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CDU-nahe BerichterstattungBeißhemmungen beim NDR

Nach Beschwerden eines Reporters über politische Einflussnahme seiner Kieler Vorgesetzten schaltet sich der Landesrundfunkrat ein.

Nah an Daniel Günther: NDR-Redakteur:innen Stefan Böhnke und Julia Stein 2017 mit Spitzenkandidaten Foto: Axel Heimken / dpa

Bremen taz | Gut besucht soll die interne Online-Veranstaltung des NDR-Funkhauses Schleswig-Holstein am Donnerstagabend gewesen sein. Die NDR-Mitarbeiter:innen wollten persönlich von Funkhausleiter Volker Thormählen, Chefredakteur Norbert Lorentzen und Julia Stein, Leiterin des Ressorts Politik und Recherche, hören, wie sie sich gegen die Vorwürfe der politischen Einflussnahme auf die Berichterstattung verteidigen.

Aus ihrer Sicht haben sie nichts falsch gemacht, als sie vor zwei Jahren einem Reporter untersagten, ein Interview mit dem von Ministerpräsident Daniel Günther zum Rückzug gezwungenen Innenminister Hans-Joachim Grote (beide CDU) zu führen. So hatte es der NDR schon am Mittwoch in einer Stellungnahme geschrieben. Der Anlass für diese: Recherchen des Onlinemagazins Business Insider über Beschwerden von Mit­ar­bei­te­r:in­nen über eine CDU-nahe Berichterstattung des Senders.

Das Magazin hatte am Donnerstag aus einem nicht-öffentlichen Papier des NDR zu diesen Beschwerden zitiert. Hauptsächlich geht es darin um den Vorschlag eines namentlich nicht genannten Reporters, Grote kurz nach seinem Rücktritt zu interviewen. Er wollte diesen befragen, warum er bei seinem Chef und CDU-Parteifreund Günther in Ungnade gefallen war. Seine Vorgesetzten lehnten dies ab. Angeblich, weil die Darstellung des Ex-Innenministers nicht relevant sei. Eine solche journalistische Einschätzung mutet sehr ungewöhnlich an – selbst wenn man in Betracht zieht, dass ein Fernsehinterview einen Sender sehr viel teurer zu stehen kommt als ein Interview für einen Zeitungsartikel.

Statement des Ex-Innenministers entschärft

Zuvor hatte die Ressortleiterin Julia Stein laut Business Insider bereits ein schriftliches Statement des Innenministers so verändert, dass es keine direkten Angriffe auf den Ministerpräsidenten mehr enthielt. Der Reporter – der jetzt in einer anderen NDR-Redaktion arbeiten soll – hatte sich daraufhin mit einer Beschwerde an den Redaktionsausschuss des NDR gewandt. Das Gremium besteht aus 17 bis 19 freien und fest angestellten Journalist:innen. Eine seiner Aufgaben ist laut Redaktionsstatut die Schlichtung in genau solchen inhaltlichen Konflikten zwischen Mit­ar­bei­te­r:in­nen und ihren Vorgesetzten.

Die Befassung des Redaktionsausschusses bestätigt der NDR in seiner offiziellen Stellungnahme, in der der Sender den Vorgang für abgeschlossen erklärt; das interne Papier ist der Abschlussbericht des Ausschusses. Allerdings räumt der Sender in seiner Stellungnahme ein, dass es nach wie vor unterschiedliche Einschätzungen zu dem abgesagten Interview gibt. „Der Redaktionsausschuss kommt in seiner abschließenden Bewertung vom Dezember 2021 zu dem Ergebnis: Ja, das Interview hätte geführt werden müssen“, heißt es in der Stellungnahme. Der Redaktionsausschuss wird in einer eigenen Stellungnahme deutlicher: „Der NDR hat die Chance nicht genutzt, konkrete und kritische Fragen an einen entlassenen Minister zu stellen.“

Der Sender stellt sich aber aufseiten der Leitungsebene, die sich damit verteidigt, das Interview wäre „auf Basis unbelegter Informationen“ angefragt worden, der Reporter hätte diese erst weiter recherchieren müssen. Der Redaktionsausschuss sei auch hier anderer Meinung, schreibt der NDR: Nach dessen Einschätzung stellten „auch Interviews eine Form der Recherche dar“. Zum Hintergrund: Es gehört zur journalistischen Praxis, zur Aufklärung eines Sachverhalts alle Beteiligten anzuhören. In manchen Fällen werden die Aussagen als Zitate in einen Fließtext eingearbeitet, in anderen als Wortlaut-Interviews gedruckt oder gesendet.

Im Fall des geschassten schleswig-holsteinischen Innenministers hätten sich vermutlich viele Redaktionen für ein Interview mit ihm entschieden, weil die Hintergründe seines Rücktritts bis heute nebulös geblieben sind. Der Ministerpräsident hatte damals gesagt, er habe das Vertrauen in Grote verloren, nachdem dieser Informationen, „die das politische Handeln betreffen“, ausgeplaudert habe – an einen Polizeigewerkschafter und einen Journalisten. Dies habe er Chatprotokollen zwischen den beiden entnommen, die die Staatsanwaltschaft im Zuge von Ermittlungen gegen den Gewerkschafter sichergestellt hatte. Grote hatte bestritten, Dienstgeheimnisse weitergegeben zu haben.

Inwiefern das nicht geführte Interview Symptom einer zu großen Nähe zwischen führenden NDR-Journalist:innen und der schleswig-holsteinischen Landesregierung ist, ist unklar. Der Redaktionsausschuss schreibt dazu: „Den Verdacht, dass eine politische Motivation hinter der Absage des Interviews stehen könnte, macht sich der ­Redaktionsausschuss nicht zu eigen.“

Weitere Anzeichen für „Hofberichterstattung“

Dennoch gibt es weitere Anzeichen beim NDR für etwas, das Jour­na­lis­t:in­nen „Beißhemmung“ nennen, wenn sie selbst oder Kol­le­g:in­nen Sympathien für eine Partei hegen oder gar mit Po­li­ti­ke­r:in­nen befreundet sind. Diese werden dann unter Umständen weniger „hart angefasst“ als Mitglieder anderer Parteien. Das gibt es nicht nur beim NDR, sondern in vielen Redaktionen, auch bei der taz. Problematisch wird dies, wenn Führungskräfte eine „gefärbte“ Berichterstattung ihrer Mit­ar­bei­te­r:in­nen erzwingen, also keinen Meinungspluralismus zulassen und eine objektive Berichterstattung verhindern, wie es jetzt beim NDR der Fall gewesen sein könnte.

Dafür will das Magazin Stern weitere Belege gefunden haben. Am Freitag berichtete es, wie der NDR, anders als andere Medien, zunächst weder Anfang des Jahres über Vorwürfe gegen den CDU-Landtagspräsidenten berichtet hatte – noch 2019 über einen alkoholinduzierten Unfall von Hans-Jörn Arp, dem Parlamentarischen Geschäftsführer derschleswig-holsteinischen CDU-Landtagsfraktion. Betrunken haben soll er sich laut Stern unter anderem mit dem stellvertretenden Leiter des jetzt in der Kritik stehenden NDR-Ressorts. Eine NDR-Sprecherin bestätigte der taz, die Nicht-­Berichterstattung über den Unfall sei ein „Versäumnis“ gewesen.

Der NDR hat sich in seiner Stellungnahme auch dazu geäußert, dass sich im Zuge des Streits um das nicht geführte Interview acht weitere Mitarbeitende des Funkhaus in Schleswig-Holstein an den Redaktionsausschuss gewandt und von einem „Klima der Angst“ berichtet hätten. Zu diesem Thema seien zahlreiche Gespräche geführt worden, teilt der NDR mit, erhärtet hätte sich der Vorwurf nicht. Es würden aber weitere Gespräche geführt. Nachfragen der taz über die Form dieser Gespräche wollte die Sprecherin nicht beantworten.

In ihren Berichten zitieren Stern und Business Insider zwar Mitarbeitende, die eine zu große Nähe ihrer Vorgesetzten zur Regierung bestätigen und eine daraus resultierende „Hofberichterstattung“, können aber keine Belege für ein „Klima der Angst“ liefern.

SPD will Aufklärung

Unterdessen hat die SPD-Fraktion eine Kleine Anfrage im Kieler Landtag angekündigt, in der sie die Landesregierung auffordert zu erklären, „welche Kontakte zwischen dem Kabinett mit seinen Staatssekretärinnen und Staatssekretären sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des NDR mit Leitungsfunktion zwischen April 2020 und Juni 2022 stattgefunden haben“. Die für Donnerstag angekündigte Anfrage der SPD lag am Freitagnachmittag bei Redaktionsschluss nicht vor.

