CDU und AfD im Kommunalen: Frankensteins unmögliche Koalition
In einer pfälzischen Gemeinde kooperieren CDU und AfD. Die Geschichte des Ehepaars Schirdewahn und einer Siedlung ohne Wasseranschluss
Es ist ein kurzer Prozess. Das Fraktions-Ehepaar verlässt die nichtöffentliche Sitzung nach nur 15 Minuten wieder. Der Vorsitzende des dreiköpfigen Parteigerichts erklärt eine Stunde später, Monika Schirdewahn habe gegen die Grundsätze der Partei verstoßen, als sie im Gemeinderat von Frankenstein eine Fraktionsgemeinschaft mit der AfD gebildet habe. Das Gremium habe einstimmig entschieden. Monika Schirdewahn wird aus der CDU ausgeschlossen.
Ist das das Ende von „Frankensteins Koalition“, der ersten offiziellen Zusammenarbeit einer CDU-Politikerin mit der AfD, die es damit bis in die ehrwürdige New York Times geschafft hat? Dem kurzen Prozess von Neustadt könnte ein langer, quälender durch die Instanzen folgen. Denn fürs Nachgeben ist das Ehepaar Schirdewahn nicht bekannt. Und eigentlich ist die unheilige Allianz von AfD-Schirdewahn mit CDU-Schirdewahn nur der vorläufige Höhepunkt einer Provinzposse, die viel älter ist als die AfD. Sie erzählt einiges darüber, was passieren kann, wenn sich etablierte Parteien an der Basis zurückziehen.
950 Einwohner, eine historische Burgruine, ein Reifenhändler und ein paar Geschäfte, dazu ein Bahnanschluss – aus viel mehr besteht das Örtchen Frankenstein nicht. Im vergangenen Jahr wurde die Grundschule geschlossen. Zu wenige Schüler, sagte das SPD-geführte Kultusministerium. Eine Willkürentscheidung, sagt Frankensteins Ortsbürgermeister Eckhart Vogel von den Freien Wählern. Denn fast alle anderen Zwergschulen im Land seien unangetastet geblieben. Kultusministerin Stefanie Hubig (SPD) habe sich nie einer Diskussion in Frankenstein gestellt.
SPD löst sich auf, CDU auferstanden, AfD ganz neu
Bei der Gemeinderatswahl in diesem Jahr hat die SPD dann keine Liste mehr aufgestellt, altgediente Mitglieder waren nach der Schulschließung ausgetreten, keiner aus der Landespartei hat versucht, sie aufzuhalten. Frankenstein wäre zum Einparteiensystem aus Freien Wählern geworden, wären da nicht die Schirdewahns angetreten. Die CDU hatte zuletzt vor 15 Jahren einen Sitz im Rat. Die AfD gab es bisher nicht. Im letzten Jahr hat dann zuerst Monika Schirdewahn mit ihrem Parteieintritt die bis dahin scheintote Frankensteiner CDU wiederbelebt. Kurz vor dem Meldeschluss verkündete dann auch ihr Mann Horst seine Kandidatur – für die AfD.
Nun wählt man in Frankenstein nicht wegen großer Arbeitslosigkeit den Protest oder weil man hier vom öffentlichen Nahverkehr abgeschnitten wäre. Frankenstein ist nicht abgehängt, eher eine Schlafstadt für Leute die mit der S-Bahn nach Kaiserslautern oder Ludwigshafen zu gut bezahlten Jobs pendeln.
Das Thema, das die AfD-CDU-Allianz ermöglicht hat, klingt wie ein abgeschmackter Wild-West-Plot: Es geht um Grundstücke und das Recht auf Wasser in einem kleinen Seitental. Die Schirdewahns kämpfen seit Jahren für den Wasseranschluss in ihrer Siedlung im Schliertal. Sie haben noch von keinem Gericht recht bekommen, glauben aber für ein Menschenrecht einzutreten.
Der Zankapfel: ein Tal ohne Wasseranschluss
Ins Schliertal geht es vor dem Frankensteiner Ortsschild gleich rechts über einen holprigen Wirtschaftsweg ohne Laternen und Befestigungen. 100 Menschen leben hier auf großzügigen Grundstücken, ziemlich nah an der Natur. Datschen, Häuschen, manchmal ganze Anwesen reihen sich am Weg entlang. Manche Schliertaler sind hier nur am Wochenende, andere sind längst ganz hergezogen, obwohl das nicht ganz legal ist. Eines haben hier alle Bewohner gemeinsam: Das Wasser kommt nur dann aus dem Hahn, wenn die Bewohner vorher auch ihre Tanks gefüllt haben.
Markus Frenkel zeigt den 3.000 Liter fassenden Wassertank im Keller seines Hauses. Frenkel heißt eigentlich anders, will seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen. Sonst gäbe es Ärger im Ort, sagt er. Er lebt mit seiner Frau und Sohn auf drei Stockwerken. Garage, Veranda, Garten und auch sonst alles dabei, was sich ein Häuslebauer wünscht. Nur eben keinen Anschluss an die örtliche Wasserversorgung.
