Bundestagswahl am 24. September: Viele haben gar keine Wahl

In manchen Stadtteilen dürfen mehr als 40 Prozent der BerlinerInnen nicht an der Bundestagswahl teilnehmen: Sie haben keine deutsche Staatsbürgerschaft.

Bitte, geht zur Wahl. Der Türkische Bund wirbt bei Eingebürgerten für das Wahlrecht Foto: Türkischer Bund Berlin

Hacivat und Karagöz, die beiden vorlauten Helden des türkischen Schattentheaters, sollen türkeistämmige eingebürgerte BerlinerInnen daran erinnern, bei der kommenden Bundestagswahl am 24. September ihre Stimme abzugeben. Postkarten mit den Bildern der beiden Traditionsfiguren und dem türkischsprachigen Slogan „Lasst uns unser Wahlrecht nutzen!“ verteilt der Türkische Bund Berlin Brandenburg (TBB) in diesen Tagen etwa rund um das Kottbusser Tor.

Und diese Motivationskampagne ist nötig. Denn die Wahlbeteiligung liegt bei eingebürgerten deutlich unter der der gebürtigen Deutschen. Nach einer Datensammlung des Berliner „Projektkontors für Bildung und Forschung Minor“ war die Beteiligung von Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund bei der letzten Bundestagswahl 2013 mit 74,6 Prozent um über 12 Prozentpunkte niedriger als die gebürtiger Deutscher (87,2 Prozent). Die Angaben beruhen auf einer bundesweiten Befragung von WählerInnen, berlinspezifische Zahlen gibt es leider nicht.

Viele EinwanderInnen fühlten sich eben trotz deutscher Staatsbürgerschaft noch „nicht als Teil dieser Gesellschaft“, sagt dazu Ayşe Demir, Sprecherin des Türkischen Bundes. Das ist auch ein Generationenphänomen: Laut den Minor-Zahlen liegt die Wahlbeteiligung bei der zweiten Einwanderergeneration, also den Migrantenkindern, um fast 9 Prozentpunkte höher als bei den tatsächlich selbst Eingewanderten der ersten Generation.

Wedding ohne Wahl

Seit diesem Sonntag dürfen die Parteien auch mit Plakaten für die Bundestagswahl am 24. September werben. Mit rund 1.000 will die CDU die meisten Großflächenplakate in Berlin aufstellen, gefolgt von SPD (700), FDP (350), Linken (280), Grünen (240) und AfD (100). (dpa)

Und immerhin knapp 600.000 BerlinerInnen dürfen an den Bundestagswahlen – ebenso wie an der zeitgleich stattfindenden Abstimmung über die Zukunft des Flughafens Tegel – gar nicht erst teilnehmen. Das sind die über 18-Jährigen unter den insgesamt 676.741 AusländerInnen, die in Berlin gemeldet sind. Fast 94.000 dieser volljährigen AusländerInnen sind TürkInnen, gut 50.000 stammen aus Polen, etwa 40.000 aus arabischen Herkunftsländern. Viele davon leben schon lange in Berlin.

In manchen Stadtteilen Berlins liegt der Anteil der bei Bundestagswahlen nicht teilnahmeberechtigten Erwachsenen sogar bei über 40 Prozent: etwa im Weddinger Stadtteil Gesundbrunnen, wo 30.342 der insgesamt 74.753 über 18-Jährigen keinen deutschen Pass haben.

Angesichts einer durchschnittlichen Wahlbeteiligung von knapp 70 Prozent bei der letzten Bundestagswahl bedeutet das: Nur knapp 40 Prozent der Erwachsenen in diesem Bezirksteil von Mitte haben überhaupt an der Wahl des Deutschen Bundestags im Jahr 2013 teilgenommen.

Raed Saleh, SPD-Fraktionschef

„Nach der Ehe für alle ist das Wahlrecht für alle das nächste große Thema“

Kommunales Wahlrecht

Denn auch in Deutschland lebende EU-Bürgerinnen, die immerhin an Kommunalwahlen – in Berlin den Bezirkswahlen – teilnehmen können, dürfen das bei Bundestagswahlen nicht.

Doch ein Bundestagswahlrecht auch für lange hier lebende Ausländer wäre nur auf Bundesebene durchzusetzen. Und erscheint politisch so wenig durchsetzbar, dass selbst der TBB derzeit nur das kommunale Wahlrecht für alle, nicht nur für EU-Ausländer fordert.

Die Berliner CDU-Fraktion lehnt eine Wahlbeteiligung von Berlinerinnen und Berlinern ohne deutschen Pass strikt ab: „Es kann nicht das Ziel sein, dass Menschen über die Geschicke unseres Landes mit entscheiden, die sich nicht eindeutig zur Bundesrepublik Deutschland bekennen“, so der Fraktionsvorsitzende Florian Graf auf taz-Anfrage. „Allerdings ist für die CDU klar, dass es gefördert werden muss, wenn jemand die deutsche Staatsbürgerschaft und damit auch das Wahlrecht erlangen möchte.“ Es dürfe dabei aber nicht „der zweite Schritt vor dem ersten“ getan werden.

Ähnlich klingt die Stellungnahme des integrationspolitischen Sprechers der Berliner FDP-Fraktion, Paul Fresdorf. „Das Ziel von Integrationsbemühungen sollte es sein, dass am Ende des Integrationsprozesses auch die deutsche Staatsbürgerschaft steht“, schreibt er. Jeder, der das Land mitgestalten möchte, sei willkommen. „Es ist aber auch zu erwarten, dass bei politischer Mitgestaltung auf Bundes- oder Länderebene auch die Staatsbürgerschaft angenommen und damit ein Bekenntnis zu den Werten des Grundgesetzes ausgesprochen wird“, so Fresdorf weiter.

Bevorzugt SPD

Linke, Grüne und SPD dagegen befürworten zumindest ein kommunales Wahlrecht auch für Ausländer – jedenfalls solche, die mindestens fünf Jahre in Deutschland leben. Dass sich besonders Raed Saleh, Fraktionsvorsitzender der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, für das Ausländerwahlrecht starkmacht, verwundert wenig: Gut 40 Prozent der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund wählen SPD. Das geht aus einer Analyse des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration hervor. Nur 27 Prozent ziehen die CDU vor, 13 Prozent wählen Grüne, 11 Prozent die Linkspartei. „Nach der Ehe für alle ist das Wahlrecht für alle das nächste große Thema“, so Saleh zur taz.

Besonders groß ist der Zuspruch zur SPD unter Türkeistämmigen – auch in Berlin die größte Einwanderergruppe: Fast 70 Prozent von ihnen geben den Sozialdemokraten ihre Stimme.

Das ist ein Erbe der ersten Einwanderergeneration, meint TBB-Sprecherin Demir: „Sie waren mehrheitlich Arbeiter und haben die SPD als arbeitnehmer- und einwandererfreundliche Partei wahrgenommen.“ Doch das ändere sich: nicht nur, weil sich wahlberechtigte Einwanderernachkommen nicht mehr unbedingt für migrationspolitische Themen interessierten, sondern auch, weil die SPD in diesen Fragen „viel versprochen, aber wenig gehalten“ habe, so Demir. Die Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht für alle Ausländer schrieb sich die Partei erstmals in den Achtzigern auf die Fahnen. Durchgesetzt hat sie es bis heute nicht.

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