CDU-Vorstoß für mehr Tempo 50: „Rückwärtsgewandte Symbolpolitik“
CDU-Fraktionschef Dirk Stettner will die Zahl der Tempo-30-Abschnitte auf Hauptstraßen stark reduzieren. Die Kritik lässt nicht lange auf sich warten.
Betroffen wären unter anderem Teile der Potsdamer Straße und der Hauptstraße in Schöneberg, der Invaliden- und Torstraße in Mitte und des Tempelhofer Damms. Für Stettner ist die Sache klar: „Ein flächendeckendes Tempolimit von 30 km/h mag die Fantasie einiger selbsternannter Verkehrserzieher beflügeln. Berlins Hauptstraßen sind aber nicht Fantasia, sondern haben eine wichtige Funktion.“ Und die bestehe nun mal darin, einen effizienten Verkehrsfluss zu erzielen.
In Stettners Fraktionspapier, über das zuerst die B.Z. berichtet hatte, heißt es hierzu: „Auf Hauptverkehrsstraßen ist Tempo 30 daher in der Regel nicht sinnvoll, da es den Autoverkehr, den Wirtschaftsverkehr und auch die Busse der BVG verlangsamt und damit zu weniger Attraktivität führt.“ Daraus folgt für den Fraktionschef: Fort mit dem alten rot-grün-roten Verkehrswendeplunder! „Berlin muss mobil und agil sein“, sagt Stettner.
Nach seinem Vorstoß aus dem November, irgendwo in der Berliner Innenstadt eine Magnetschwebebahn aus dem noch nicht vorhandenen Sondervermögen Klimaschutz errichten zu lassen, präsentiert sich der umtriebige CDU-Fraktionschef dabei erneut in der Rolle eines Schatten-Verkehrssenators.
Koalitionspartner weiß von nichts
Die eigentlich Zuständige gibt sich am Dienstag mit Blick auf die Details jedenfalls weitgehend uninformiert. „Ich unterstütze natürlich die Pläne“, sagt CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner im Anschluss an die wöchentliche Senatssitzung zwar. Zugleich habe sie von dem Papier ihres Parteifreunds nur aus der Zeitung erfahren: „Was da genau diskutiert wird, muss ich mir dann erst mal anschauen.“
Das gilt offenkundig auch für den Koalitionspartner SPD. „Die jüngste Forderung des CDU-Fraktionsvorsitzenden kommt für mich mal wieder überraschend“, sagt Tino Schopf, der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Ihm sei nicht klar, ob es sich nach den Schwebebahn-Phantasien des CDU-Politikers „nun um eine Fortsetzung aus der Rubrik ‚Stettner hat ne Idee‘ handelt“. Anders ausgedrückt: Ob daraus sobald etwas wird, steht in den Sternen.
Tatsächlich weist der Umweltverband BUND darauf hin, dass für die Umsetzung von Stettners Vorhaben „dutzende, wenn nicht hunderte“ Ampelschaltungen neu programmiert werden müssten. Das werde nicht nur „erhebliche Kapazitäten“ beim Ampelnetzbetreiber InfraSignal und den zu beauftragenden Ingenieurbüros binden. Auch dauere es „oft mehrere Jahre, bis eine Umprogrammierung von Ampelschaltungen umgesetzt ist“, sagt Tilmann Heuser, Geschäftsführer des BUND Berlin.
Für Heuser ist die Idee zudem nichts weiter als „rückwärtsgewandte Symbolpolitik“. Denn angesichts der Verkehrsdichte dürfte sich „tagsüber für den Autoverkehr kein Geschwindigkeitsvorteil ergeben“. Schließlich bestimme vor allem der Rückstau an Kreuzungen das Tempo. Im Gegenzug erhöhe sich das Risiko von Verkehrsunfällen, „wenn auf den meist nur kurzen Abschnitten mit höherem Tempo gefahren wird“.
Grüne: „Politik alleinig fürs Auto“
Oda Hassepaß von den von Stettner als Autohasser:innen geschmähten Grünen sieht das genauso. „Wer Verkehrssicherheit ernst meint, setzt auf Temporeduktion, das raten alle Expert:innen“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Allein, die Berliner CDU scherte sich nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse: „Sie macht Politik alleinig für das Auto und gefährdet die Schwächsten – Berlins Kinder, Senior:innen, Menschen mit Behinderungen und die Menschen, die an den Hauptstraßen wohnen.“
Bedenken dieser Art belasten CDU-Fraktionschef Stettner nicht. Für ihn steht fest: „In den letzten Jahren sind Tempo-30-Strecken viel zu oft als bevormundende Umerziehungsmaßnahme verwendet worden.“ Das werde die CDU jetzt „korrigieren“. Und überhaupt: „Rasende Radler dürfen auf Gehwegen und Radwegen nicht schneller unterwegs sein als der Handwerker auf der Hauptstraße.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los