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Bücherstapel und BuchmesseIn der größten Selbsthilfe­gruppe der Welt

Bücher ungelesen zu horten, ist ziemlich irrational. Aber gleichzeitig liegt darin etwas zutiefst Menschliches.

Achtung: erhöhte Stapelgefahr! Foto: Karl-Heinz Hick/joker/imago

D ie japanische Sprache ist gut darin, Probleme auf den Punkt zu bringen. So kennt sie das Wort „Tsundoku“. Tsundoku hat nichts mit Zahlenrätseln zu tun (das sind Sudokus), vielmehr bezeichnet der Begriff das Anhäufen von Büchern. Er setzt sich zusammen aus den japanischen Zeichen für „etwas vorrätig haben“/„stapeln“ und „lesen“.

Das Phänomen Tsundoku kenne ich sehr gut, denn ich gehöre zu den Buch-Hochstaplern. Jede Menge Druckwerke liegen knie- bis oberschenkelhoch in meinem Wohnzimmer und neben dem Bett. In den Großteil der Bücher lese ich nur kurz rein, einige landen irgendwann noch eingeschweißt im Regal (was zu verwunderten Nachfragen von Besuchern führt), geschätzte zehn Prozent davon lese ich wirklich von vorne bis hinten durch. Für Tsundokuisten ist gerade Hochsaison: Es ist Bücherherbst, Buchmessenzeit. Oder auch: erhöhte Stapelgefahr.

Die Schriftstellerin und Journalistin Marlen Hobrack hat gerade ein Buch darüber geschrieben, wie ihre kürzlich verstorbene Mutter Dinge in der Wohnung gehortet hat („Erbgut. Was von meiner Mutter bleibt“), zum Beispiel Putzmittel, Steppdecken, Vitaminpillen. Wir Bücherstapler würden es wahrscheinlich weit von uns weisen, mit dieser Art des Hortens in Verbindung gebracht zu werden. Dabei tun wir mit der geistigen Nahrung zwischen den Buchdeckeln nichts anderes: Wir heben sie auf für eine Zeit, die vielleicht nie kommt.

Wahrscheinlich wird Tsun­doku auch deshalb zum Teil pathologisiert. Einerseits verständlich, denn es scheint sogar rationaler, Putzmittel anzuhäufen – Haushalt ist immer –, als Gedrucktes hochzustapeln, das man allein aus zeitlichen Gründen wohl nie wird lesen können. Andererseits liegt im Buchanhäufertum etwas zutiefst Menschliches.

Man bescheißt sich selbst („irgendwann werde ich Zeit und Muße haben“) und will jederzeit Zugriff haben auf etwas, das den Horizont jenseits des eigenen kleinen Raumes erweitert. Und es passiert ja auch tatsächlich, dass man Bücher nach vielen Jahren des Patinaansetzens vom Herumstehen erlöst und noch einmal zur Hand nimmt. Nur ist das eben der Ausnahmefall.

Zum Glück bin ich dieser Tage, während der Buchmesse, direkt umgeben von der wohl größten Tsundoku-Selbsthilfegruppe der Welt. Mögen wir zusammen lernen, etwas tieferzustapeln.

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Jens Uthoff
Redakteur
ist Redakteur im Ressort wochentaz. Er schreibt vor allem über Musik, Literatur und Gesellschaftsthemen.
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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Wer Dinge hortet, hat vielleicht noch ein direktes oder indirektes Nachkriegstrauma. Damals waren Dinge wertvoller als Papierzettel.

    Wer Bücher (= mehr als nur Dinge) hortet, sollte an andere denken, die das schöne Buch auch noch lesen sollten. Es gibt Bookcrossing, Bücherschränke, direkte Geschenke und Kisten in Bibliotheken.



