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Bundesinfektionsschutzgesetz läuft ausDer Senat lässt die Maske fallen

In Berlin ist Corona ab 1. April nach zweiwöchiger „Schutzfrist“ rechtlich passé. Auch eine Einstufung als Hotspot soll es nicht geben.

Nicht nur diese Anti-Corona-Maske soll Anfang April fast überall nicht mehr vorgeschrieben sein Foto: dpa

Berlin taz | Ab dem 1. April ist Corona in Berlin de jure abgeschafft, so wie im restlichen Deutschland spätestens zwei Tage später. Das ist Kern dessen, was Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag nach der Senatssitzung ankündigt hat. Außer einem sogenannten Basisschutz, der aus Maskenpflicht in Bus und Bahn, in Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie fortgeführten Coronatests in Schulen besteht, sollen alle Einschränkungen wegfallen. Nach dem Auslaufen der Vorgaben des Bundesinfektionsschutzgesetzes könnte das sogar schon am 20. März passieren. Laut Giffey wird Berlin aber wie mehrere andere Bundesländer, darunter Brandenburg, eine zweiwöchige Verlängerungsmöglichkeit als „Schutzfrist“ nutzen. Um Hotspot zu sein, für den eigene Länderregeln möglich sein sollen, steht Berlin coronamäßig laut Giffey zu gut da.

Einen vorgezogenen Aprilscherz schien die Regierungschefin bei der Pressekonferenz nach der Senatssitzung machen zu wollen. „Wir haben eine positive Tendenz“, sagte sie mit Blick auf Corona. Und: „Wir haben weiter sinkende Inzidenzen.“ Dabei war die 7-Tage-Inzidenz – die Zahl der binnen einer Woche neu Infizierten pro 100.000 Einwohner – von Montag auf Dienstag sprunghaft um rund 100 auf 881 gestiegen. Vergangenen Donnerstag allerdings hatte die Inzidenz mit 728 den tiefsten Stand seit Mitte Januar erreicht.

Auf den Widerspruch zwischen der jüngsten Entwicklung und ihrer Wortwahl angesprochen, verwies Giffey auf teils bei über einem Wert von 2.000 liegenden Inzidenzen in anderen Bundesländern und formulierte neu: „Es ist keine ganz schlechte Situation.“

Kritische Infrastruktur nicht überlastet

Zur Untermauerung verwies Giffey auch darauf, dass die kritische Infrastruktur – etwa Polizei, Feuerwehr, Energieversorger – nicht überlastet sei und die Intensivstationen nicht überliefen. Nur wenn das der Fall wäre, hätte Berlin als Hotspot gelten und eigene Coronaregeln beschließen können. Genaue Grenzwerte dafür nannte sie nicht. Niedersachsen erwägt hingegen eine Hotspot-Regelung. Eine Regierungssprecherin berief sich dort auf eine Krankenhausbelegung mit Coronapatienten. Die ist in Niedersachsen derzeit deutlich niedriger als in Berlin.

Offiziell beschließen und in Form bringen will der Senat seine Position erst am Samstag – nach den in dieser Woche noch anstehenden entscheidenden Sitzungen von Bundestag und Bundesrat. Entschieden ist bereits, dass ab Freitag in den Berliner Kitas wieder der Regelbetrieb gelten soll, sprich: alles so laufen soll wie vor Corona.

Geeinigt habe man sich auch, die Möglichkeit der Übergangsfrist zu nutzen. Aus Termingründen endet die in Berlin früher als anderswo: nicht am 2. April, sondern am 31. März. Dann soll das meiste passé sein, was derzeit noch den Alltag prägt: die kostenlosen Coronatests, die Maskenpflicht beim Einkaufen wie auch in der Schule, aber offenbar auch – das wollte Giffey noch genau klären lassen – die Pflicht zu Quarantäne und Isolation.

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6 Kommentare

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  • Großes Kino, Frau Giffey & Senat! Mensch kann sich die Welt offenbar so hinbiegen, wie mensch will. Erst von rückläufiger Tendenz faseln (schwurbeln?) und dann meinen, dass die Situation nicht ganz so schlecht sei. Mit so einer verzerrten Wahrnehmung und Darstellung lassen sich dann auch besser jegliche Maßnahmen kippen, nicht wahr? Maskentragen ist ja auch sooo eine Belastung. Wie toll, dass die Gesellschaft so "individualistisch" und neoliberal geprägt ist, dass dann eigenverantwortlich gehandelt werden darf. Sollen doch die Vulnerablen eine Maske tragen u.ä. - WTF!?! Vielen Dank auch für die Solidarität! Zumindest sind die angestrebten Maßnahmen konsequent - gab es nach anfänglicher Maskenausgabe später keine mehr für Arme, so werden nun offenbar wieder Schnelltest kostenpflichtig. Was für eine großartige Idee! Wer war noch gleich von Covid19 am stärksten betroffen??[1] Der Senat will offenbar jetzt nicht die hohen Zahlen sehen und später den Verlauf gar nicht mehr sehen wollen können. Genialer Schachzug! Eigentlich müssten dann Quarantäne und Isolation gar nicht mehr abgeschafft werden. Denn wer quasi per Zauberhand nur noch einen "leichten Schnupfen" hat, braucht auch nicht in Quarantäne ... ;-(



    [1] taz.de/Soziologe-u...Spaltung/!5752996/

  • Wer , wie wir das auch schon hatten, einer gefährdeten Person empfiehlt, halt zu 'leeren' Zeiten einkaufen zu gehen, im Supermarkt gleich nach Öffnung beispielsweise, weil es nach Abschaffung der FFP2-Maskenpflicht ja nur noch Eigenschutz, jedoch keinerlei Rücksichtnahme der Umgebung mehr geben wird: die:der schickt den Immunsuprimierten, die 80-Jährige, den HIV-Positiven also morgens im Berufsverkehr in die Straßenbahn. Oder wie ?

  • Die Berliner (Mecklenburger, Rheinland-Pfälzische ---) Feuerwehr gießt sich noch nen Kaffee ein und sieht keinen Anlass, mehrere gerade brennende Häuser zu löschen - weil woanders im Land ja grade vergleichsweise viel größere Brände lodern. Dies ist die banale, aber offenbar gefährlich oft verfangende Verarsche, die hinter dem "Hotspot"-Gerede der FDP-geführten Bundesregierung steckt. Vor exakt einem Jahr, am 16.3., warnte ein RKI-ler vor unverantwortlichen Lockerungen, weil die Inzidenz grade stieg: die lag bundesweit bei ...



    83,7.



    www.tagesschau.de/...-wachstum-101.html

  • Endlich wieder Party feiern wie vor Corona. Was bedeuten schon Zahlen sind doch nur relativ und bedeuten nichts. Covid muß man ignorieren lernen. Im Mai sehen wir unsere Zukunft. Endlich Frühling.

  • Immerhin ein Bundesland, dass nicht schon vor Beschluss des Gesetzes ankündigt, gegen das Gesetz verstoßen zu wollen. Denn eine Überlastung des Gesundheitssystemt droht derzeit nirgends - das wäre allerdings die Voraussetzung, damit eine "Hotspot"-Regelung durch eine Landesparlament überhaupt beschlossen werden darf.

    • @Stefan Groß:

      Wie war das mit "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand... " ??? Das sollte zur Abwechslung mal die Seite der Vernünftigen für sich reklamieren und den weiteren Schutz, auch Gefährdeter, beispielsweise (per FFP2-Tragepflicht für alle) in Supermärkten, durchzusetzen versuchen. Die FDP-geführte Bundesregierung ist hier im Unrecht. Wo kommen wir hin, wenn es nur noch 'Eigenschutz' gibt ? Alle Fußgängerampeln abschalten, solange es das GESUNDHEITSSYSTEM NICHT ÜBERLASTET: ?