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Bundestagswahlkampf 2021Hat da jemand „langweilig“ gesagt?

Manche verfallen wieder in Wahlkampf-Meckerei. Das ist völlig daneben. Denn alles ist offen, jede Stimme wird zählen – und um Inhalte geht’s auch.

Noch fehlen die Inhalte: leere Plakatwand zur Bundestagswahl in Siegsdorf, Bayern Foto: Rolf Poss/imago

H at da jemand „langweilig“ gesagt und „kommt nicht in die Gänge“? Der Wahlkampf „plätschere“ bloß vor sich hin, diese „Auftaktinszenierungen“, wie peinlich, und dann schon wieder diese „immergleichen“ Wahlplakate, die könne doch keiner mehr sehen?

Ja du liebe Güte – was wünschen die Herrschaften denn? Soll es ihnen von den Bildschirmen so entgegenblasen, dass die Ohrmuscheln wegfliegen? Erwarten sie prügelnde Massen vor jedem Großplakat am Wegesrand? (Neues Wort gelernt, übrigens: Die ganz großen Plakate heißen „Wesselmann“ nach der anbietenden Firma, wie in „Für die wurden 20 Wesselmänner aufgestellt“.)

Um beim einfachsten Punkt anzufangen: Ich finde Wahlplakate prima. Es überrascht mich auch gar nicht, dass die Parteien nie ihr ganzes Programm draufdrucken und meistens darauf bestehen, die Köpfe der Kandidierenden zu zeigen. Mich interessiert tatsächlich, wie die Leute aussehen, die ich in die Parlamente schicken soll – im Plural, denn hier in Berlin wird ja auch das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Wenn man außerdem seit der letzten Wahl umgezogen ist, helfen solche – zugegeben: schlichten – Infos bei der Orientierung, welchen Namen es sich zu Hause zu googeln lohnt.

Es ist auch überhaupt nicht schlimm, dass laut Umfragen viele Leute noch gar nicht wissen, wen sie wählen wollen. Es tut mir nicht weh, dass sie die KanzlerkandidatInnen nicht übermäßig überzeugend finden. Nein, hier ist nicht die Demokratie auf neuartige Weise bedroht. Sondern Angela Merkel tritt ab. Da trifft es sich natürlich ungünstig, dass nicht jede Partei ihre beste Kandidatin oder ihren besten Kandidaten aufgestellt hat. Kam in der Vergangenheit aber auch schon vor.

Ohne Klima geht's nicht mehr

Die gemessenen Verunsicherungswerte zeigen daher vielleicht nur, wie klar den WählerInnen ist, dass ohne Merkel etwas wirklich Neues beginnt – und dass es sich lohnen könnte, bis zum Wahltag noch weiter zu beobachten und nachzudenken. Zumal Entscheidungshilfen entfallen: Aktuell ist es unmöglich, strategisch, also für eine bestimmte Koalition zu wählen, weil eben alles drin ist – ich erspare Ihnen hier die Aufzählung der Farbkombinationen.

taz am wochenende

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Schließlich aber sind es die viel verlangten Inhalte selbst, die in diesen Wahlkampf hineinkrachen wie … nun, wie eine Flutwelle in eine Gartenparty vielleicht. Natürlich war der Satz von Armin Laschet, „Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik“, ebenso bezeichnend wie, Verzeihung, bescheuert.

Tatsächlich hat der Mann bisher an Klimapolitik schlicht kein Interesse – was soll man sagen, er kommt aus NRW, auf die eine oder andere Weise machen LandespolitikerInnen da alle fossile Politik.

Aber jedem der teils jammervollen Bilder, die Laschet zuletzt abgab, ist doch anzusehen, dass er den Ernst der Lage langsam erfasst: Er wird echte Klimapolitik machen müssen. Also eine mit Geld und ohne Steuersenkungen. Natürlich können andere es besser, und reichen wird es ohnehin nie – gemessen an der Geschwindigkeit der Klimakatastrophe ist alles zu langsam.

Wenn ich diese Fußnote einflechten darf: Immerhin aber sind zum Beispiel mehrere der Klimablockierer in CDU und CSU endlich – Stichworte Masken und Aserbaidschan – als korrupt aufgeflogen, was auch die Haltung der Fraktion ändern könnte.

Nein, an der Klimafrage kommt niemand mehr vorbei, und schon gar nicht im vielzitierten Schlafwagen. Alles ist offen. Jede Stimme wird zählen. Das ist großartig – aus traurigem, klimakatastrophischem Anlass. Jedenfalls aber kein Grund, über den Wahlkampf zu meckern.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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1 Kommentar

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  • Ein Wahlkampf, in dem nicht als Top-Thema Klima im Fokus steht, wer will das verantworten? Die drängenden Entscheidungen zum Handeln sind keine Marginalien, die ab Herbst 2021, also in wenigen Wochen, auf die Bundesregierung und das Parlament zukommen. Keine Frage, dass jede(r) Wahlberechtigte auch persönliche Interessen verfolgt. Die unangenehmen Fragen aus dem Klimakontext betreffen mit Konfliktpotenzial Komfort, Ernährung, Mobilität, Gesundheit und auch Abrüstung. Wer will schon höhere Steuern, Einschränkungen der Freiheit oder Verpflichtungen zu Versicherungen bzw. teurer Vorsorge, wenn es nicht gratis ist? Für die "Todesdrohung Covid-19" hatte es ausgereicht, den Geldhahn weit aufzusperren. Beim Klima wird gerade das zum Menetekel. Ohne Leitplanken der Ethik und Sozialwissenschaften wird vieles verzögert starten. Deutschland kann stolz auf Wissenschaftler:innen sein, die wie Maja Göpel oder Harald Welzer vorausdenkend engagiert großartige Vorarbeiten geleistet haben.



    Ein Kommentar zur Qualität der Negativkampagnen aus der rechten Ecke wäre zuviel Aufmerksamkeit für Falsches.