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Bürgerschaftswahl in HamburgStrategisches Dilemma der Grünen

Jan Kahlcke
Kommentar von Jan Kahlcke

Das Projekt einer anschlussfähigen Volkspartei wackelt stark: Gerade junge Wähler sind mit dem mittigen Kurs der Hamburger Grünen unzufrieden.

Mixed emotions: Die Grünen-Spitze mit Katharina Fegebank in der Mitte bei der Verkündung der Wahlprognose um 18 Uhr Foto: Marcus Brandt / dpa

A uf Augenhöhe mit der CDU – was anderswo klingen mag wie ein Erfolg, ist für die Hamburger Grünen ein Rückschlag. Nach den Prognosen haben sie ordentlich eingebüßt gegenüber der vorigen Bürgerschaftswahl vor fünf Jahren.

Zugegeben, damals war es eine „Klimawahl“ im Aufstieg der Klimabewegung, und die Grünen hatten ihr Rekordergebnis erzielt, zeitweilig sogar davon geträumt, mit dem Koalitionspartner SPD die Plätze zu tauschen.

Dass es nun ganz anders gekommen ist, nur auf den Bundestrend nach dem Ampel-Aus zu schieben, wäre zu billig. Zumal die Verluste viel größer sind als bei der Bundestagswahl. Und zumal sich der Abwärtstrend der Hamburger Grünen schon bei den Bezirkswahlen im vergangenen Frühsommer deutlich gezeigt hatte.

Das Projekt der anschlussfähigen Volkspartei wackelt

Die Partei steckt in einem strategischen Dilemma: Wie auf Bundesebene wackelt auch in Hamburg das Projekt einer in alle Richtungen anschlussfähigen Volkspartei – ausgerechnet in jenem Landesverband also, der mit der ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene mal so etwas wie die Speerspitze dieses Projekts war.

Für einen Moment hatte es 2020 so ausgesehen, als ließe sich die Expansion ins etablierte Bürgertum mit den sozial-ökologischen Wurzeln vereinbaren. Doch bei dieser Wahl haben die Grünen nun an beide Seiten verloren.

Die klimabewegte Jugend ist in Scharen zur Linken übergelaufen. Weil die Grünen in Hamburg in diesem Feld wenig Sichtbares erreicht haben und sich dann auch noch schwergetan haben, dieses Wenige als ihre Erfolge zu reklamieren.

Gleichzeitig haben sie es versäumt, der Parteilinken in symbolisch hoch aufgeladenen Fragen die Hand zu reichen: Wie sie eine Abgeordnete abgekanzelt haben, die es gewagt hatte, mit der Linken für einen NSU-Untersuchungsausschuss zu stimmen, hat viele Grünen-Sympathisant:innen verstört.

Noch schwerer wiegt vielleicht die Dehnbarkeit grüner Positionen in der Migrationspolitik – auf Bundesebene, aber auch in Hamburg selbst. Da haben die Grünen dem Vorpreschen der SPD mit einer sehr restriktiv ausgelegten Bezahlkarte für Geflüchtete ebenso wenig entgegengesetzt wie der unmittelbar bevorstehenden Einrichtung von Deutschlands erstem Dublin-Abschiebezentrum.

Die Folge war der Auszug der kompletten Führungsebene der Grünen Jugend – wie in vielen Ländern. Aber in Hamburg hat das Partei-Establishment das mindestens mit demonstrativer Gleichmut hingenommen. Auf ihrem Programm-Parteitag klangen in vielen Reden sogar Triumphalismus und Häme der mittelalten und sehr alten Grünen gegenüber dem nervigen Nachwuchs durch, wo Schmerz über den Verlust der engagierten Jugend angebracht gewesen wäre.

Noch vor wenigen Wochen hat das Spitzenpersonal der Partei hinter verschlossenen Türen freimütig darüber schwadroniert, dass man die jugendlichen Bedenkenträge­r:in­nen ja nun hinter sich gelassen habe und bereit sei für eine grün-schwarze Koalition – in dieser Reihenfolge, bitte schön.

Es ist fast ein bisschen ungerecht, dass es auch auf der anderen Seite in der grünen Kernklientel rumort: Besserverdiener vor allem in den dicht besiedelten, innenstadtnahen Vierteln. Dort sind sie besonders stark davon betroffen, wie die Grünen noch am ehesten grüne Inhalte durchgesetzt haben: von einer Verkehrspolitik, die ernsthaft versucht, den Vorrang der Autos einzudämmen. Auch der Autos der Grünen-Wähler:innen.

Die SPD hat kein Interesse, die CDU aufzuwerten

Dass sich die Grünen – egal ob sie als Zweiter oder Dritter ins Ziel gehen – keine Sorgen um ihre Regierungsbeteiligung machen müssen, ist auch kein gutes Zeichen. Es liegt nämlich daran, dass die SPD kein Interesse daran haben kann, die CDU durch eine Regierungsbeteiligung aufzuwerten. Am Ende könnten die Konservativen sich dort noch profilieren und den seit Olaf Scholz’ absoluter Mehrheit vor 14 Jahren im Niedergang befindlichen Sozialdemokraten gefährlich werden.

Der SPD kann nichts Besseres passieren als ein ewiger grüner Juniorpartner. Wenn er geschwächt ist, umso besser, solange es zur gemeinsamen Mehrheit reicht. Bürgermeister Peter Tschentscher hat schon vor der Wahl angekündigt, seinem Koalitionspartner in diesem Fall einen Senatorenposten wegzunehmen. Und Obacht: Der Mann pflegt zu tun, was er sagt. Das ist sozusagen sein Markenkern.

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Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
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9 Kommentare

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  • Das Dilemma der Grünen hat zwei Treiber:



    - die angestrebte Balance zwischen den Realos und Fundis.



    - die Diskrepanz zwischen Wollen und Können in Regierungsfunktionen.

  • Die gegen Privat-Kfz (Parkplätze eins11!) gerichtete Verkehrspolitik ist zweifellos, wie schon in Bremen & Berlin, grünes Verliererthema Nr 1.



    Es ist den Grünen offenbar nicht möglich, erfolgversprechendere Ansätze, wie Teilhabe am öffentlichen Raum, in den Vordergrund zu stellen.



    Gegen das Auto scheint ein MUSS - auch wenn die Gegenwelle absehbar größer ist als alles, was man selbst mobilisieren kann.

    Ist das politische Dummheit? Ist das Getriebensein von Vereinen wie ADFC, BUND & Co, die sich vor allem mit Kfz-Feindlichkeit profilieren? Oder ist das Absicht, weil man eine Verkehrswende aus industriepolitischen & petromaskulinen Erwägungen nicht will?

    Ich frage, weil Ansätze außerhalb der dümmlichen Anti-Kfz-Strategie konsequent sabotiert werden.

    Ein (1) Beispiel.

    Der Radentscheid HH hat mit Grünen & SPD (darunter Verkehrssenator Anjes Tjarks) u.a. vereinbart, dass es eine Strategie zur Anlage eines Schulradwegenetzes begleitet von einer4-jährlichen wissenschaftlichen Erhebung zum Mobilitätsverhalten der HHer Schüler:innen geben wird.



    200 000 € wurden für Letzteres zugesagt und von der Bürgerschaft beschlossen.



    Von Tjarks persönlich wurde die Frequenz auf 2jährlich erhöht.

    • @Vorstadt-Strizzi:

      Nur: Nichts von dem hat stattgefunden.



      Keine Erhebung des Mobilitätsverhaltens, kein Meter Schulradweg.



      Trotz Versprechen des Verkehrssenators, trotz der über 23 000 Hamburger:innen, die die Volksinitiative unterschrieben haben, trotz des Beschlusses der Bürgerschaft, trotz der Unterstützung von FFF.

      Eine Verkehrswende in Hamburg, die nicht die Kfz-Nutzer zum Feindbild hat, sondern die Kinder & Jugendliche zur alltäglichen Nutzung des öffentlichen Raums befähigt (und damit anschlussfähig für weite Teile der Bevölkerung wäre und auch über Parteigrenzen hinweg), eine solche Verkehrswende ist offenbar nicht erwünscht.



      Aus welchen Gründen auch immer.

      Mein Fazit:



      Die grünen Herren machen es selbst, dass ihnen die Jugendlichen Feind werden.

  • Die Grünen müssen aufpassen, daß sie Ihre Kernthemen nicht verlieren. Wenn die Wähler zur Linken abwandern, dann läuft etwas schief. Der potentielle Wähler, der auch mal CDU oder FDP wählt, sollte nicht das Ziel aller Bemühungen sein. Diese Wählergruppe entscheidet nur nach dem Geldbeutel, nicht nach ökologischen Kriterien. Die Verteidigung der klassischen, liberalen Freiheiten (nicht der rein ökonomischen) sollte zudem ein Schwerpunkt in der zukünftigen Strategie sein.

  • Ich schätze, grüne und linke. Sind in der alternativen Blase viel vertreten. Und es wird stark strategisch gewählt. Die Linke ist im kommen, da die afd wächst und keiner will in der alternativen Blase Die Linke unter 5% sehen. Nach meiner Einschätzung wählen jugendliche nach Idiologien, aber lassen sich gut mit Inhalten überzeugen.

  • Keine(r) braucht eine etwas grünere CDU. Um die Klimakatastrophe zu bekämpfen werden radikale Maßnahmen notwendig sein. Eine Partei, welche am Kapitalismus festhält und von grünem Wachstum schwadroniert, will keinen wahren Klimaschutz, sondern nur das Wohltu-Gefühl etwas zu tun.

  • Das Spitzenpersonal der HHer Grünen erscheint bis auf die sympathische 2. Bürgermeisterin - und den scheidenden Umweltsenator - leider auch vollkommen desinteressiert an den 'alten' grünen Themen wie Umweltschutz / Artenschutz / und dem neueren Klima.



    Sehr gut zu bemerken an den Veranstaltungen, die die Grünen so übers Jahr anbieten.

    Ich supporte sie dennoch, denn eine alternative Partei für diese Themen hat HH derzeit noch nicht. Die Linke möchte ja leider die Ukraine waffenlos im Regen stehen lassen.

  • Wieso ungerecht? Besserverdiener sind sich selbst am nächsten. Wenn man die versucht zu umgarnen, dann muss man die Ökologie opfern.



    So ist das eben, wenn man versucht, es allen recht zu machen.

    • @nihilist:

      Die Ökologie muss nicht komplett geopfert werden, aber mit Sicherheit müssen Abstriche gemacht werden, wenn die Grünen vorhaben eine Volkspartei zu werden.

      Entweder man ist eine Nischenpartei und fokussiert sich auf den Klimaschutz, oder man versucht das Leben der Bürger insgesamt besser zu machen (maßgeblich natürlich ökonomisch) und hat so die Chance eine Volkspartei zu werden.