    Zugegeben, ich bin gut im Mich-Trennen, s.o.; ich nutze Bibliotheken; und noch ungelesene Bücher kommen nur in die Sonderecke. Doch wenn ich tatsächlich das Buch noch einmal lesen köööönnte, bleibt es vorerst im Regal, das somit ähnlich voll bleibt :)

    • @Janix:

      „Wer Dinge hortet, hat vielleicht noch ein direktes oder indirektes Nachkriegstrauma.“



      Ich habe ein indirektes „Nachkriegstrauma“, das mich zum Pazifisten gemacht hat, aber außer Büchern habe ich nix zum Horten. :-)



      Und in diesen alten Klassikern finde ich schon mal Zitate zu aktuellen Angelegenheiten. Da nicht alles beim Projekt Gutenberg digitalisiert ist, blättere ich in vergilbten Paperbacks und finde was zu Sachen… Henrich Böll (als „Loki“); „Briefe aus dem Rheinland an einen Freund jenseits der [innerdeutschen] Grenze“ (1963) – schon damals zum Konsumwahn:



      „Gelegentlich taucht auch unser ,Herrchen‘ auf, […]. Er stellt irgendein Zeug her, dessen einzige erkennbare Funktion darin besteht, die Mülleimer hier noch mehr zu verstopfen.“

    • @Janix:

      “Ist der Opa K. ein Messi?“



      “Nein. Er ist ein Kriegskind & wirft ungern was weg - weil er meint, er könne das vllt noch mal gebrauchen.“



      Ja & das Zucken im Finger wenn ein Nagel auf der Straße liegt - funzt immer noch. But.



      Was das mit meine Bücher Instrumente & ich zu tun hett - s.u. - na urteilens selbst.

  • Ich finde folgende Einstellung von Minimalist:innen interessant: eins rein zwei raus. In Freundeskreis gibt es diese Idee, ein Buch darf rein, wenn zwei "gehen", irgendwie. Schränke im öffentlichen Raum für den Tausch schaffen Abhilfe, auch ein Tauschregal bei der Arbeit kann Abhilfe schaffen. Und wesentlich ist, dass alle anderen den Schatz des Bücherregales kennen: so konnte ich als Kind woanders ausleihen, was man nicht unbedingt besitzen muss, kann, will oder darf.



    Ein Beispiel:



    www.anmut.bar/b%C3%BCchertauschregal



    Und Spenden sind gelegentlich auch sehr willkommen, wie Bildbände der Senior:innen in den Heimen, dort gibt es vielfach beachtliche Schätze.

    • @Martin Rees:

      anschließe mich & jeder Jeck is a weng anders - wa.



      &



      “ Mögen wir zusammen lernen, etwas tieferzustapeln.“



      Nö. Wieso dat dann?!



      “Es zwitschert eine Lerche im Kamin.



      Wenn du sie hörst.“



      & Däh der Jüngste -



      “Haste was von den Russen?“



      “Den Jäger haste doch mitgenommen.“



      “Den mein ich nicht - die anderen.“



      “Laß mal schaun - vllt da in der Ecke?!“



      “Manomann. Sortierter als jede gute Buchhandlung“



      & der Ältere - brauch mal wieder was zu lesen.



      Rucksackvoll “Aber das Fauser-Konvolut - Wiedersehen macht Freude!“ “Nee - den gerade nicht!“;) & ab.



      Na. Und was war das Klasse - schon als Butcher mit den Busch-Folianten von Muttern zu starten Robert Reinick & dann in den Kosmos-Heften von anno Tobak zu schmökern & den übrigen Heeresrestbeständen: Brehm Sperner Meyers Konservenlexikon - aus dem großes Bruderherz rein vorsorglich „Schwarzpulver“ - bayrisches preußisches etc für den täglichen Gebrauch rausriß.



      Hatte der Großvater doch wg Plünderung der Hallischen Universität “die Herren Studenten brauchen doch Bücher“ seine Bibliothek & die des anderen Privatgelehrten seines Schwiegervaters gespendet.



      & too



      “Ja wieviele Instrumente spielt der denn?“



      “Ooch der sammelt die & spielt sie auch!“ •