Bundesvereinigung Trans* über WHO: „Die Entscheidung ist ein Meilenstein“
Die Weltgesundheitsorganisation streicht Transsexualität von der Krankheitsliste. Das reicht noch nicht, findet BV-Trans*-Vorstand Wiebke Fuchs.
taz: Frau Fuchs, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Transsexualität von der Liste psychischer Erkrankungen gestrichen. Ist das ein großer Sieg für alle Trans*?
Die Entscheidung ist ein großer Schritt nach vorne. Wir sind schon immer davon ausgegangen, dass Trans*sein keine Krankheit ist, sondern einfach nur eine geschlechtliche Variante des Menschen, die gleichberechtigt neben allen anderen Vielfältigkeiten steht. Die Entscheidung macht uns Hoffnung und ist ein Meilenstein.
Kann die Streichung aus dem Kapitel der psychischen Krankheiten auch im Alltag für mehr Akzeptanz sorgen?
Auch in Deutschland halten viele Menschen Trans*sein nach wie vor für eine psychische Erkrankung. Die Änderung ist ein Schritt, ein Mosaikstein, auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung und hoffentlich zunehmender Entstigmatisierung. Auch, weil sie das Transsexuellengesetz ad absurdum führt, ist die Entscheidung für Trans* wichtig.
Was hat die Entscheidung mit dem Transsexuellengesetz zu tun?
Wir hoffen, dass das Transsexuellengesetz endlich abgeschafft wird. Darin ist Voraussetzung, dass Menschen zwei unabhängige Gutachten von sogenannten Sachverständigen brauchen, die mit dem „Problem des Transsexualismus“ vertraut sind, um ihren Vornamen oder ihren Personenstand zu ändern. Wenn es allerdings die Diagnose „Transsexualismus“ nicht mehr gibt, dann ist diese Regelung im Gesetz hinfällig. SPD, Grüne und Linke sind schon lange für eine Reform des Gesetzes – aber CDU und CSU sperren sich seit mehreren Legislaturperioden. Das hat man ja auch an dem Gesetzentwurf von Horst Seehofer zur Eintragung des dritten Geschlechts gesehen.
Inwiefern hat Horst Seehofer etwas blockiert?
Den Entwurf hat er so respektlos und konservativ wie nur möglich verfasst. Das wird zum Beispiel daran deutlich, dass die Eintragung des dritten Personenstandes nur für eine ganz bestimmte Gruppe zugänglich sein soll – nämlich für Intersexuelle, die ein entsprechendes ärztliches Gutachten vorlegen müssen. Aber für Menschen mit einer nicht-binären Identität, die sich weder als weiblich noch als männlich identifizieren, gibt es gar keinen Zugang zur Änderung von Vorname und Personenstand. Dabei sollte die Entscheidung überhaupt nicht an körperliche Merkmale geknüpft sein. In der Seehofer-Version bleibt es bei Pathologisierung und Fremdbestimmung.
Warum hat die Neuauflage des ICD, also der internationalen Klassifizierung von Krankheiten, eigentlich so lange gedauert?
, Jahrgang 1971, ist Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Trans*. Sie beschäftigt sich insbesondere mit den Themen Gesundheitsversorgung, Recht und Arbeitsleben.
Der ICD wird in nicht festgelegten Abständen überarbeitet. Die letzte Klassizierung stammt aus 1992 und ist in Bezug auf die meisten Diagnosen veraltet. Solche Prozesse sind sehr komplex, aber dauern nach unserer Ansicht oft zu lange. Wir merken das auch in anderen Kontexten, zum Beispiel bei der Erarbeitung der neuen Behandlungsleitlinien“Geschlechtsdysphorie und Geschlechtsinkongruenz“, die hoffentlich bald veröffentlicht werden. Auch in diesem Fall haben verschiedene Fachgesellschaften und Selbstorganisationen über Jahre hinweg miteinander diskutiert.
In der Schweiz will der Bundesrat erreichen, dass Vornamen unkompliziert geändert werden können. Was sind Ihre nächsten Ziele im Kampf für mehr Selbstbestimmung und Akzeptanz?
Genau das ist schon seit Urzeiten unsere Forderung: Die Änderung des Vornamens und Personenstands soll ein Verwaltungsakt beim Standesamt sein, zu dem eine persönliche Erklärung der jeweiligen Person genügt. Im jetzigen Transsexuellengesetz braucht es dazu zwei psychiatrische Gutachten, die das innere Empfinden bestätigen. Das übersteigt menschliche Möglichkeiten, denn das kann nicht von außen diagnostiziert werden. Stattdessen ist es ein diskriminierendes Verfahren, weil Menschen ihr Innerstes nach außen kehren müssen und danach begutachtet werden. Wir haben uns insbesondere zum Ziel gesetzt, die Gesundheitsversorgung für Transgender erheblich zu verbessern. Auch, indem wir uns für die Umsetzung neuer Behandlungsleitlinien einsetzen, die ein größeres Maß an Individualität, Selbstbestimmung und Bedarfsorientierung ermöglichen und Behandlungsstandards verbindlich vorgeben.
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