Regelmäßig fährt er deshalb mit einem Kanister auf dem Anhänger zu seinem Cousin, bei dem er Wasser zapfen kann. Der Kanister im Keller reicht zwei, drei Monate, sagt er, „wenn der Kleine nicht jeden Tag badet“. Für Waschmaschine und Toiletten nutzt die Familie Regenwasser. Eigentlich gebe es eine Wasserentnahmestelle im Tal, erzählt Frenkel. Aber die gehöre einem Nachbarn, der nicht jeden zapfen lässt. Frenkel nennt ihn den „Wassergott“, von dem er nicht abhängig sein will.
Markus Frenkel fühlt sich von der Verwaltung hinters Licht geführt. Ja, er habe gewusst, dass das Schliertal kein echtes Baugebiet sei, und hier nur Wochenendhäuser zugelassen seien, sagt er. Aber als er sich damals in den 1990ern entschieden habe, sein Haus auf das Familiengrundstück im Schliertal zu bauen, habe ihm der damalige Bürgermeister versprochen, dass sich das bald ändert und dass das Schliertal ans Wassernetz angeschlossen wird. Schriftlich hat Frenkel das allerdings nicht.
„Wasser ist ein Menschenrecht“, schreibt Monika Schirdewahn, in einer Mail an die taz. „Die Sicherung dieses Zugangs sei eine Kernaufgabe staatlicher Daseinsvorsorge.“ Sie führt die Vereinten Nationen ins Feld. Man kann mit ihr leider nicht darüber sprechen. Seit dem Parteiausschlussverfahren beantworten die Schirdewahns Pressefragen nur per Mail. Aber klar ist, dass das Ehepaar die meisten ihrer insgesamt 110 Stimmen bei der Gemeinderatswahl wegen der Wasserfrage erhalten hat.
Ortsbürgermeister Vogel und drei Aktenordner
Eckhard Vogel hat drei Aktenordner mitgebracht, voll mit Eingaben, Klagen, Beschwerden und Flugblättern, alle von Horst Schirdewahn. Er schiebt zwei Schultische zusammen, damit er alles, womit ihm der jetzige AfD-Gemeinderat schon seit Jahren das Leben schwer macht, ausbreiten kann. Ortsbürgermeister Vogel hält ein Flugblatt in die Höhe, unterzeichnet von Horst Schirdewahn: „Mir ist bekannt,“ schreibt er da, „dass aufgrund meines Rufs in der Ortsgemeinde einige dieses Schreiben direkt vernichten werden.“
Neuer Höhepunkt der Attacken gegen Vogel ist ein anonymes Flugblatt. Dort wird ihm vorgeworfen, er habe jahrelang eine zu hohe Aufwandsentschädigung für sein Amt als ehrenamtlicher Bürgermeister bezogen. Es folgten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die mittlerweile eingestellt sind. Vogel ist sich sicher, woher auch dieses Flugblatt kommt. Er hat seinerseits Anzeige wegen übler Nachrede gegen Horst Schirdewahn gestellt.
Krawall hin, AfD her, kann man diesen Konflikt nicht aus der Welt schaffen und das Schliertal an die Wasserversorgung anschließen? Eckhard Vogel schnauft tief durch. Er hat diese Frage schon so oft beantwortet. Das Schliertal sei von Anfang an, seit den 1970er Jahren, als Wochenendhaus-Gebiet geplant gewesen, erklärt er, „dauerhaftes Wohnen war nie vorgesehen und nie erlaubt“. Dass sich da mancher ein ganzes Anwesen aufs Grundstück gesetzt habe, ändere nichts daran. Diese Einschätzung wird von zwei Verwaltungsgerichtsurteilen unterstützt. Die Schirdewahns waren 2014 damit gescheitert, einen Wasseranschluss gerichtlich zu erzwingen.
Wahrscheinlich könne man das Schliertal heute gar nicht mehr in ein Wohngebiet umwidmen, sagt Vogel, denn es sei längst als Biosphärenreservat ausgewiesen. Davon ganz abgesehen sei für die meisten im Tal alles in Ordnung, wie es ist. Die Schirdewahns hätten bei weitem nicht alle Schliertaler hinter sich.
Der CDU-Parteiausschluss: Das kann dauern
Marcus Klein will nicht entscheiden, wer an dem Konflikt im Schliertal Schuld hat. Er ist Kreisvorsitzender der CDU, seit Kurzem rheinland-pfälzischer Landtagsabgeordneter und hat das Parteiausschlussverfahren gegen Monika Schirdewahn auf den Weg gebracht. Nein, er habe Monika Schirdewahn vor ihrem Parteieintritt nicht gekannt, sagt er. Aber selbst wenn, hätte es keinen Grund gegeben, sie nicht in die CDU aufzunehmen. Mit der Siedlung im Schliertal sei in der Vergangenheit sicher etwas schiefgelaufen, gibt Klein zu. Klar sei aber auch, „dass die Bewohner heute der Räumung näher stehen als dem Wasseranschluss“. Für ihn ist der Fall klar, Monika Schirdewahn muss die Partei verlassen. Aber Klein weiß auch, dass „es gar nicht so einfach ist, ein Parteimitglied auszuschließen“.
Auch seine ungeliebte Parteifreundin ist sich dieser Tatsache bewusst. Sie hat schon angekündigt, Beschwerde beim Landesparteigericht einreichen. Monika Schirdewahn schreibt in ihrer Mail: „Natürlich werde ich weitermachen.“
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