Bundesverfassungsgericht und Medien: Die Karlsruher Schutzmacht
Ein früherer „Spiegel“-Korrespondent berichtete in Karlsruhe über Nähe und Distanz zwischen dem Verfassungsgericht und der Presse. Es wurde eine Zeitreise.
KARLSRUHE taz | Über das Verhältnis von Politikern und Journalisten wurde schon viel geschrieben, vor allem dass es in Berlin nicht mehr so kuschelig ist wie einst in Bonn. Doch wie sieht es eigentlich beim zweiten, etwa diskreteren deutschen Machtzentrum aus, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe?
Darüber sprach jetzt der langjährige Spiegel-Korrespondent Rolf Lamprecht vor Karlsruher Kollegen und Richtern. Über sechs Jahrzehnte lang hatte er als Journalist und Buchautor über das Gericht und die dortigen Prozesse berichtet und geschrieben.
Am Anfang war Adenauer, ein Kanzler mit entschlossenem Machtanspruch. Für ihn war es nur schwer zu akzeptieren, dass es ein Gericht gab, das auch die Politik in die Schranken weisen konnte. In anderen Staaten gab es so etwas schließlich auch nicht. „Das Kabinett ist sich darin einig, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts falsch ist“, erklärte er zum Beispiel, als Karlsruhe 1963 die Staatsunabhängigkeit des ZDF forderte. Erst der massive Protest der Öffentlichkeit zwang Adenauer zum Einlenken, erinnerte Lamprecht.
In den fünfziger und sechziger Jahren lernten die Richter, dass sie gegenüber der Politik eigentlich am kürzeren Hebel saßen. Der Bundestag konnte mit einfacher Mehrheit die gesetzlichen Grundlagen des Gerichts ändern, zum Beispiel die Zuständigkeiten und Zusammensetzung der beiden Senate, und en passant auch die Richtermacht einschränken.
Die Unterstützung der Medien
Nur mit Unterstützung der Medien und damit der Öffentlichkeit konnte Karlsruhe seine im Grundgesetz angelegte starke Position verteidigen. Die Presse wurde so quasi zur „Schutztruppe des Gerichts, zur einzigen Hausmacht, auf die die Richter im Zweifel zählen konnten“, analysierte Lamprecht.
Das änderte sich in den siebziger und achtziger Jahren. „Aus der Nähe wurde Distanz“, erinnert sich der ehemalige Spiegel-Mann. Die überwiegend linksliberalen Karlsruher KorrespondentInnen entfremdeten sich von der damals konservativen Richtermehrheit. Sie nahmen übel, dass die Richter sozialliberale Reformvorhaben wie die Straflosigkeit der Abtreibung stoppten und später die Regierung Kohl auch bei offen verfassungswidrigen Projekten abschirmten, etwa bei der Verlängerung des Zivildiensts gegenüber dem Wehrdienst, empörte sich Lamprecht.
Erst in den neunziger Jahren scharten sich die Journalisten wieder verteidigend um das Gericht. Damals geriet es wegen der liberalen Urteile zum Pazifisten-Spruch „Soldaten sind Mörder“ und der Entscheidung gegen Kruzifixe in Klassenzimmern unter massiven konservativen Druck. Die damalige Gerichtspräsidentin Jutta Limbach reagierte und installierte erstmals eine Pressesprecherin in Karlsruhe. „Das Gericht merkte, dass es auch eine Bringschuld gegenüber den Medien hat“, so Lamprecht.
Seit 1975 gibt es in Karlsruhe die Justizpressekonferenz (JPK) als Verein der Justizkorrespondenten. Die ist nicht nur Interessenvertretung, sondern schafft auch ein Forum für vertrauliche Gespräche zwischen Richtern und Journalisten am Rande von öffentlichen Veranstaltungen. Und dieses Forum wird auch rege genutzt.
„Die Richter haben gemerkt, dass sie die Karlsruher Journalisten als Interpreten ihrer Urteile brauchen“, sagt Lamprecht. Die Nähe gehe so weit, dass manche Karlsruher Journalisten dem Verfassungsgericht näher stehen als dem Medium, für das sie schreiben.
Für Lamprecht ist diese Nähe von Gericht und Korrespondenten offensichtlich Ausdruck einer gelungenen Beziehung und die zeitweilige Distanz ein Zeichen der Krise. Dass dem Gericht gerade aufgrund seiner derzeit unangefochtenen Verehrung in der deutschen Öffentlichkeit auch intensive kritische Begleitung guttut, ging bei Lamprecht leider etwas unter.
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