Buch zur iranischen Politik: Die Bevölkerung will die Mullahs nicht
Die Deutschen machen weiter Geschäfte mit einer totalitären Theokratie, die die Menschen unterdrückt und deren Israelfeindschaft notorisch ist.
Nur in einem säkularen Staat, nicht in einer Theokratie, wie sie zum Beispiel Ajatollah Khomeini im Iran durchgesetzt hat, oder im Staat Israel, der die Bürger jüdischer Religion privilegiert und Bürger anderer Religionen diskriminiert, ist freie Religionsausübung oder Religionslosigkeit möglich,“ schrieb die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken vor Kurzem im evangelischen Magazin Chrismon.
Der Vergleich der Situation von religiösen Minderheiten im Iran und Israel zeigt jedoch schnell die eklatanten Unterschiede zwischen beiden Ländern. Muslimische, christliche, jüdische, aber auch anders- und nichtgläubige Bürger genießen in Israel dieselben bürgerlichen Rechte. Es gibt, was wenig bekannt ist, auch Muslime, die freiwillig in der israelischen Armee dienen. Die Parteien der arabischen Minderheit sind in der Knesset vertreten. In der Islamischen Republik Iran ist die demokratisch politische Opposition verboten, nationale oder religiöse Minderheiten werden verfolgt und Frauen genießen nur eingeschränkte Bürgerrechte. Vergewaltigung in der Ehe ist zum Beispiel nicht strafbar. Auf Homosexualität steht offiziell die Todesstrafe.
Darüber hinaus ist die islamistische Theokratie Hinrichtungsweltmeisterin. Jährlich werden Hunderte von Menschen von Staats wegen getötet, manche gesteinigt und noch viele mehr werden ausgepeitscht oder durch Amputationen verstümmelt oder sind anderweitigem Terror ausgesetzt. In Israel hingegen sind selbst frühere Präsidenten und Premierminister bei Verfehlungen nicht vor Strafverfolgung sicher.
Die gleichsetzende Reihung des Iran und Israels wäre kaum einer ernsthaften Erörterung wert, wiederholte sich in ihr, wenn auch in abgeschwächter Form und nur auf religiöse Diskriminierung abzielend, nicht ein Muster. Die gern vorgetragene Behauptung, es finde hierzulande eine „Dämonisierung“ des iranischen Regimes statt, finde sich „auffallend häufig gerade bei jenen Politikwissenschaftlern, Politikberatern und Lobbyisten für den deutschen Iran-Handel, die ihrerseits eine Dämonisierung Israels betreiben“, schreibt Stephan Grigat in dem von ihm herausgegebenen Sammelband „Iran – Israel – Deutschland. Antisemitismus, Außenhandel und Atomprogramm“, der im Herbst bei Hentrich & Hentrich erschienen ist.
Die „Friedensdividende“ und der Krieg
Wer verstehen will, warum sich auf den Straßen Irans seit Kurzem wieder Widerstand gegen das Regime regt und warum der amtierende deutsche Außenminister zwar das Demonstrationsrecht der Iraner verteidigt, aber sogleich ergänzt, es sei wichtig, „allseits von gewaltsamen Handlungen Abstand zu nehmen“, als stünden sich bei den Protesten zwei ebenbürtige Parteien gegenüber, sollte die in vielfacher Hinsicht erhellenden Beiträge dieses Bands lesen.
Die nach Abschluss des Atomabkommens im Jahr 2015 freigegebenen Gelder hatte die deutsche Außenpolitik als „Friedensdividende“ betrachtet. Außenminister Steinmeier zitierte damals zustimmend seinen US-amerikanischen Kollegen Kerry, der glaubte, mit dem Deal habe man einen Krieg verhindert.
Tatsächlich aber wurde die „Friedensdividende“ dieses Abkommens – das im Übrigen „weder das iranische Atomprogramm beendet hat noch das Streben der iranischen Machthaber nach der Bombe“, wie Emily B. Landau schreibt – von Teheran nicht genutzt, um die stagnierende Wirtschaft des Landes in Schwung zu bringen. Sie wurde in den Krieg in Syrien investiert. Dem iranischen Regime geht es dabei um einen „schiitischen Korridor“, von Teheran bis Beirut, sowie den syrischen Diktator Assad mit allen Mitteln an der Macht zu halten.
Die wirtschaftliche Situation der iranischen Bevölkerung verschlechterte sich dadurch. Für die Syrer waren die Konsequenzen fatal. „Damit die sogenannte ‚Achse des Widerstands‘ gegen Israel zwischen Teheran, Damaskus und Beirut nicht am Sturz Assads zerbricht, mussten über eine halbe Million Menschen in Syrien sterben, Millionen sind auf der Flucht“, schreibt Andreas Benl. Andere Autorinnen des Bandes formulieren es weniger zugespitzt, kommen aber dennoch zu dem Schluss: Das Mullah-Regime ist einer der Hauptverantwortlichen für die syrische Katastrophe und die Massenflucht nach Europa.
Die Entwicklungen in Syrien
Dass diese Massenflucht in Europa für erheblichen Konflikt gesorgt hat, dürfte ein Nebeneffekt sein, der ihren Verursachern durchaus zupasskommt, wie Thomas von der Osten-Sacken schreibt: „Die EU ist tief gespalten und außenpolitisch paralysiert, und im Nahen Osten spielen heute die USA und Europa kaum noch eine aktive Rolle. Die Hauptmitverursacher der Flüchtlingsströme aus Syrien, Russland und Iran werden zugleich als Partner hofiert, nicht etwa als Gegner behandelt.“
Schlimmer noch: Durch die Entwicklungen in Syrien und die westliche Nahostpolitik habe jeder Despot auf der Welt gelernt, „dass es ratsam ist, sich möglichst mit Russland und/oder dem Iran zu verbünden, und es sich durchaus auszahlt, Proteste mit aller nur erdenklichen Gewalt niederzuschlagen“. Wer hingegen gegen Tyrannen aufstehe, wisse, dass er sich auf den Westen nicht verlassen könne, schloss Osten-Sacken und prophezeite, trotzdem würden die Iraner wohl irgendwann einen nächsten Anlauf zum Sturz der Diktatur der Ajatollahs wagen. Im Oktober 2016, gut ein Jahr vor der jüngsten Protestwelle, die innerhalb weniger Tage das ganze Land erfasst hat, versammelten sich trotz erheblicher Störmanöver des Regimes Tausende von Iranern am Grab des altpersischen Königs Kuros. Dabei wurden Parolen gerufen, die schon 2009 zu hören waren und nun wieder zu hören sind: „Religiöses Regime – nur Tyrannei und Krieg“; „Nein zu Gaza, nein zum Libanon, mein Leben nur für den Iran“.
Trotz der syrischen Katastrophe, trotz der destruktiven Folgen der iranischen Außenpolitik in Irak, Jemen und für den israelisch-palästinensischen Konflikt, trotz der eklatanten Menschenrechtsverletzungen durch die Islamische Republik, trotz ihrer frauenfeindlichen, antimodernen, antisemitischen und islamistischen Ideologie, trotz des bereits vor Jahrzehnten selbst von dessen Befürwortern als gescheitert erklärten „kritischen Dialogs“ mit dem Iran halten quer über die Parteigrenzen hinweg führende deutsche Politiker weiterhin an der Idee fest, das Regime sei ein Garant für Stabilität in der Region.
Reformer stärken?
Die deutsche Außenpolitik beruhe auf einer Reihe von Annahmen, die sich als illusionär erwiesen hätten, schreibt Ulrike Becker. Eine dieser Annahmen besteht darin, das Regime sei in „Hardliner“ und „gemäßigte Reformer“ gespalten, folglich gelte es, Letztere zu stärken. Dabei unterscheiden sich diese beiden Lager lediglich in ihren Strategien. Auch die „Reformer“ stellen weder die Herrschaftspraxis noch die Ideologie der Islamischen Republik infrage, in deren Zentrum „der Export der Revolution bzw. die Ausbreitung der Herrschaft des Islam über die Grenzen des Iran hinaus und der Antisemitismus stehen mit der Staatsdoktrin, Israel zerstören zu wollen“, wie Becker schreibt.
Die Feindschaft gegen Israel sei das wichtigste Thema, bei dem es eine fast vollständige Übereinstimmung zwischen den wesentlichen politischen Flügeln des iranischen Establishments gebe, ergänzt Raz Zimmt. Das „Nein zu Gaza“ der Iraner auf den Straßen aber richtet sich ausdrücklich gegen diesen Antisemitismus, der zum ideologischen Kernbestand des islamistischen Regimes gehört.
Unter dem als „Reformer“ geltenden Präsidenten Rohani werden derzeit jährlich mehr Menschen hingerichtet als unter dem „Hardliner“ Ahmadinedschad. Das ist wenig verwunderlich, sofern Fathiyeh Naghibzadeh mit ihrer Analyse recht hat: Die sogenannten Pragmatiker wüssten sehr genau, „dass ihr politisches Überleben ohne die terroristischen Prinzipien der Islamischen Republik und die despotische Herrschaft des religiösen Führers unmöglich ist“.
Die Vorstellung vom „Wandel durch Handel“
Die deutsche Außenpolitik verharrt jedoch in der Vorstellung, man könne wie seinerzeit im Ostblock „Wandel durch Handel“ herbeiführen. Es waren nach Abschluss des Atomabkommens nur wenige Tage vergangen, da landete Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel als erster westlicher Spitzenpolitiker in Teheran, begleitet von einer hundertköpfigen Delegation aus der Wirtschaft. Die Illusionen der deutschen Außenpolitik und die Exporthoffnungen der deutschen Wirtschaft könnten den bemerkenswerten Vorgang erklären, der sich erst vor einigen Tagen abspielte.
Ajatollah Mahmud Haschemi Schahrudi gilt als möglicher Nachfolger von Ajatollah Chamenei. Von 1999 bis 2009 war er Vorsitzender des Obersten Gerichtshofes des Iran. In dieser Zeit war er für zahlreiche Hinrichtungen verantwortlich, mehr als 2.000 Urteile, auch gegen Kinder, die von der iranischen Justiz in diesen zehn Jahren vollstreckt wurden. Schahrudi hat sich anscheinend schon seit dem 21. Dezember in einer Klinik in Hannover medizinisch behandeln lassen.
Letzte Woche erreichten die Proteste gegen seinen Aufenthalt die Hauptnachrichten. Beim Generalbundesanwalt waren zudem Anzeigen gegen den Repräsentanten des iranischen Regimes eingegangen, wegen Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Am Donnerstag verließ Schahrudi plötzlich und unbehelligt das Land. Von Deutschland hat das Teheraner Regime offensichtlich nichts zu befürchten.
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