Am Montag will sich der Landesrundfunkrat als Kontrollgremium des öffentlich-rechtlichen Senders mit dem Thema befassen.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ein Zuhörer fordert in der NDR-Redezeit Aufklärung über Missstände im NDR-Funkhaus Kiel.







    www.ndr.de/nachric...endung1276416.html

    Der für Beschwerdeverfahren zuständige NDR-Redakteur Hallers aus dem Redaktionsausschuss weist darauf hin, dass die Klärung des Sachverhalts 1,5 Jahre in Anspruch nahm. Eine viel zu lange Zeit, denkt der aufmerksame NDR-Hörer, doch die beteiligten Chef-Redakteure und den NDR-Justiziar stört das nicht, sie preisen, ohne kritische Nachfragen der NDR-Moderation, die Unternehmenskultur und Kontrollstrukturen beim NDR.



    Könnte es sein, dass die Klärung des Sachverhalts im Redaktionsausschuss absichtlich auf die lange Bank geschoben wurde, so dass einem beteiligten Mitarbeiter der Kragen platze und er sich mit dem Vorfall an den Business Insider wandte, fragt sich der Hörer der Sendung Redezeit, in der Redakteur Hallers den Vertrauensbruch bedauert, aber nicht auf die Idee kommt, sich zu fragen, warum ein Whistleblower dem Redaktionsausschuss das Vertrauen entzogen haben könnte.



    Die leitenden NDR-Redakteure und den Justiziar irritiert auch nicht, dass es bei Gesprächen zwischen Kritikern und Kritisierten im NDR in Kiel ein enormes Machtgefälle gibt.



    Googelt man, weil man dem Braten beim NDR in Kiel nicht traut, trifft einem aufgrund der taz-Veröffentlichung, einem Bericht des Sterns und der Berliner Zeitung der Schlag, denn es hagelt wieder neue Vorwürfe gegenüber der Chefetage im NDR-Funkhaus in Kiel.



    Und man fragt sich, was die NDR-Mitarbeiter in der Live-Sendung Redezeit über die von Stern und Berliner Zeitung enthüllten neuen Vorwürfe wussten und ob sie diese verschwiegen haben könnten, ein Muster, dass aus den Missständen beim rbb bekannt ist.



    Wenn das erst die “Spitze des Eisbergs“ beim NDR ist, was erwartet uns noch?



    NDR info und das Medienmagazin ZAPP NDR ziehen den Kopf ein, berichteten bisher nicht über die neuen medialen Vorwürfe gegenüber dem NDR in Kiel.

  • Bei Tagesschau.de geht man den umgekehrten Weg. Nicht CDU nah, sondern SPD/Grünen ablehnend.



    Das tun die nicht in Form von Interviews oder Reportagen, sondern in Form von Kommentaren. Der Kanzler (ich habe die Partei nicht gewählt, schon gar nicht Scholz) sagt oder entscheidet etwas, und in Kommentar ist dann zu lesen, dass die Entscheidung oder die Einschäzung (je nach dem) falsch ist.



    Das ist eine Art Meinungsmache, die es zur Zeit Angela Merkels nicht gegeben hat.

  • "... selbst wenn man in Betracht zieht, dass ein Fernsehinterview einen Sender sehr viel teurer zu stehen kommt als ein Interview für einen Zeitungsartikel. ..."



    Wegen des zusätzlichen Aufwands für Bild&Ton - oder müssen die Sender für Interviews bezahlen ?

  • Abmahnung und Kündigung, bzw. wieder als einfacher Reporter arbeiten für alle führenden und bestbezahlten Resortchefs, wenn ihr Verhalten das Ansehen des Arbeitgebers ÖRR in der Öffentlichkeit schädigt. Der ÖRR gehört uns allen und nicht denen!

  • Hofberichtserstattung nennt man das doch wohl, oder?

  • RS
    Ria Sauter

    Hofberichterstattung ist doch seit vielen Jahren in allen Medien zu sehen.



    Wer das jetzt erst bemerkt, hat nicht hingehört oder hingesehen.



    Auch die TAZ wurde schon als grüne Hauszeitung betitelt.



    Zu Unrecht?