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Bündnis „Soziales Berlin gegen Rassismus“„Krise der sozialen Infrastruktur“

Steffen Strandt über gemeinsame Interessen von Geflüchteten und Ur-Berlinern. Am Samstag startet eine Demo auf dem Oranienplatz.

Das muss doch nicht sein: Massenunterkünfte in Turnhallen Foto: dpa
Marisa Janson
Interview von Marisa Janson

taz: „Wir lassen uns nicht spalten“, so lautet der Slogan vom Bündnis „Soziales Berlin gegen Rassismus“. Wer lässt sich hier von wem nicht spalten, Herr Strandt?

Steffen Strandt: Wir sind Geflüchtete und bereits länger in Berlin Lebende, die versuchen müssen, über die Runden zu kommen. Wir haben untereinander deutlich mehr gemeinsam als mit den Berliner Eliten. Damit haben wir auch gemeinsame Interessen und machen das Ausspielen von Ankommenden und alteingesessenen Berlinern nicht mit.

Welches Ausspielen?

PolitikerInnen sagen, wir hätten keinen Platz für Geflüchtete und nehmen Turnhallen in Beschlag. Dort werden Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht. Für sie ist es eine Katastrophe, keine Privatsphäre zu haben und keinen Schutz zu genießen. Und für die SportlerInnen ist es bedauerlich, dass ihnen der Platz fehlt. Damit wirkt man auch den wichtigen sozialen Treffpunkten entgegen, wo Menschen verschiedenster Nationalitäten und Weltanschauungen zusammen Sport treiben können. Weder Geflüchtete noch SportlerInnen sind mit diesem Zustand zufrieden.

Im Interview: Steffen Strandt

28, lebt in Berlin-Kreuzberg, ist Mitglied in der Partei die Linke und engagiert sich gegen Bärgida. Er ist Mitinitiator des Bündnisses "Soziales Berlin", eines Zusammenschlusses stadtpolitischer Initiativen.

Was ist die Alternative zu den Massenunterkünften?

Die Beschlagnahmung von spekulativem Leerstand und die Nutzung von leer stehenden Gebäuden, die im Eigentum der Stadt stehen. Davon gibt es genug. Die Initiative 100% Tempelhofer Feld, die auch zu unserem Bündnis gehört, ruft dazu auf, diesen Leerstand zu melden. Außerdem brauchen wir deutliche Investitionen in den sozialen Wohnungsbau, mehr Personal im öffentlichen Dienst, insbesondere in der Sozialarbeit. Denn wir haben keine Flüchtlingskrise sondern eine Krise der sozialen Infrastruktur.

Was bedeutet spekulativer Leerstand?

Das ist das Phänomen, wenn Wohnhäuser entmietet werden: Wenn Menschen ausziehen, wird die Wohnung nicht neu vermietet, damit das gesamte Haus luxussaniert werden kann, um in der Zukunft noch höhere Mieten zu generieren. Bis alle Mieter raus sind, stehen die anderen Wohnungen im Haus oft jahrelang leer. So ist es auch bei Eigentumswohnungen. Es kann sehr lange dauern, bis sie weitervermietet werden, weil Menschen in Berlin oftmals nicht zahlungskräftig genug sind, um die Wohnungen zu mieten. Bürohäuser stehen auch leer, obwohl wir eine Krise auf dem Wohnungsmarkt haben. Sie könnten in Wohnraum umgewandelt werden.

Was hindert Eigentümer von Büroräumen, sie umzubauen und als Wohnraum zu vermieten?

Es ist rentabler auf die hohen Mieten von Luxusmietern zu warten. Das ist das generelle Problem auf dem Wohnungsmarkt: Es wird nicht nach Bedarf vermietet sondern nach Zahlkraft. Die Profitorientierung auf dem Wohnungsmarkt ist ein Problem für viele geworden.

Wie begegnen Sie „besorgten Bürgern“, die fürchten, dass ihnen durch die Unterstützung von Geflüchteten Nachteile entstehen?

Die Misere der Berliner Sozialpolitik resultiert aus dem Kaputtsparen der letzten Jahrzehnten durch alle Landesregierungen. Damit muss Schluss gemacht werden. Logischerweise haben nicht die Geflüchteten Berlin kaputtgespart sondern die Politiker. Die einzigen, die ein Interesse an der Spaltung von Geflüchteten und Alteingesessenen haben, sind eben Spekulanten und Politiker, die die Krise hervorgerufen haben und nicht lösen können. Ein Weg aus der Misere heraus sowohl für Geflüchtete als auch für die BerlinerInnen, die keine Wohnung finden, die monatelang auf einen Termin im Bürgeramt warten müssen und deren Kinder in zu großen Klassen unterrichtet werden, ist, dass alle gemeinsam auf die Straße gehen für ihr Berlin und für ein soziales Berlin für alle kämpfen.

Wie soll das finanziert werden, wenn Berlin so kaputtgespart ist?

Die Unterfinanzierung der Kommunen und Länder ist durch die Schuldenbremse mitverursacht worden. Deutschland hatte letztes Jahr ein deutliches Haushaltsplus gehabt. Das Geld muss wieder in die soziale Infrakstruktur reingesteckt werden. Jeder, der durch Berlin läuft, sieht zudem auf der einen Seite den krassen Reichtum in Villengegenenden wie in Zehlendorf und auf der anderen Seite starke Armut. Es ist nicht zu wenig Geld da. Es ist falsch verteilt. Wir wollen, dass Menschen, die sich ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen müssen, ein gutes Auskommen haben. Menschen, die Millionen in dieser Stadt machen und horten, können dies nicht durch eigene Arbeit erreichen sondern durch die Ausbeutung von fremder Arbeit. Und genau diesen Menschen kann man das auch wieder wegnehmen.

Das Bündnis fordert auch eine klare Kante gegen rechts.

Wir möchten nicht mehr nur den RassistInnen hinterherlaufen bei ihren täglichen Mobilisierungen in Berlin. Das beste Mittel um denen entgegenzutreten, ist ein gemeinsamer Kampf von schon länger hier Lebenden und neu Ankommenden. Wenn wir für unsere gemeinsamen Interessen mobilisieren, machen wir auch AfD-Mitläufern klar, dass eben nicht die Geflüchteten das Problem sind. Wie man am neuesten Skandal um die Panama Papers erkennt: Wenn irgendwelche Flüchtlinge das Problem sind, dann sind es die Steuerflüchtlinge.

Demonstration „Wir lassen uns nicht spalten: Soziales Berlin für Alle! Rassisten stoppen!“: Berlin-Kreuzberg, Oranienplatz, 16.4.16, Beginn 13 Uhr

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