Busfahrer über Cannabis-Konsum: „Medizin kann man auch genießen“
Alexander Zierden raucht täglich legal 1,5 Gramm Cannabis aus medizinischen Gründen und arbeitet als Schulbusfahrer. Wie passt das zusammen?
taz: Herr Zierden, Sie konsumieren medizinisch verordnet Cannabis. Gegen welche Krankheiten?
Alexander Zierden: Die Hauptdiagnose ist Polyneuropathie, bedingt durch eine Diabetes. Also Nervenschmerzen, die sich in Schmerzanfällen manifestieren. Die Anwendung hilft aber auch gegen meine Arthritis.
Der 52-jährige Cannabispatient ist Gründer des Cannabis Social Club in Düsseldorf.
Wie wirkt Cannabis gegen Ihre Beschwerden? Und wie konsumieren Sie?
Ich verdampfe seit zwei Jahren bis zu 1,5 Gramm am Tag im Vaporizer. Ich habe ein stationäres Gerät und eines für unterwegs angeschafft. Wenn ich so einen gewissen Pegel halte, schaltet das die Schmerzanfälle komplett ab. Seit ich konsumiere, habe ich nur einen einzigen Anfall gehabt. Ich höre das auch von anderen Patienten: Die Therapie mit Cannabis ist wie ein Wunder.
Gibt es denn keine Nebenwirkungen? Psychosen werden oft als mögliche Folge genannt, manche Konsumenten berichten auch von Paranoia nach dem Konsum. Und haben Sie keine Angst, süchtig zu werden?
Ganz und gar nicht. Abhängigkeit ist für mich kein Thema. Oft vergesse ich den Konsum sogar, dann muss ich mich selbst daran erinnern, mich geradezu dazu zwingen, die medizinische Dosis zu nehmen. Außerdem ist Cannabis sehr bekömmlich. Ich glaube, dass Paranoia oder Angstzustände auch viel damit zu tun haben, dass es verboten ist. Dass die Konsumenten sich stigmatisiert fühlen.
War es für Sie schwierig, ein Rezept zu bekommen?
Ich habe einen Schmerzmediziner gefunden, der mir Cannabis verschreibt, obwohl ja die wenigstens Mediziner in Deutschland bis heute etwas über Cannabis lernen. Und obwohl viele Ärzte Angst haben, Cannabis zu verschreiben. Die wissen gar nicht genau, was das ist.
Hat die Krankenkasse die Kosten übernommen?
Nein, ich habe bis heute keine Kostenübernahme. Ich zahle den Konsum als Privatpatient, ein paar Hundert Euro pro Monat. Dagegen habe ich Widerspruch eingelegt, notfalls gehe ich bis zum Sozialgericht. Denn ich will keine Opiate einnehmen, das wäre bei meinem Krankheitsbild die Alternative.
Haben Sie auch noch einen anderen Zugang zu Cannabis? Haben Sie schon vor Ihrer Erkrankung gekifft?
In meiner Jugend habe ich gekifft, ich habe dann auch eine Zeit in Holland gelebt. Da war das nicht so problematisch, obwohl wir ja heute wissen, dass es eben nicht legalisiert war, sondern nur entkriminalisiert. Dann habe ich aber jahrzehntelang nichts mehr damit zu tun gehabt. Bis ich krank wurde und mich mit Cannabis als Medizin befasst habe.
Für Cannabis am Steuer gibt es strenge Grenzwerte. Sie dürfen fahren, weil Sie ein Rezept haben. Was schätzen Sie, mit welchen Werten sind Sie im Straßenverkehr unterwegs? Sind Sie dann high?
Der aktuelle Grenzwert von 1 Nanogramm pro Milliliter Blutserum ist ja der kleinste überhaupt feststellbare Wert, da liege ich sicher drüber, aber er besagt deshalb eben auch nichts. Ich lege den Konsum ohnehin in die Abendstunden. Am Morgen bin ich dann wieder nüchtern. Wenn ich an Wochenenden auch mal tagsüber konsumiere, setzte ich mich natürlich nicht ans Steuer. Dann bitte ich meine Freundin zu fahren.
Sind Sie damit unter den Patienten eine Ausnahme?
Bei anderen Patienten, die ich kenne, ist es anders. Viele ADHS-Patienten sagen, dass sie überhaupt nur fahren, wenn sie konsumiert haben. Aber generell bin ich der Ansicht, dass die Gefahr, unter Cannabis Auto zu fahren, gering ist. Wer konsumiert hat, hat sowieso keine Lust darauf. Und wenn er fährt, dann eher übervorsichtig. Zudem gibt es ja zu Beginn der Therapie eine Eingewöhnungsphase mit dem Arzt. Das ist wie bei Menschen, die Opiate verschrieben bekommen. Die dürfen, nachdem sie richtig eingestellt sind, ja auch fahren.
Sie arbeiten als Schulbusfahrer. Was sagen die Eltern der Kinder dazu, dass Sie Cannabiskonsument sind? Wie haben Sie es denen gesagt?
Ich fahre seit vier Jahren zwei Kinder, die im Rollstuhl sitzen, zur Schule und hole sie wieder ab. Es hatte sich schon ein Vertrauensverhältnis zwischen mir und ihren Eltern aufgebaut, als ich auf sie zugegangen bin und es ihnen einfach erzählt habe. Da sie mich kannten und ich immer verantwortungsvoll war, war das kein Problem. Hätten sie mich vorher nicht gekannt, dann hätte das allerdings ganz anders ausgehen können.
Ist Ihnen der Schritt dennoch schwer gefallen?
Es war schon ein regelrechtes Outing. Und das zeigt, dass Cannabispatienten und Konsumenten bis heute stigmatisiert werden.
Sie haben auch den Cannabis Club Düsseldorf gegründet. Warum?
Da geht es ja um den Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken und nicht zu medizinischen Zwecken. Ich will nicht verhehlen, dass es hier und da auch ganz angenehm ist, Cannabis zu konsumieren. Ich sehe darin aber gar keinen Widerspruch, denn Medizin kann man auch genießen. Sie muss nicht bitter schmecken. Ich selbst bekomme bei meiner Therapie medizinisches Cannabis, das zum Glück immer besser ausgezeichnet wird. Da stehen dann der THC- und der CBD-Gehalt auf den Dosen. Sogar die Anteile von Geruchs- und Geschmacksstoffen sind mit angegeben. Ich finde, dass auch Genusskonsumenten diese Möglichkeiten haben sollten. Ich kenne zum Beispiel Menschen, die würden gern nicht so starke Sorten konsumieren, auch weil sie zu Paranoia neigen. Die sind aber auf dem Schwarzmarkt gar nicht erhältlich. Denn die Prohibition hat zu immer stärkeren Sorten geführt.
Sie setzen sich also ganz generell für die Legalisierung ein?
Genau, noch ist der Cannabis Club Düsseldorf ja nur ein politischer Verein. Ich halte die Prohibition für den völlig falschen Weg. Sowohl für Patienten als auch für alle, die es aus Spaß einnehmen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft, wenn es um Cannabis als Medizin geht?
Seine Wiederentdeckung. Es ist ein Allheilmittel, das endlich wieder seinen Platz in der Medizin bekommen sollte. In Israel zum Beispiel wird es in der Geriatrie schon seit Jahrzehnten wieder angewendet. Vor allem alte Menschen, die bei uns permanent mit irgendwelchen Mitteln vollgeballert und damit ruhig gestellt werden, könnten so auch mit schweren chronischen Krankheiten angenehm leben. Cannabis ist ein uraltes Heilmittel, das die Pharmaindustrie aber nicht gern sieht, weil man es ganz einfach zu Hause im Blumentopf ziehen kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen