Bürgerkrieg in Syrien: Gräber und eine Puppe bleiben zurück
In Daraja bei Damaskus hat Assad gesiegt. Nach vier Jahren Bombardierung und Aushungern haben die letzten 8.000 Bewohner kapituliert.
Inzwischen sitzen die drei in einer Notunterkunft im vom Regime kontrollierten Ort Harjaleh, der vierjährige Muadh hat staunend seinen ersten Keks gegessen. Die Rebellen wurden mit ihren Familien in Oppositionsgebiete der nördlichen Provinz Idlib gebracht. Ihre Heimat Daraja liegt in Trümmern. Ein Ort, der wie kein anderer das menschliche Drama Syriens symbolisiert.
Denn Daraja ist berühmt. Für seine Trauben und seine Revolutionäre, für Massaker und surreale TV-Reportagen, für oppositionelle Medienmacher, Fassbomben, Hungerblockaden, abgewiesene UN-Konvois und jetzt für die Kapitulation seiner Bewohner. Dabei hatte vor fünf Jahren alles so vielversprechend begonnen.
Früh entwickelt sich Daraya zum Zentrum friedlicher Proteste. Der 26jährige Ghaith Matar wird dort zur Ikone des zivilen Widerstands, er verteilt Blumen und Wasser an die Soldaten von Präsident Baschar al-Assad und wird dafür „Syriens kleiner Gandhi“ genannt. Anfang September 2011 – kurz vor der Geburt seines ersten Kindes – wird Matar von den Sicherheitskräften des Regimes verhaftet und zu Tode gefoltert. Zur Trauerfeier gehen damals auch westliche Botschafter.
Ein Zentrum des zivilen Widerstandes
Als sich die Revolution landesweit militarisiert, etabliert sich in Daraja die Freie Syrische Armee mit 3.000 Kämpfern, die den nahegelegenen Militärflughafen des Regimes in Mezze bedrohen – einer der Gründe, warum Assad den Ort um jeden Preis zurückerobern will.
Unter Menschenrechtlern haben Darayas bewaffnete Gruppen einen guten Ruf. Bassam Ahmad vom Violations Documentation Center kann sich an keinen Fall von Kriegsverbrechen durch die dortigen Rebellen erinnern.
Beeindruckend bleibt Darayas ziviler Widerstand. Im Januar 2012 veröffentlichen Aktivisten die erste Ausgabe der Wochenzeitung Enab Baladi („Heimische Trauben“). Sie wird überwiegend von Frauen gemacht und erreicht jeden Sonntag mehrere Hunderttausend Leser, vor allem über die sozialen Netzwerke.
Hat jemand die UNO gesehen?
Das einzige Mal, das Enab Baladi nicht erscheint, ist Ende August 2012. Damals rückt das Regime mit Soldaten und Shabiha-Milizen in den Ort ein. Sie gehen von Haus zu Haus und richten Bewohner hin, je nach Quelle sterben zwischen 270 und 320 Menschen.
Die Berichterstattung des Assad-treuen Fernsehsenders al-Dunya TV über das Massaker von Daraja gilt als besonders groteskes Beispiel für Regime-Propaganda. Am 25. August 2012 läuft eine entspannte Reporterin in Begleitung von Soldaten durch Daraja und befragt zum Teil schwer verletzte Überlebende nach den verantwortlichen „Terroristen“, darunter ein Kleinkind, das noch in den Armen seiner toten Mutter liegt.
Im September 2012 riegelt das Regime Daraja ab und startet massive Luftangriffe – vier Jahre lang wird der Ort ausgehungert und bombardiert. Der Lokale Rat zählt mindestens 9.000 Fassbomben-Angriffe. Die Menschen ernähren sich von wässriger Suppe. Immer wieder wenden sich Frauen und Kinder im Internet an die Weltgemeinschaft, zuletzt am 21. August mit einer Vermisstenanzeige: „Hat jemand die UN gesehen? Bitte helft uns sie zu finden!“
Eine Hilfslieferung in vier Jahren
Humanitäre Hilfe lässt das Regime in Daraja jahrelang nicht zu. Als die UNO endlich die Genehmigung für einen Konvoi erhält, wird dieser am 12. Mai 2016 am Checkpoint abgewiesen. Die wartenden Menschen werden beschossen, ein Vater und sein Sohn sterben. Einen Monat später, am 10. Juni 2016, erreicht die erste und einzige Hilfslieferung die Eingeschlossenen in Daraja. Nachdem die Lastwagen den Ort verlassen haben, wird dieser erneut bombardiert.
In den vergangenen Wochen setzt das Regime nach Angaben des Lokalen Rates auch Brandbomben ein. Dabei werden Felder niedergebrannt; die letzte Untergrundklinik wird zerstört. Assads Strategie „ergebt euch oder sterbt“ funktioniert – Darajas Bewohner geben auf. Zurück bleiben die Gräber ihrer Liebsten und eine Puppe. Mayas hat sie dort gelassen, damit sie auf das Haus aufpasst.
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