. Es gibt ja genug Beispiele, wo geltendes Recht konsequent angewendet wird.
Flüchtlinge, die aus einer Bedrohungssituation kommen, haben Angst in Deutschland. Was sagen Sie als Integrationsbeauftragte diesen Menschen?
Dafür kann man sich eigentlich nur schämen. Ich hoffe, das wir als Gesellschaft die aktuelle Bedrohungslage in den Griff bekommen. Denn das ist unsere Aufgabe. Die Menschen, die hier herkommen, haben ein Recht auf Unversehrtheit.
Auch unter Helfern wächst die Angst vor Angriffen. Wie können sie geschützt werden?
Sie haben ja gesehen, selbst die Bundeskanzlerin wurde als Volksverräterin bezeichnet. Diesen Leuten ist erkennbar egal, welche Autorität, welcher Mensch vor ihnen steht. Das muss man mit aller Härte bekämpfen.
Was muss die Große Koalition jetzt anpacken?
Das Schicksal der Schwächsten muss jetzt in den Fokus der Politik rücken. Ich wünsche mir, dass das zu einer Herzensaufgabe der Bundesregierung wird. Und zwar nicht nur der Unionsfraktion. Mich stört, wie wir uns parteiübergreifend die Verantwortung zuschieben. Das ist das falsche Signal. Ich würde mir wünschen, dass Europa gemeinsam mindestens genauso viel Energie in die aktuelle Flüchtlingspolitik steckt, wie wir das zuletzt in der Griechenland-Frage getan haben.
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