Bundesweite Razzien gegen Rechtsextreme: Ende der Reichsbürgerfantasien
Der Reichsbürger Johannes M. drohte Behörden und scharte Gleichgesinnte um sich. Nun durchsuchte die Polizei 20 Wohnungen seiner Anhänger.
Den Durchsuchten, 25 bis 74 Jahre alt, wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Schwerpunkt der Razzien war Baden-Württemberg, wo zehn Objekte betroffen waren. In Bayern selbst waren es 2 Immobilien, in Kempten und Rosenheim. Daneben gab es Durchsuchungen in Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Beschlagnahmt wurde dabei neben Computern und Handys auch eine Schreckschusswaffe und Reizstoffgeräte. Im Einsatz waren 280 Polizeikräfte.
Laut Generalstaatsanwaltschaft hatten die Betroffenen versucht, durch „gezielte, massenhafte Kontaktaufnahme“ mit Behörden deren Kommunikationswege zu blockieren und rechtswidrig Einfluss auf deren Entscheidungen zu nehmen. Ziel sei es letztlich gewesen, staatliches Handeln zu erschweren oder zu verhindern. Gesprächspartner seien dabei beleidigt oder bezichtigt worden, Menschenrechts- und Kriegsverbrechen zu begehen. Teilweise seien sie mit dem Tode bedroht worden. Es ist das klassische Vorgehen der Reichsbürgerszene.
Seit Anfang 2021 habe man entsprechende Telegram-Kanäle um Johannes M. im Blick gehabt, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. Johannes M. habe dabei Aufrufe gestartet, via massenhafter E-Mails oder Anrufe Behörden zu kontaktieren, um „Opfern“ aus seiner Szene zu helfen, die der Staat angeblich drangsaliere. Die Behörden sollten so gezwungen werden, ihre Entscheidungen zurückzunehmen oder zu ändern.
Massive Beleidigung und Bedrohung
Nach seiner Festnahme im November 2021 war Johannes M. zunächst in der Psychiatrie untergebracht worden. Zuvor hatte er in einem Video erklärt, Polizisten dürften laut Kriegs- und Völkerrecht „standrechtlich erschossen“ werden. Nach Vorlage eines Gutachten erklärte das Gericht Johannes M. später aber doch für schuldfähig, er wurde aus der Psychiatrie entlassen und haftverschont. Im April 2022 wurde dann Anklage gegen M. wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Nötigung vor dem Landgericht München erhoben. Bis zuletzt war Johannes M. auf freiem Fuß. Im Zuge der Ermittlungen waren Polizei und Staatsanwaltschaft aber auf weitere mutmaßliche Mitglieder gestoßen.
Die Beiträge in den Telegramgruppen um Johannes M. waren typisch für die Reichsbürgerszene: Die Bundesrepublik wurde dort als illegal bezeichnet. Deutschland sei bis heute von den Alliierten besetzt, deren real längst aufgelöste „Supreme Headquarters, Allied Expeditionary Force“ (SHAEF) weiter das Sagen hätten. Auch befänden sich die „deutschen Völker“ in einem fortgesetzten Krieg, der Widerstand legitimiere. Staatliche Maßnahmen wie Zwangsvollstreckungen seien „Plünderungen“.
Immer wieder verkündete Johannes M. auch „Todesurteile“ gegen Behörden oder Politiker wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Johannes M. verwendete auch christliche Bezüge, nannte seine Telegramgruppe einen „Kanal Gottes“ und sinnierte über den Aufbau eines alternativen Siedlungsprojekts, dem „Giraffenland“. Und er erzielte damit einige Reichweite: Seinem zentralen Telegramkanal folgten 22.000 Nutzer*innen.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte zu der Gruppe um Johannes M., zwar sei es nicht zu konkreten Übergriffen gekommen, aber die Gruppe habe „im großen Stil bundesweit staatliche Einrichtungen beleidigt und teilweise massiv bedroht“. Reichsbürger könnten nicht nur skurrile Spinner, sondern auch gefährliche Straftäter sein. Deshalb müsse man einschreiten, bevor es zu weiteren Eskalationen komme.
In Bayern werden aktuell 5.549 Personen der Reichsbürgerszene zugerechnet – 189 mehr als 2022. 470 von ihnen wird ein „besonders aggressives Auftreten“ attestiert, 450 gelten als gewaltorientiert. Bundesweit rechnet der Verfassungsschutz der Reichsbürgerszene 23.000 Menschen zu, zuletzt auch hier ein Anstieg um 2.000.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) forderte auch, Telegram noch stärker zu kontrollieren, wo die Reichsbürgergruppe hauptsächlich aktiv war. Hierfür hatte sich zuletzt auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eingesetzt – mit durchwachsenem Erfolg.
Aktualisiert am 24.11.2023 um 13:47 Uhr. d. R.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut