Buchmesse: Espresso-Book-Automaten
Der Buchhandel nimmt Kurs: Das Vordringen in die noch unvermessenen Gefilde des elektronischen Publizierens und Lesens ist zunächst ein Zusatzgeschäft für die Branche.
"Die Surabaya, ein schon alter Passagierdampfer von sechstausenddreihundert Registertonnen der Holland-Afrika-Linie, hatte soeben das schmutzige Gewässer der Gironde-Mündung hinter sich gelassen und nahm Kurs auf die Westküste Afrikas."
Sehr schön. Das ist der erste Satz aus J. M. G. Le Clézios Roman "Onitsha". In wenigen Tagen hat der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch vier Titel des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers Le Clézio neu auflegen lassen und kann sie schon auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren.
Und auch bei Hanser in München hat man sich beeilt. Frisch gedruckte Ausgaben von "Der Afrikaner" stehen in den Messeregalen. Bis zur Vergabe des Literaturnobelpreises waren Le Clézios Bücher in Deutschland nur zäh verkäuflich, und bei Bekanntgabe der Preisverleihung war kein einziges seiner Werke im Buchhandel zu haben.
Nun also gibt es eine zweite Chance, den Autor zu entdecken. "Fintan und Bony betraten das Innere des Wracks." Darauf kann man sich freuen.Ebenso darauf, dass in naher Zukunft kein einziges einmal digital erfasstes Werk wieder verschwinden wird und es also nicht allein der Massenmarkt ist, der bestimmt, was überliefert wird und bleibt.
Das E-Book setzt künftig Maßstäbe für Geschwindigkeit. Es wird den Markt zweifellos weiter revolutionieren, darin sind sich alle Beobachter einig. Wer die Nase demnächst vorne haben wird, ist allerdings noch unklar.
Amazon mit dem sogenannten Lesegerät Kindle und Sony (zusammen mit der Buchhandelskette Thalia und dem Grossisten Libri) wetteifern derzeit bei der Markteinführung des neuen Mediums. In Frankreich liegt der Preis für Sony-E-Reader bei etwa 300 Euro. Für Deutschland sind noch keine Preise bekannt.
Die E-Books dürften vor allem im wissenschaftlichen Bereich und in der Schul- und Ausbildungsliteratur rasch reüssieren. Künftige Generationen werden keine schweren Schulranzen mehr schleppen. Das E-Book wird Platz schaffen, auch in den Wohnungen, wo so vieles an angegilbter Literatur sinnlos vor sich hin staubt.
Für saisonale Titel, wie sie gerne auch die Politik auf den Markt schmeißt, scheinen die E-Reader ideal. Programmschriften, wie sie dieses Jahr auf der Messe von Franz Müntefering, Cem Özdemir oder Friedrich Merz in Frankfurt vorgestellt wurden, sind nicht für die Ewigkeit und das Regal geschaffen.
Das E-Book verspricht zunächst ein Zusatzgeschäft, vor dem sich die Buchhandelsbranche kurzfristig kaum fürchten muss, mittelfristig dürfte es aber schon anders aussehen. In den USA bietet Amazon sein elektronisches Buchlesegerät für 360 US-Dollar an.
Gegen eine Monatsgebühr von 10 US-Dollar können die Nutzer unter 145.000 verfügbaren Titeln 200 auswählen, die sie monatlich herunterladen dürfen. Die Lesebildschirme haben Taschenbuchformat, blättern und anstreichen ist möglich. Natürlich wird man sich auch künftig in einer Buchhandlung am besten über aktuelle Angebote informieren können.
Doch für kleinere Buchläden dürfte die Luft mit der unweigerlich voranschreitenden digitalen Entwicklung noch dünner werden. Dem Kunden mag das egal sein, aber ähnlich wie die früheren Setzer wird hier eine ganze Branche verschwinden. Daran wird auch die Ausweitung des Print-on-Demand-Geschäfts noch kaum etwas ändern.
Schon jetzt produzieren größere und auch seriöse Verlage ihre wissenschaftliche Fachliteratur oftmals einzeln und nur nach Kundenbestellung. In Zukunft könnte direkt in jedem Buchladen ein solcher Espresso-Book-Automat stehen, über den sich jedes digital verfügbare Werk sofort einzeln und gebunden ausdrucken ließe.
E-Books, Espresso-Book-Automat - bei Klärung der Rechtelage versprechen sie Autoren und Lesern grenzenlosen Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Literatur. Und niemand wird mehr auf Le Clézio warten müssen: "Vielleicht war auch Resident Rally zugegen, um etwaige Besucher zu empfangen und mit dem Kapitän zu plaudern."
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