Büro für planetare Verteidigung: „Ein Einschlag auf dem Mond wäre ein gigantisches Spektakel“
Welche Gefahr geht von natürlichen Objekten im All für die Erde aus? Physiker Richard Moissl erklärt, was hauptberufliche Asteroidenjäger machen.

taz: Herr Moissl, Sie arbeiten im Büro für planetare Verteidigung der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Das klingt, als könnten wir jederzeit angegriffen werden. Gegen wen oder was verteidigen Sie uns da?
Richard Moissl: Gegen natürliche Objekte aus dem Weltall. Bei uns arbeiten hauptberufliche Asteroidenjäger – also Astronomen, die erdnahe Asteroiden suchen, beobachten und verfolgen. Außerdem berechnen Mathematiker mithilfe eines riesigen Computersystems die Bahnen aller bekannten erdnahen Asteroiden auf 100 Jahre im Voraus. Mit allen physikalischen Effekten und allen Unwägbarkeiten. Drittens beschäftigen wir uns besonders mit Asteroiden, die wirklich eine Gefahr darstellen. Hier informieren wir die Öffentlichkeit und diejenigen, die etwas tun müssten.
taz: Mal ganz grundsätzlich: Wie hoch ist die Gefahr, dass wir durch einen Asteroiden einfach aussterben, so wie es den Dinos passiert ist?
Moissl: Das können wir für die nächsten 100 Jahre im Prinzip ganz ausschließen. Auf sehr großen Zeitskalen von zwei bis dreistelligen Millionen Jahren muss durchaus mit einem Ereignis gerechnet werden wie dem, das vor circa 65 Millionen Jahren den Chickxulub-Krater verursacht und das Ende der Dinosaurier besiegelt hat.
taz: Wie viele Asteroiden gibt es in der Nähe der Erde?
Moissl: Knapp 38.000, von denen die meisten harmlos sind. Immer dann, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags innerhalb der nächsten 100 Jahre nicht gleich null ist, kommen Asteroiden auf eine spezielle Risikoliste – egal, wie klein sie sind. Derzeit stehen darauf etwa 1.800.
taz: Vergangenen Dezember hieß es, der Asteroid 2024 YR4 würde am 22.12.2032 möglicherweise auf der Erde einschlagen. Inzwischen hat die ESA klargestellt, dass er vorbeifliegen wird. Warum wussten Sie das nicht früher?
Moissl: Das ist ein typischer Effekt. Asteroiden befinden sich in einer Umlaufbahn um die Sonne. Wenn man einen von ihnen entdeckt, hat man zunächst nur einen kleinen Teil von einer großen Bahn um die Sonne ausgemessen. Welche Bahn er ganz genau fliegt, kann man durch so eine Momentaufnahme noch nicht mit genügend Präzision bestimmen. Das heißt, es gibt meistens zuerst einen riesengroßen Bereich, wo ein Asteroid sich Jahre später befinden kann. Wenn die Erde sich nun in diesem Bereich befindet, ist die Einschlagwahrscheinlichkeit nicht gleich null. Je besser wir den Asteroiden und seine Bewegungen verstehen, desto genauer können wir seine Position zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft vorhersagen. Schlussendlich sinkt die Einschlagwahrscheinlichkeit oft auf null – nämlich immer dann, wenn wir wissen, dass sich die Erde außerhalb des Möglichkeitsraums befindet.
taz: Asteroiden – so auch YR4 – entdecken Sie mithilfe von Teleskopen. Aber wie finden Sie dann mehr heraus?
Moissl: Für unsere Teleskope ist der Asteroid erst mal nur ein winziger Punkt, der sich bewegt und nicht wie ein Stern fest am Himmel steht. Dass wir ihn überhaupt sehen, liegt daran, dass er das Licht der Sonne reflektiert. Die Entfernung können wir bestimmen, indem wir mehrere Positionen erfassen. Für physikalische Eigenschaften wie den Durchmesser müssen wir jedoch immer erst mal mit Schätzwerten arbeiten.
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taz: YR4 wird von der NASA auf grob 60 Meter Durchmesser geschätzt. Wann sind zuletzt Asteroiden ähnlicher Größe auf der Erde eingeschlagen?
Moissl: Da gibt es zwei prominente Beispiele von Asteroiden mit Größen von rund 50 Metern Durchmesser. Ein Objekt ist wohl 1908 über Sibirien in die Erdatmosphäre eingedrungen. Von der Beschaffenheit her war das ein Haufen Geröll, der im Weltraum fast nur durch Kohäsionskräfte wie eine Blase zusammengehalten wurde. Nach dem Eintritt in die Atmosphäre wurde er zerrissen und hat eine Druckwelle erzeugt, die ein ungefähr 2.000 Quadratkilometer großes Waldgebiet eingeebnet hat. Das entspricht in etwa der Fläche einer Großstadt. Gott sei Dank geschah das in einer sehr gering bevölkerten Gegend. Es sind keine Todesfälle überliefert. Leider war man erst 20 Jahre später für Untersuchungen vor Ort und das Material war bereits so verwittert, dass es nicht mehr zu identifizieren war. Das zweite prominente Beispiel geschah wohl vor circa 50.000 Jahren in Arizona. Der Asteroid hatte einen massiven, eisenhaltigen Körper und hat einen 1,2 Kilometer großen Krater in die Landschaft gehauen. Er hat durch die Druckwelle ebenfalls die Fläche einer Großstadt zerstört. Deshalb sind 50 Meter Größe bei einem Asteroiden für uns ein wichtiger Marker. Wenn eine solche Fläche zerstört werden kann, ist es ernst.
taz: Wie sähe eine Stadt wie Berlin oder London aus, nachdem dort ein 50 Meter großer Asteroid eingeschlagen ist?
Moissl: Das hängt im Wesentlichen von der Zusammensetzung und den Materialeigenschaften eines Asteroiden ab. In beiden Fällen wäre in einem Radius von mehr als 10 Kilometern mit einer lebensgefährlichen Druckwelle sowie starker thermischer Strahlung zu rechnen. Da würde man nicht sein wollen.
taz: Sie geben die potenzielle Gefahr auf einer Skala an.
Moissl: Die Turiner Skala ist für die allgemeine Bevölkerung gedacht. Sie geht von 0 bis 10 und nutzt eine Art erweitertes Ampelschema. Sie verrechnet die Einschlagwahrscheinlichkeit und den erwartbaren Schaden. Die allermeisten Asteroiden tummeln sich bei null, da gibt es keinerlei Handlungsbedarf. Eine Einordnung bei 1 und 2 bedeutet für uns, dass es Priorität hat, zu diesem Asteroiden mehr Daten zu gewinnen. Ab Stufe 3 könnte ein Asteroid mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent oder mehr wirklich gefährlich werden. Eine so hohe Einordnung ist sehr selten. Zum Beispiel wurde ein Asteroid im Jahr 2004 auf Stufe 4 eingestuft, aber nur für vier Tage. 2025 hat der bereits erwähnte YR4 zwei Rekorde gebrochen: Er war der erste Asteroid auf Stufe 3 und der Asteroid, der am längsten höher als Stufe 1 durchgehalten hat.
taz: Nun ist klar, dass YR4 nicht auf der Erde einschlagen wird, aber mit einer Wahrscheinlichkeit von 2 Prozent auf dem Mond. Was würde das für uns bedeuten?
Moissl: Sollte es dazu kommen, wäre das ein gigantisches Spektakel. Er würde auf der von der Erde aus beobachtbaren Seite einschlagen. Das gäbe zuerst einen großen Blitz und dann könnte man die Wolke beobachten, die durch den Auswurf von der Kraterbildung entsteht. Einige Tage später gäbe es enorm viele Sternschnuppen und viele kleine Meteoriten, von denen wir aber nicht erwarten, dass sie ernsthaft gefährlich werden würden. Natürlich sollte gerade dann kein Astronaut auf dem Mond herumspazieren. Wir erwarten aber, dass sich die Wahrscheinlichkeit ähnlich wie bei der Erde entwickeln wird, also am Ende zu null wird. Im Jahr 2028 tritt er wieder in den für uns beobachtbaren Raum ein und wir können weitere Daten sammeln.
taz: Die ESA führt bereits eine Mission durch, um potenziell gefährliche Asteroiden im Weltall herumzuschubsen, damit sie auf eine andere Bahn gelangen. Das klingt ziemlich unvorstellbar. Wie läuft so was ab?
Moissl: 2021 startete eine Raumsonde und beeinflusste mit einem Schubs 2022 einen kleinen Asteroiden in seiner Bahn um den größeren Asteroiden. Die Raumsonde ist in den kleinen Asteroiden reingekracht und naturgemäß komplett pulverisiert. Kurz nach ihrem Ende hat der nur aktengroße italienische LiciaCube, der von der Mission als Passagier mitgenommen wurde, noch ein paar atemberaubenden Bilder von der entstandenen Staubwolke gemacht. Aber vieles konnte eben nicht im Detail beobachtet werden. Deshalb haben wir letztes Jahr die ESA-Raumsonde Hera gestartet und wollen nun ganz genau wissen: Was ist jetzt mit dem Asteroiden im Detail passiert? Wie hat er sich verändert?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
taz: Das klingt sehr teuer, wenn voraussichtlich erst mal nichts passiert. Lohnt sich das überhaupt?
Moissl: Wir können für die nächsten 100 Jahre zwar Einschläge von Objekten mit mehreren Kilometern Durchmesser ausschließen, aber nicht für Objekte von unter einem Kilometer. Es ist also bei Weitem nicht gesagt, dass „nichts passiert“. Ein Asteroideneinschlag über bewohntem Gebiet führt auch bei einem Durchmesser von nur 20 Metern zu sogenannter lokaler Zerstörung. Dagegen sind Raumsonden zur Aufklärung und Abwehr verhältnismäßig günstig.
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