Buch von Bernhard Hanneken: Folk gegen die Obrigkeit

In den 1960er Jahren setzte in Ost wie West ein Folkrevival ein. Bernhard Hanneken untersucht in seinem Buch „Deutschfolk“ die Hintergründe.

Die Ost-Band Folkländer bei einem Auftritt im Klub Impuls in Prenzlauer Berg, 1977

Die Ost-Band Folkländer bei einem Auftritt im Klub Impuls in Prenzlauer Berg, 1977 Foto: Archiv Thomas Neumann/aus dem bespr. Band

Es gab einmal den Wunsch nach einer besseren Volksmusik – die jugendlich war, rebellisch und international anschlussfähig. „Deutschfolk“ nannte sich das Phänomen, das in den 1970er-Jahren beiderseits der innerdeutschen Mauer auftauchte. Der Journalist und Festival-Macher Bernhard Hanneken hat es nun in einem dicken Buch beschrieben.

Das Folkrevival kam aus den USA. In den 1960er Jahren war ein Folksong vor allem ein Protestsong mit akustischer Gitarre. Bob Dylan und Joan Baez waren die Stars. In Europa entdeckten dann auch Eng­län­de­r:in­nen und Ir:innen, wie traditionelle Musik revitalisiert werden kann.

Die Suche nach dem deutschen Folksong begann 1964 im Hunsrück bei den Festivals auf der Burg Waldeck. Hier starteten Liedermacher wie Franz Josef Degenhardt und Reinhard Mey ihre Karrieren. Auch spätere Deutschfolk-Helden wie Hannes Wader und Walter Mossmann waren schon dabei. Die Lieder waren poetisch oder politisch, auf jeden Fall selbst geschrieben.

Zehn Jahre später tourten erste irische Bands in ganz Europa. Sie veränderten mit ihren Rebelsongs und ihren virtuosen Jigs und Reels das Leben vieler Musiker:innen, die jetzt auch Folk spielen wollten und nach einem eigenen Zugang suchten. Die bürgerlichen deutschen Volkslieder, die in Schulbüchern und Gesangsvereinen gepflegt wurden, sollten es nicht sein. Interessant waren aber die Lieder der gescheiterten 1848er-Revolution, etwa das „Bürgerlied“ oder „Die freie Republik“, ebenso die Sammlung des Ostberliner Forschers Wolfgang Steinitz („Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“).

Die wichtigsten Bands waren damals Fiedel Michel, Elster Silberflug, Liederjan und Zupfgeigenhansel. Letztere verkauften einige 100.000 LPs. Bemerkenswert für Autor Hanneken, dass alle Bands angloamerikanische Spieltechniken übernahmen, etwa das Fingerpicking an der Gitarre.

Singebewegung

Das sei nicht die übliche Evolution von Volksmusik gewesen, sondern eine frühe Fusion mit anderen Stilen. Wichtiger als die Musik waren oft aber die Texte. Hanneken sieht den Deutschfolk West als Teil der aufkommenden Umwelt- und Alternativbewegung.

In Ostdeutschland hatte die Staatspartei SED 1965 die aufkommende Beatmusik verboten. Stattdessen wurde eine Singebewegung mit Tausenden Singeklubs unter dem Dach des Jugendverbands FDJ verordnet.

Aus dieser Singebewegung entwickelte sich Mitte der 1970er-Jahre die ostdeutsche Folkszene. Auch hier hatten irische Bands, die in der DDR touren durften, die Initialzündung gegeben. Gruppen wie Folkländer, Brummtopf, Wacholder und Landluper entstanden. Jährlich trafen sie sich in Leipzig zur gemeinsamen Folkwerkstatt.

Als 1976 der Sänger Wolf Biermann ausgebürgert wurde, wussten die DDR-Liedermacher nicht mehr, wo die Grenzen zum Verbotenen lagen. Diese Lücke füllten die Folkies mit ihren historischen Liedern, insbesondere aus der Steinitz-Sammlung.

Missbrauch der Volksmusik

Weil das Volkslied in der DDR als „Kunst der unterdrückten Massen“ galt und als gerechte Anklage gegen Fürsten und Pfaffen, konnte man sich nun bequem darauf berufen, so der damalige Folkländer-Sänger Jürgen B. Wolff. Das Publikum verstand schon, welche Obrigkeit tatsächlich gemeint war. Dabei war die DDR-Folkszene zwar irgendwie oppositionell, sie wollte den Sozialismus aber nicht abschaffen, sondern verbessern. Teilweise wurde die Szene sogar staatlich gefördert.

Doch Anfang/Mitte der 1980er-Jahre hatte sich der deutsch-deutsche Folkboom totgelaufen. Viele Musiker und auch größere Teile des Publikums hatten genug. „Ein Soldatenlied ist ein Soldatenlied, und selbst wenn es 50 gibt, reicht es, wenn man drei kennt. Dann ist das Thema durch“, argumentierte Jürgen B. Wolff.

„Deutschfolk“ ist nicht das erste Buch über das deutsche Folkrevival. Aber es ist wohl das erste, das die Entwicklung in West- und Ostdeutschland gleich intensiv darstellt. Hanneken war in den 1980er-Jahren Chefredakteur des westdeutschen Szenemagazins Folk-Michel und ist seit 1990 Programmdirektor des Rudolstadt-Festivals in Thüringen.

Er hat es gemeinsam mit Leipziger Musikern zum führenden deutschen Weltmusikfestival aufgebaut. Hanneken umkreist das Sujet Deutschfolk sehr gründlich, von der Erfindung des „Volkslieds“ durch Johann Gottfried Herder Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Missbrauch der Volksmusik durch den volkstümlichen Schlager heutzutage.

Bernhard Hanneken: „Deutschfolk – Das Volksliedrevival in der BRDDR“, Rudolstadt 2021, 520 S., 39 Euro, zu beziehen über noethno.de

Ausgerechnet das Repertoire der 1848er-Revolution wird nun auch von Rechtsradikalen wie dem NPD-Liedermacher Frank Rennicke feindlich übernommen. Das oft nationale Pathos dieser Lieder lässt sich eben auch gut völkisch aufladen. Noch interessanter seien für Rechtsextremisten aber Lieder, die die Bauernkriege im 16. Jahrhundert thematisieren, hat Hanneken festgestellt.

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