CDU-Landtagswahlkampf in Sachsen: Billiger Psychotrick kurz vor der Wahl
Für persönliche Videobotschaften hat Michael Kretschmer 200 Namen eingesprochen. Es wäre besser, er würde beim persönlichen Gespräch bleiben.
Die persönliche Ansprache – eigentlich ein all-time Klassiker aus der Marketing-Mottenkiste – aber gut, wenn man ehrlich ist, er wirkt ja auch. Der Moment, wenn sich die Chefin endlich den eigenen Vornamen merkt und mit „Guten Morgen, Jasmin!“ begrüßt. Das verspricht Relevanz und suggeriert Nähe.
Das weiß wohl auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der sich kurz vor der Landtagswahl ein besonderes Wahlkampfmanöver ausgedacht hat. Seit Montag kann man sich auf der Homepage der sächsischen CDU eine persönliche Videobotschaft vom Ministerpräsidenten erstellen lassen. Mehr als 200 Namen hat er extra dafür eingesprochen.
Konkret heißt das: Man gibt seinen Vornamen in ein Feld ein, seine Mailadresse und den Vornamen der Person, an die man das Video versenden möchte. Kurz darauf ist die personalisierte Videobotschaft fertig. Die Empfänger*in erhält eine Email oder Whatsapp-Nachricht mit der Betreffzeile: Deine persönliche Videobotschaft von Michael Kretschmer!
Wer darauf klickt, sieht folgendes: Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen (CDU), er, himself, steht mit Sakko, Hemd und Krawatte vor einer Bücherwand. Im Regal steht – nach genauem Hinsehen – auch eine kleine Spielzeuggiraffe.
Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.
Dann spricht er, je nach dem welchen Namen man zuvor eingegeben hat, zu Stefan, Brigitte oder Maximilian. Zum Beispiel so: „Hallo Günther, vielleicht überrascht es dich, so kurz vor der Wahl von mir persönlich zu hören. Julia hat mich gebeten dich zu erinnern. Am 1. September ist Sachsenwahl.“ Es folgt das übliche Wahlkampfgeblubbere: Heimat, Sachsen, CDU, zur Wahl gehen – die Gesten wirken wie frisch gecoacht.
Zugegeben, es ist irgendwie schon ein bisschen lustig, aber vor allem ein bisschen unheimlich, den eigenen Namen aus dem Mund von Kretschmer zu hören. Doch kommen in diesen Genuss gar nicht alle. Eingesprochen wurden nämlich die Vornamen der Kandidat*innen der sächsischen CDU sowie die jeweils hundert häufigsten Männer- und Frauennamen seit 1950. Eine komische Auslese. Durchforstet haben die CDUler dafür Namensstatistiken aus der Bundesrepublik und der DDR.
Alte Zeiten konservieren
Die gesamte Liste möchte der Pressesprecher auf Nachfrage dann lieber doch nicht rausrücken, aber ein schneller Selbsttest zeigt: Namen wie Thomas oder Kevin kommen vor, Mohamed oder Ayse nicht. Ost-Klischeenamen wie Mandy und Cindy fehlen, Annegret Kramp-Karrenbauer wäre vermutlich auch enttäuscht. Man kann offenbar Glück oder Pech haben.
Nun könnte sich die CDU bei der Aktion schon fragen, was es bei potentiellen Wähler*innen auslöst, sich nicht wieder zu finden, also nicht angesprochen zu werden. Man kann der CDU aufgrund der gewählten statistischen Herangehensweise zwar keinen Vorwurf daraus machen, bestimmte Milieus nicht zu berücksichtigen.
Wer aber die seit 1950 häufigsten Namen zum Maßstab macht, beruft sich eben auf den jeweiligen Zeitgeist der Mehrheitsgesellschaft, Deutsche mit Migrationshintergrund haben dann eher schlechte Karten. Nun passt es vielleicht auch einfach zu einer konservativen Partei, die guten alten Zeiten konservieren zu wollen. Vielfalt im Jetzt anzuerkennen, war ja noch nie die Stärke der CDU. Fraglich bleibt nur, ob der gewünschte Effekt, nämlich Wähler*innen per Videobotschaft zu gewinnen, erfolgreich sein wird.
Denn so nett die persönliche Grußbotschaft daherkommt, ist sie nicht mehr als ein billiger oder verzweifelter Psychotrick kurz vor der Wahl. Nach fast 30 Jahren an der Regierung bröckelt die Macht der sächsischen CDU, sie liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der AfD. Anstatt sich PR-Aktionen auszudenken, und Nähe zu suggerieren, wo keine ist, könnte Kretschmer einfach beim persönlichen Gespräch bleiben. Ganz Old School.
Die Schlusssätze wurden geändert. In der ursprünglichen Version konnte der Eindruck entstehen, die Autorin werfe Kretschmer vor, er würde nie Gespräche mit Menschen führen.
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