CDU-SPD-Koalition in Berlin jährt sich: Trübe Aussichten
Schwarz-Rot amtiert seit einem Jahr. Öffentlicher Streit wie bei Rot-Grün-Rot bleibt bisher aus. Doch schwierige Milliardenkürzungen kommen erst noch.
Wegner und die seither regierende schwarz-rote Koalition wussten das am Dienstag nach der Senatssitzung selbst ganz genau zu sagen. 64 Punkte listete ein Papier des Senats dabei auf, die alle verwirklicht haben sollen, was Wegner vor einem Jahr als Ziel ausgab: Dass Berlin jeden Tag ein bisschen besser funktioniert. Im gleichen selbstbewussten Ton sehen die oppositionellen Grünen hingegen nur Stillstand und „Geschwätz“.
Da steht also nun Aussage gegen Aussage. Die 64 Punkte sind gleichfalls Fakt, auch wenn sie teils nur in Ansätzen oder fortgesetzten Projekten der rot-grün-roten Vorgängerregierung bestehen. Doch reichen 64 (Teil-)Erfolge aus, um zu Recht von einem guten Jahr zu sprechen, wie es Wegners Stellvertreterin Franziska Giffey (SPD) macht?
Giffey ist die Frau, ohne die es Schwarz-Rot nicht gäbe. Sie war von kaum 14 Monaten Zusammenarbeit mit Grünen und Linkspartei so sehr genervt, dass sie lieber darauf verzichtete, Regierungschefin zu bleiben, als die rot-grün-rote Koalition fortzusetzen. Giffey tat, was in der bundesdeutschen Geschichte vorher nur ein einziges Mal vorkam: Sie gab den Chefinposten ab – und rückte als Vize-Chefin in den neuen Senat unter Kai Wegner. Immer wieder betont sie seither, wie anders die Zusammenarbeit sei, wie viel jetzt möglich sei, was vorher nicht ging.
Besser als zum Start erwartet
Gemessen an den Erwartungen und Eindrücken zum Start konnte es allerdings nur besser werden für Schwarz-Rot und Wegner. Das generelle Bild war: Da kommt, womöglich mit AfD-Hilfe, jemand dank einer nicht nur von den Jusos als rassistisch eingestuften Kampagne nach den vorangegangenen Silvester-Ausschreitungen ins Amt, der auch noch einen Pro-Auto-Wahlkampf gemacht hat. Und die SPD war trotz entsprechenden Mitgliederentscheids weit davon entfernt, durchweg Schwarz-Rot zu bejubeln.
Ein Jahr später ist zumindest das Bild von Wegner ein anderes. Er wurde der, der im Sommer seinen zu wanken scheinenden CDU-Bundesparteichef Friedrich Merz auf die Brandmauer gegenüber der AfD verpflichtete. Er wird absehbar mitreden, wen es darum geht, wer für die CDU Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl sein soll, und vieles deutet darauf hin, dass er nicht Merz, sondern den als liberaler eingeschätzten Hendrik Wüst unterstützt, den Ministerpräsidenten von NRW.
Wegner führt viele Gespräche, hört zu, erwirbt sich Respekt auch bei Kritikern. Grüne und Linkspartei lassen sich von ihm einbinden beim Großprojekt Verwaltungsreform, was bei CDU und SPD nicht jedem gefällt. Generell tritt Wegner meist nicht als Regierender CDUler auf, sondern als eine Art über den Parteien agierender Stadtpräsident. Sein größtes Problem dabei: Er hat gar nicht das Geld für all das, was er verspricht.
Inhaltlich halten ihm zwar viele ein Abwickeln rot-grün-roter Verkehrspolitik vor, weil einige geplante Radwege doch nicht kommen sollen. Was dabei etwas untergeht: Andere werden aber sehr wohl gebaut, durchaus zum Verdruss in der eigenen Klientel, die nach Jahren gefühlter grüner Radfahrpolitik nun eine reine Autopolitik erwartete.
Wegners wichtigster Partner ist geschwächt
Personell fällt auf, dass die beiden Senatsmitglieder am schwächsten bewertet werden, die Wegner von außen für die CDU in den Senat holte. Kultursenator Joe Chialo, zuvor Manager bei Universal Music, machte bei seinem Vorschlag, die Zentral- und Landesbibliothek in die jetzige Galeries Lafayette umzusiedeln, einen unprofessionellen Eindruck. Gleiches gilt für seine Forderung nach einer Antisemitismus-Klausel. Justizsenatorin Felor Badenberg wiederum, parteilos, zuvor Vizechefin des Verfassungsschutzes mit dem Beinamen „AfD-Jägerin“, zog durch die Verschärfung der Ersatzfreiheitsstrafen Kritik auf sich.
Schwieriger als das zurückliegende Jahr dürfte das nächste sein. Kurz vor dem ersten Jahrestag ist Wegner sein bisher wichtigster Partner bei der SPD verloren gegangen. Raed Saleh, Deutschlands dienstältester SPD-Fraktionschef, wird ab Ende Mai nicht mehr Landesvorsitzender seiner Partei sein, die er seit 2020 mit Franziska Giffey angeführt hat.
Wegner und Saleh, die sich seit Jahrzehnten aus ihrer Spandauer Heimat kennen und nicht gerade in Freundschaft verbunden waren, hatten in den vergangenen Monaten einen partnerschaftlichen Stil entwickelt. Das war nicht zu erwarten, nachdem Saleh Wegner Anfang 2023 noch als „der einsame Kai“ verhöhnte, weil dem angeblich die Koalitionspartner fehlen würden.
Nun aber ist Saleh schon nach der ersten Runde der SPD-Mitgliederbefragung zur künftigen Parteispitze raus, Wegner wird es mutmaßlich mit einer Doppelspitze aus Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel und Ex-Sportstaatssekretärin Nicola Böcker-Giannini zu tun haben. Beide gelten SPD-intern als konservativ, werden aber darauf bedacht sein, nicht als bloße Erfüllungsgehilfen einer CDU-gelenkten Politik dazustehen.
Im Haushalt stehen Milliardeneinschnitte an
Alle zusammen stehen vor einer Aufgabe, die einen weit größeren Test für den Zusammenhalt der Koalition darstellt als alles bisherige. Mindestens drei Milliarden sind aus dem Landeshaushalt rauszukürzen – nicht durch Verzicht auf einmalige Projekte, sondern dauerhaft, durch strukturelle Einschnitte. Das wird absehbar auch die kostenlosen Angebote für Kita, Mensaessen und Schülerticket betreffen. Saleh hat viel davon durchgesetzt und ist zwar nicht mehr Partei-, aber weiter Fraktionschef, das Hikel-Duo hingegen sieht das kritischer.
Dass daran die Koalition zerbricht, gilt selbst bei den Grünen als nicht erwünscht. Eine neue Regierung wäre nach dem Wechsel durch die Wiederholungswahl Anfang 2023 die dritte in dieser Wahlperiode – den Wählern nicht zumutbar, heißt es. Ein Bündnis mit Wegners CDU nach einer regulären Abgeordnetenhauswahl 2026 ist trotz der links dominierten Fraktion nicht ausgeschlossen. Wegner selbst nannte ein solches Bündnis gegenüber der taz mal „meine Traumkoalition“. Dass er beim großen Thema Verwaltungsreform bewusst die Opposition und damit die Grünen dazu holt, lässt sich auch so interpretieren, dass er nicht völlig auf die SPD als Partner angewiesen sein will.
Im Hintergrund all dieser Entscheidungen, seien es die Milliardenkürzungen oder der geplante Zaun um den Görlitzer Park, steht noch eine Sache, mit der die Koalition überregional Schlagzeilen machte: Im Januar hatten Wegner und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch bekannt gegeben, seit Herbst 2023 eine Beziehung zu führen. Kurzzeitige heftige Debatten, ob so etwas in einem Regierungsteam zulässig ist, sind zwar wieder abgeebbt. Einen echten Bruchtest aber hätte die Koalition, falls sich herausstellen würde, dass die Beziehung schon vor dem Regierungsantritt von Schwarz-Rot am 27. April 2023 begann – und Wegner damit seine Partnerin zur Senatorin gemacht hätte.
Weniger aufregend mutet im Vergleich dazu eine andere Personalie an. Demnächst soll sich klären, ob Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) ihren juristischen Doktortitel abgeben muss – die zuständige Universität Rostock hat eine Entscheidung für dieses Frühjahr angekündigt. Ob sich Schreiner bei einer Aberkennung halten kann, gilt als zweifelhaft. So könnte zu der Liste der Aufgaben, von denen Wegner an diesem Donnerstagmorgen in der Grundschule in Tiergarten erzählen soll, neben Geld Sparen, Streit Schlichten und Für-gute-Stimmung-Sorgen noch Neue-Senatorin-Suchen kommen.
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