Buchtipps: Der Gesang des Goldregenpfeifers

Poesie entsteht aus der Differenz. Zwei Romane aus Island von Steinunn Sigurdardóttir und Gudbergur Bergsson

Skulpturen in der Reykjavik Bay Bild: Ana Muniesa/sxc

Ohne Berührung lieben sich die Fische. Das könnte man kalt nennen. Aber Steinunn Sigurdardóttir beschreibt in ihrem neuen Roman "Die Liebe der Fische", dass Hitze und die Leidenschaften manchmal da wüten, wo es besonders kalt ist. Die Erzählerin Samanta ist ein selbstbewusster und selbstbestimmter Single, von Beruf Lektorin. Der Anblick von Hans Örlygsson, der da den Laugavegur, die kleine Hauptstraße Reykjavíks, entlangschlendert, weckt in ihr Erinnerungen an südliche Gefilde, an die Iberische Halbinsel, wo sie in einem Schloss wohnte, in dessen Garten Pfauen herumstolzierten. Dort lernte sie Hans damals kennen, mehr als eine Affäre wurde aber nicht draus. Beide treffen sich aber die kommenden Jahre immer mal wieder, meist kurz. meist zufällig, so wie es im kleinen Reykjavík eben vorkommt. Hans geht Samanta nicht aus dem Kopf.

Steinunn Sigurdardóttir: "Die Liebe der Fische". Aus dem Isländischen von Coletta Bürling. Rowohlt, Reinbek 2006. 96 Seiten, 14,90 Euro

Gudbergur Bergsson: "Vater, Mutter und der Zauber der Kindheit". Aus dem Isländischen von Karl-Ludwig Wetzig. Steidl Verlag, Göttingen 2005. 400 Seiten, 22 Euro

Doch trotz wohlwollendem Anraten ihrer Eltern heiratet sie schließlich nicht ihn, sondern Erlingur, der aber im tiefsten Herzen immer noch an seiner alkoholkranken Exfrau hängt. Seine beiden Kinder aus erster Ehe bringt Erlingur in die neue Beziehung mit, sodass Samanta unversehens zur Mutter wird. Beim Anblick ihrer Eltern, die eine so genannte glückliche Ehe führen, sinniert sie nun darüber, ob es ein und dasselbe ist, ein amüsantes Leben zu inszenieren oder eines zu haben. Samanta traut diesem Glück offensichtlich nicht.

Steinunn Sigurdardóttir beschreibt sanft und einfühlsam die Seelen zweier Liebender, die nicht zueinander finden. Ob das wirklich eine Tragödie ist, lässt sie offen. Schön sind auf jeden Fall das blaue Himmelszelt über Island, der rote Storchenschnabel und der Gesang des Goldregenpfeifers - alles, was immer wiederkehrt und vertraut ist. Schöne Gewissheiten, der Rest scheint so ungewiss wie das Leben.

Für Gudbergur Bergsson hingegen sind Gewissheiten schöne Nebensachen, hübsche Hüllen. Seinen autobiografischen Roman durchziehen die Erinnerungen an seine Kindheit, an Mutter, Vater und Großmutter. Er fragt: Wieso kommen die hübschen, bunten Vögel hierher, in diese karge Region? Und findet keinen Grund. Es scheint ihre Natur. Alles, was schön ist, ist grundlos. Die Poesie entsteht aus der Differenz, dem Gesagten und dem Unausgesprochenen.

Merkwürdige Homonyme tauchen auf, etwa das isländische listamadur: Leistenmann oder Künstler? Das passt gut zum Vater, der sich von einem Seemann in einen Zimmermann verwandelt. Er baut ein Haus im Fischerdorf Grindavík und schenkt den Söhnen Holzleisten, mit denen sie abgetriebene Schiffchen wieder in rettende Buchten dirigieren können. Der Ton macht die Musik.

Gudbergur Bergssons Töne klingen klar, transparent, und ihre zauberhafte Schönheit surrt im Kopf. Das schmeckt dann so wie Frostrosen, die, mit Löffeln von den Scheiben gekratzt, eine leckere Eisblumensuppe ergeben. Oder wie eine braune Soße, hergestellt aus einem Ochsen, der mit modernster Technik in einen Suppenwürfel namens "Kraft" gepresst wird. Während der Werkzeugkasten des Vaters tabu ist, findet sich in der Knopfdose der Mutter ein ganzer Kosmos von unterschiedlichsten Knöpfen, die auf der Kleidung dann doch erstaunlich gut miteinander auskommen. Ein Spiel mit Uniformität und Individualität. Und da ist auch ein alter Zahn der verstorbenen Mutter, Teil ihrer Leiche. Hin und wieder fällt der Blick auf die Insel Eldey, dorthin, wo der letzte Riesenalk, der flugunfähige Pinguinus impenis, 1844 erschlagen wurde. Nicht zuletzt seine Abwesenheit macht den Felsen magisch.

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