CDU-Bezirksparteitag in BaWü: Ein Orban-Mann in der tiefen Provinz
Die CDU-Basis ist beim Thema Flüchtlinge gespalten. In Baden-Württemberg durfte nun ein Minister Viktor Orbans auf einem Parteitag reden.
![Zoltán Balog Zoltán Balog](https://taz.de/picture/734023/14/Balog.jpg)
Es sei Zeit, in Europa miteinander statt übereinander zu reden, rechtfertigt Bareiß den Auftritt des Ministers am Freitagabend im baden-württembergischen Bad Saulgau. Kurz zuvor hat er selbst eine schneidige Rede zur Flüchtlingspolitik gehalten, die mehr nach Seehofer als nach Merkel klang.
Dann redet Zoltán Balog fast eine Stunde auf Deutsch zu den Delegierten. Balog appelliert an gemeinsame „christlich-jüdische Werte“ und empfiehlt statt Einwanderung eine Familienpolitik à la Ungarn: Steuerbefreiung für kinderreiche Familien etwa. Er rechtfertigt die ungarischen Grenzzäune und die Flüchtlingsabwehr. „Polizeimaßnahmen sehen nirgends schön aus“, sagt Balog.
Das mag einige im Saal an den schwarzen Donnerstag im Stuttgarter Schlossgarten vor fünf Jahren erinnern, als der bislang letzte CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus Wasserwerfer gegen friedliche Stuttgart-21-Gegner auffahren ließ. Auch diese Bilder waren es, die die CDU damals die Macht kosteten.
Und Balog spielt Schwache gegen Schwächste aus, wie ihm später eine Delegierte vorwirft. Ausgerechnet die Roma in Europa sind für Balog plötzlich eine Hoffnung für den Arbeitsmarkt. So begründet er die restriktive Einwanderungspolitik seines Landes.
Er fragt: „Muss man sich auf einem CDU-Parteitag denn dafür rechtfertigen, dass man rechts von der Mitte steht?“ Auch für diese Bemerkung bekommt Balog befremdlich viel Applaus, gelegentlich sogar Jubel.
Balog kanalisiert an diesem Abend den Frust vieler Unionsmitglieder. Die ganz große Koalition von Kretschmann bis Merkel in der Flüchtlingsfrage macht es der Südwest-CDU schwer, das Thema für den Wahlkampf zu nutzen. Und vor allem vielen jungen Parteimitgliedern, die Balog zujubeln, passt offenbar die ganze Richtung von Angela Merkels Politik nicht.
Kritik an Balogs Auftritt
Aber nicht alle applaudieren an diesem Abend. Am Tag darauf wird eine Landrätin sagen: „Trauen sie nicht denen, die einfache Antworten bieten. Die Lügen.“
Deutlicher wird Stephan Neher, junger Oberbürgermeister in Rottenburg am Neckar. Er findet nur ein Wort für Balogs Auftritt: „Eine Katastrophe!“ Der Ungar, der einmal Pfarrer war, stehe nicht für jene christlichen Werte, die er kenne, sagt Neher. 2.000 Flüchtlinge leben derzeit in seiner Stadt, aber er sieht die Kapazitätsgrenzen noch weit entfernt. „In meiner Bibel steht nichts von Ausgrenzung“, sagt der Christdemokrat.
Stephan Neher hat am Tag vor dem Parteitag für einiges Aufsehen gesorgt, weil er 26 CDU-Bürgermeister und zehn Landräte in Baden-Württemberg zu einem Unterstützerbrief für Angela Merkel zusammengetrommelt hatte. Die Kernaussage des Briefes ist das glatte Gegenteil dessen, was Balog, Teile seiner Partei und die CSU zur Flüchtlingspolitik sagen.
Neher sagt auf dem Parteitag: „Es ist leicht, in ruhigen Zeiten als Oberbürgermeister Geld an die Bürger zu verteilen. Ich bin aber dafür gewählt, schwierige Situationen zu meistern“, sagt Neher. Auch er bekommt Applaus von Delegierten.
Eins wird an diesem befremdlichen CDU-Abend mit Orbans Mann in der tiefen Provinz deutlich: Die Basis im schwäbischen Kernland der Union ist in der Flüchtlingsfrage hin- und hergerissen. Zwischen einer grimmigen Grenzen-zu-Politik Victor Orbans und dem optimistischen „Wir-schaffen-das“ der Kanzlerin.
Thomas Bareiß sagt nach dem Auftritt von Zoltán Balog zufrieden: Er könne sich nicht daran erinnern, wann auf einem Parteitag seines Bezirks zuletzt so lebhaft diskutiert wurde. Das ist noch das Beste, was man über den Auftritt von Balogs in Bad Saulgau sagen kann.
Dieser Artikel wurde um 18.38 Uhr korrigiert. In einer früheren Version hieß es, dass Stephan Neher 22 CDU-Bürgermeister für seinen Brief gewonnen habe.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss