CDU gewinnt Landtagswahl in Hessen: Boris Rhein hat die Wahl
Doch kein Dreikampf in Hessen: CDU-Mann Rhein gewinnt mit einem unerwartet guten Ergebnis. Die SPD stürzt ab. Bleibt Nancy Faeser Innenministerin?
Rhein hatte in diesem Wahlkampf fast alles richtig gemacht. Obwohl der 51-jährige Jurist erst im Mai 2022 das Ministerpräsidentenamt von Volker Bouffier übernahm, lief er zuletzt bei den Sympathie- und Kompetenzwerten seinen KonkurrentInnen den Rang ab. Rhein, der wie Bouffier den Landesvater gab, besuchte landauf, landab Volksfeste, herzte Kinder und huldigte Weinmajestäten, statt zu polarisieren. Die Berliner Ampel war sein Lieblingsthema. Eine Ampel für Hessen, mit Faeser oder Al-Wazir an der Spitze, sei keine Chance, sondern eine Drohung, warnte Rhein.
Gleichwohl hielt sich Rhein alle Optionen offen. Die Grünen seien Wettbewerber und „nicht Gegner“, kommentierte er die Ausfälle seines Parteivorsitzenden Friedrich Merz gegen die vermeintlichen „Hauptgegner“. Auch die Lockerungsübungen seines Parteichefs gegenüber der AfD sah Rhein kritisch: Von „diesen Leuten“, die die Demokratie zerstören wollten, trenne die Union ein „tiefer Graben“, jedwede Zusammenarbeit verbiete sich.
In der Migrationsdebatte, die die Endphase des Wahlkampfs prägte, verzichtete Rhein auf rechtspopulistische Töne. „Von mir werden Sie so etwas nicht hören“, sagte Rhein zu Merz’ Geschwurbel über Geflüchtete, die angeblich Deutschen die Zahnarzttermine wegnehmen
Versteinerte Gesichter
Mit ihm werde es eine Regierung der „sanften Veränderung“, eine Regierung der Mitte geben, sagte Rhein nun nach seinem Sieg. „Am Montag beginnen wir mit Koalitionsverhandlungen.“
Besonders bitter ist das Ergebnis indes für SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser. Die 15 Prozent bedeuten das historisch schlechteste SPD-Ergebnis in Hessen – selbst die AfD landete diesmal nach ersten Zahlen noch vor den Sozialdemokraten. Auf der Wahlparty in Wiesbaden reagierten die Sozialdemokraten zunächst mit versteinerten Gesichtern. Als Faeser die Bühne betrat, erntete sie dennoch Applaus. Sie habe im Wahlkampf „leider nicht helfen können“, man sei mit den SPD-Themen nicht durchgedrungen, so Faeser. Zugleich beschwor sie den Zusammenhalt: „Wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen.“
Dabei hatte Faeser ausgegeben, erste Ministerpräsidentin in Hessen werden zu wollen – nach 24 Jahren CDU-Regierungen. Den Konservativen warf sie im Wahlkampf einen „sozialen Kahlschlag“ im Land vor und Rhein fehlende Tatkraft – er sei lediglich ein „Grüßaugust“. Sie selbst wollte sich als Anpackerin inszenieren. Auch in Hessen stehe der Kampf gegen den Fachkräftemangel für sie „an oberster Stelle“. Zudem versprach sie kostenfreie Kitas, entfristete Verträge für Lehrer:innen, bessere Gesundheitsversorgung im Land.
Rückhalt von der Spitze
Aber all das drang am Ende kaum durch. Denn zugleich blieb Faeser Bundesinnenministerin in Berlin – und hatte dort nicht nur mit der Doppelbelastung, sondern zunehmend auch mit der Debatte über die gestiegenen Geflüchtetenzahlen zu kämpfen. Dazu kamen Pannen im Wahlkampf. Und Faesers Ankündigung, nur nach Hessen zu gehen, wenn sie Ministerpräsidentin werde, war zwar von Kanzler Olaf Scholz abgesegnet, brachte ihr aber ebenfalls Kritik ein.
Hatte Faeser anfangs noch beschworen, „in Schlagweite“ zur CDU zu sein und am Wahlkampfende aufholen zu wollen, gingen die Umfragezahlen immer weiter nach unten. Nun steht für Faeser alles auf dem Spiel: Kann sie mit dem Ergebnis vom Sonntag einfach so weiter Bundesinnenministerin im Bund bleiben?
Die SPD-Parteispitze sprang ihr in dieser Frage umgehend bei. Das Hessen-Ergebnis sei bitter, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Wahlabend. Aber es sage nichts über die „erfolgreiche Bilanz“ von Faeser als Innenministerin. Dort habe sie zuletzt die europäische Asylreform erreicht, den Kampf gegen Rechtsextremismus forciert. „An dieser Bilanz hat sich nichts geändert.“ Dabei spreche er für den gesamten Parteivorstand.
Faesers Ziel, in Hessen ein Ampelbündnis schmieden zu wollen, ist jedenfalls dahin. Sie dürfte noch versuchen, ihre Partei in ein rot-schwarzes Bündnis zu retten. Erstmals seit 24 Jahren wäre die SPD dann wieder an der hessischen Landesregierung beteiligt. Doch „mit welcher Erzählung soll Rhein einen solchen Koalitionswechsel begründen?“, sagte selbst ein führender hessischer Sozialdemokrat zur taz, noch bevor die Wahlergebnisse vorlagen.
Rhein könnte nun einfach das schwarz-grüne Bündnis fortsetzen. Zuletzt hatte der CDU-Mann angekündigt, nach der Wahl mit Grünen, SPD und FDP Gespräche führen zu wollen. Am Ende komme es darauf an, mit wem er am meisten CDU-Politik umsetzen könne, so Rhein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los