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Bundesparteitag der LinkenSilberlocken und grüne Jugend

Der Bundesparteitag gelingt ohne große Konflikte, dafür mit hart erkämpften Kompromissen – etwa zum Nahostkonflikt.

Noch mit Inhalt zu befüllen: Auf dem Parteitag werden Lunchboxen als Werbe­artikel angeboten Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Halle (Saale) taz | Die Linke hat wieder eine Sarah. Zumindest auf ihrem Bundesparteitag im sachsen-anhaltischen Halle. Am Sonntagmittag tritt ein Überraschungsgast auf die Bühne. „Mein Name ist Sarah-Lee Heinrich, und ich bin der Meinung: Es ist Zeit für was Neues“, sagt die Ex-Bundessprecherin der Grünen Jugend (siehe Inland, Seite 6). Gemeinsam mit einer Reihe Gleichgesinnter ist die 23-jährige Studentin vor einem Monat aus den Grünen ausgetreten. Jetzt steht sie also hier, um der schwer kriselnden Linkspartei Mut zu machen.

„Gerade heute braucht es mehr denn je eine starke linke Partei“, sagt sie. Die Linkspartei sei das zwar im Moment nicht. „Aber vielleicht könnt ihr ja genau diese Partei werden.“ Sie und die anderen Grüne-Jugend-Abtrünnigen interessiere sehr,„was ihr euch vornehmt und was ihr tun wollt“ – auch wenn sie sich selbst jetzt erst mal sortieren wollten: „Seht uns bitte nach: Wir haben gerade eine Beziehung beendet.“ Aber: „Ich glaube, wir werden noch voneinander hören.“ Der Auftritt Sarah-Lee Heinrichs ist ein Coup der neuen Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und van Aken. „Ich grüße alle von der Grünen Jugend, die die Partei verlassen haben“, sagte Schwerdtner. „Wer an einer starken linken sozialistischen Kraft in diesem Land arbeiten will, die sind herzlich willkommen.“

Doch noch ist es nicht so weit. Vorerst muss die Linkspartei noch mit ihrem bewährten Personal vorliebnehmen. Am Samstag hatte Gregor Gysi seinen großen Auftritt. Erst kurz zuvor auf dem Parteitag eingetroffen, betrat der in die Jahre gekommene Politpopstar am Nachmittag unter Beifall die Bühne. Und er hatte eine besondere Ankündigung mitgebracht: „Irgendwann nach dem Parteitag“ würden sich „drei ältere Genossen“ zum Essen treffen, teilte der mittlerweile 78-jährige Parteigrande den mehr als 540 Delegierten paternalistisch mit.

Zusammen mit Ex-Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch und Thüringens Noch-Ministerpräsident Bodo Ramelow werde er dann bei einem Wein „darüber nachdenken, ob es den wirklich notwendigen Aufschwung in unserer Partei gibt“. Falls sie zu einem positiven Ergebnis kämen, dann würde das Trio die „Aktion Silberlocke“ starten.

Ein Kompromiss zu Nahost

Das heiße, so gab Gysi bekannt, dass sie für diesen Fall „in vollem Umfang in den Wahlkampf eingreifen“ würden. Jeder von ihnen versuche dann sowohl ein Direktmandat zu erreichen, als auch dabei mitzuhelfen, die Fünfprozenthürde zu überspringen. „Über das Ergebnis unserer Beratungen werde ich euch informieren“, sagte Gysi. „Deutschland braucht eine starke demokratisch-sozialistische Partei“, schloss er seine zehnminütige Rede.

Tja, da wird sich die Partei wohl kräftig Mühe geben müssen, um den Ansprüchen der drei Altvorderen zu genügen. Aber immerhin: Zu Beginn am Freitag war es noch nicht einmal sicher, ob nicht schon der Parteitag in einem Scherbenhaufen ende. Nachdem eine Debatte über linken Antisemitismus auf dem Berliner Landesparteitag eine Woche zuvor zum Eklat geführt hatte, war die Angst groß, dass der Streit um den richtigen Umgang mit dem Nahostkonflikt auch den Bundesparteitag sprengen könnte. Auf den Fluren und in Hinterzimmern wurde fieberhaft um eine Lösung gerungen, mit der so viele wie möglich in der Partei leben können.

Tatsächlich gelang am späten Freitagabend das Wunder. Jan van Aken präsentierte einen Kompromissantrag, in dem der „menschenverachtende Terror der Hamas“ ebenso angeprangert wird wie „Völkerrechtsverbrechen“ der israelischen Armee. Israel und Palästina hätten „ein Recht auf Selbstbestimmung und auf Selbstverteidigung“. Das rechtfertige aber niemals Terror und Kriegsverbrechen. Die Kernbotschaft: „Unser Mitgefühl und unsere Solidarität gelten den israelischen, palästinensischen und libanesischen Opfern.“ Eine weitere Kernbotschaft: „Als Linke stehen wir gemeinsam und entschieden gegen jede Form des Antisemitismus und Rassismus – unabhängig davon, von welcher politischen und weltanschaulichen Richtung er ausgeht.“

Vorstandswahlen sorgen für keine Kontroversen

„Wir haben damit den Nahostkonflikt nicht gelöst“, räumte van Aken ein. Aber zumindest konnte eine gefährliche Bombe für den Parteitag entschärft werden. „Wir sind als Partei wirklich einen großen Schritt weitergekommen“, zeigte er sich zufrieden. Der Antrag wurde mit nur wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen beschlossen. Erleichterung war in vielen Gesichtern zu sehen, als um 22.36 Uhr der Themenkomplex ohne Knall abgeschlossen war.

Auch ein anderer Konflikt konnte zwar nicht gelöst, aber immerhin vertagt werden: Beim Dauerstreitthema bedingungsloses Grundeinkommen entschieden sich die Delegierten, weiterhin nichts zu entscheiden, also sich weder dafür noch dagegen auszusprechen. Damit gilt weiter das Erfurter Programm von 2011: „Diese Diskussion wollen wir weiterführen.“

Für keine Kontroversen sorgen die Vorstandswahlen am Samstag. Mit guten Ergebnissen wählten sie den 63-jährigen Hamburger Biologen van Aken und die 35-jährige Berliner Publizistin Schwerdtner zur neuen Doppelspitze. Zu ihren vier Stell­ver­tre­te­r:in­nen wurden die Hamburger Landesvorsitzende Sabine Ritter, die sächsische Landtagsabgeordnete Luise Neuhaus-Wartenberg, der Bundestagsabgeordnete Ateș Gürpinar und der Berliner Landeschef Maximilian Schirmer gewählt. Neuer Schatzmeister wurde Sebastian Koch, neuer Bundesgeschäftsführer Janis Ehling, beide ebenfalls aus Berlin.

Sie habe in den letzten Wochen und Monaten „festgestellt, wie unglaublich lebendig diese Partei ist“, hatte Schwerdt­ner zuvor in ihrer Bewerbungsrede geschwärmt. „Egal, was alle anderen sagen, lasst euch nichts einreden.“ Sie sei „als Sozialistin in eine sozialistische Partei gekommen, aus tiefer Überzeugung und mit dem Wissen, dass es sie braucht“, sagte die Mutter eines Sohnes, die erst seit August vergangenen Jahres Mitglied ist. „Wir verschwinden doch nicht, weil die Umstände schwieriger werden, wir richten uns auf“, gab sich Schwerdtner, die auch in Berlin-Lichtenberg die langjährige Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch als Direktkandidatin beerben will, kämpferisch.

Die Delegierten hörten’s gerne

Für ihn seien „Hoffnung und Zuversicht“ ganz zentral, sagte van Aken. Er bewerbe sich um den Vorsitz, „weil ich möchte, dass die Mehrheit in diesem Land wieder eine Stimme bekommt“, sagte van Aken in seiner Bewerbungsrede. Er wolle eine „klassenkämpferische Linke“, die unbequem ist, sich mit den „unanständig Reichen“ anlegt und „die Rechte der sozial Benachteiligten beinhart und stur verteidigt“, so der Vater von drei Kindern. Zudem müsse die Linke eine Partei des Friedens, der Menschenrechte und der Demokratie sein. Dazu gehöre auch die entschlossene Verteidigung des Rechts auf Differenz: „Woher wir kommen, wen wir lieben, was wir essen, wie wir reden, ist völlig egal“, so van Aken.

Die Delegierten hörten’s gerne: Schwerdtner bekam 79,6 Prozent der Stimmen, van Aken sogar 88 Prozent van Aken. Die beiden treten die Nachfolge von Janine Wissler und Martin Schirdewan an, die auf eine erneute Kandidatur verzichtet hatten und am Samstagvormittag mit Tracy Chapmans „Talkin’ ’bout a Revolution“ sowie großem Applaus verabschiedet wurden. Seinen Nach­fol­ge­r:in­nen wünsche er „Kraft und Glück“, sagte Schirdewan in seiner Abschiedsrede. „Das heißt aber auch: Schluss mit der destruktiven Machtpolitik in unseren eigenen Reihen“, forderte er. Und Schirdewan warnte vor einer Beschwörung vermeintlich guter alter Zeiten: „Eine Flucht in die Orthodoxie oder als BSW- light-Kopie wären das Ende.“ Selbstkritisch merkte er zur Abspaltung Sahra Wagenknechts und ihres Anhangs an: „Diese Trennung hätte früher kommen müssen.“

Auch Wissler, die am Freitag auftrat, konstatierte: „Es musste diese Trennung geben.“ Denn eine linke Partei dürfe „sich niemals einem rechten Zeitgeist anpassen und nach unten treten – auch wenn der Gegenwind noch so stark ist“. Zum Abschied wurde sie auch persönlich: Ihr sei zwar bewusst gewesen, dass der Wechsel 2021 von Hessen nach Berlin „hart werden würde, aber dass ich die Partei während einer Pandemie und durch eine Abspaltung führen musste, damit hatte ich dann doch nicht gerechnet“. Insbesondere die permanenten öffentlichen Angriffe aus den eigenen Reihen hätten sie geschmerzt. „Wenn wir ein Ort sein wollen, an dem sich Menschen aufgehoben fühlen, wo Solidarität mit Leben gefüllt wird, müssen wir anders, müssen wir sorgsamer miteinander umgehen“, schrieb Wissler ihrer Partei ins Stammbuch.

Nach ihr sprach am Freitagnachmittag Bodo Ramelow, der erste, einzige und demnächst ehemalige linke Ministerpräsident. Er war direkt von einer Bundesratssitzung aus Berlin angereist. „Ich wünsche uns die notwendige Kraft, uns neu zu sortieren“, sagte Thüringens Noch-Regierungschef in seiner 18-minütigen Rede. Es gehe ihm „auf die Ketten, wie wir uns mit uns selber beschäftigen“. Er habe auch „keine Lust mehr, für jeden Depp, der auf X unterwegs ist, den Kopf hinzuhalten“. Da müssten klare Grenzen gezogen werden, forderte Ramelow. Trotzdem sei er „froh, ein Linker zu sein“, und „stolz darauf, mit erhobenem Haupt in dieser Partei zu sein“. Von der „Aktion Silberlocke“ verriet er da noch nichts.

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