Buxtehuder Stadtmarketing: Dümmer geht immer
Hatte das Stadtmarketing Angst? Die sprachliche Revision des Hase und Igel-Schwanks auf der Buxtehude-Website ist so zögerlich, dass es weh tut.
D ümmer geht immer. Den Nachweis dafür hat jetzt Buxtehude erbracht, und zwar, wen wundert’s, durchs Stadtmarketing, diesem unerschöpflichen Nährboden für stets neue Blumen des Blöden. Schon lange pflegt ja die Buxtehude-Werbung mithilfe von City-Guides, die sich in schweißtreibende Tierkostüme zwängen müssen, ein Niedlich-Image auf Grundlage der Geschichte von Hase und Igel.
Philologisch ist das okay: Denn „up der Buxtehuder Heid“ habe, so heißt es in der vom Journalisten Wilhelm Schröder 1840 im Hannoverschen Volksblatt veröffentlichten niederdeutschen Fassung des Schwanks, „de Swinegel den Haasen dodt lopen“, also „der Swinegel den Hasen zu Tode gelaufen“, wie es dann Ludwig Bechstein 1857 in sein gefälliges Hochdeutsch übertragen hat.
Dabei stützte er sich auf die etwas ungenaue Abschrift, die von den Brüdern Grimm mit mystifizierender Herkunftsangabe als Nummer 187 ihren „Kinder- und Hausmärchen“ einverleibt worden war.
So weit, so normal: Solche Verstetigungsprozesse gehören zur Geschichte der Gattung Märchen wie das Wasser zur Nordsee, und wie diese hat kein Märchen einen definierbaren Ursprung.
Märchen haben kein Original
Es gibt, weil das Erzählen immer voneinander abweichende Fassungen produziert, kein Original. Daher katalogisiert die Forschung die entsprechenden Kurz-Erzählungen als Realisierungen von Mustern: „The Race between two animals“ hat im maßgeblichen Arne-Thompson-Uther-Index die Nummer 275.
Die populäre Fassung des Wettlauf-Märchens hat so ihre Tücken: Schröder hat nicht nur der Geschichte zweifelhafte Lehren angehängt, er hat auch das innere Gefüge des Texts seinem Moral-Empfinden angepasst. So auch im Herzstück der Erzählung: In den ältesten bekannten Fassungen war es die Igelin, die weiß, wie ein ungewinnbarer Wettkampf eben doch zu gewinnen ist.
Sie schlägt vor, „dass sie am Ziel stehen und anstelle ihres Mannes rufen werde, sie sei bereits angekommen“, fasst die Enzyklopädie des Märchens zusammen, wie ein mittellateinisches Gedicht aus dem Jahre 1120 das schildert.
„Ick bün all hier“, darf die Igelin zwar auch im 19. Jahrhundert rufen, „ich bin schon da.“ Dass aber die Frau in der Story als dem Mann gleichberechtigte, gleichwertige Person auftritt, also die Handlung die Geschlechterdifferenz nivelliert, war Schröder offenbar ein Greuel.
Umso brachialer schreibt er sie dem Text also wieder ein, als Herrschaftsverhältnis: „‚Holt dat Muul, Wief‘, seggt de Swinegel, ‚dat is mien Saak. Resonehr nich in Männergeschäfte. Marsch, treck di an un denn kumm mit‘“, heißt es bei ihm und den Grimms, „Halt das Maul, Weib“ bei Bechstein, und am Ende dann: „Marsch, zieh dich an.“
Behutsame Buxtehuder
Na ja, historisch halt, in allen Kinderbüchern der 1970er-Jahre waren diese patriarchalen Ausbrüche durch näher an den älteren Versionen liegenden Fassungen ersetzt. Aber das arme Buxtehude ist selbstredend auf die Schröder-Variante angewiesen, weil nur in ihr Buxtehude vorkommt. Dennoch schien der aggressive Sprachgebrauch den Experten der Buxtehude-Reklame inaktuell.
Also haben sie sich schweren Herzens entschlossen, ein bisschen in den Text einzugreifen. Aber – vielleicht, weil das Volk laut einer Online-Umfrage der Kreiszeitung Wochenblatt nicht goutiert, wenn an seinem Original-Märchen etwas geändert oder gar kommentiert werden soll – sie waren dabei sehr behutsam.
Sehr!
Und so stößt, wer auf der Stadt-Homepage nach dem Erlebnisangebot „Märchen“ sucht, nun auf eine Fassung, in der es feinsinnig heißt „Halt den Mund, Weib“, sagte der Igel, „das ist meine Sache. Misch Dich nicht in Männergeschäfte. Los, zieh Dich an und dann komm mit.“ Und ehrlich: Noch zeitgemäßer geht es wirklich kaum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste