Buch über jüdische Komponisten im Exil: Von nun an nur noch Filmmusik
Flucht und erzwungene Selbstreflexion: Michael Haas blickt in seinem Buch „Die Musik der Fremde“ auf Schicksale jüdischer Komponisten im Exil.

Was macht das Exil mit Künstlern? Manche Existenzen wandeln sich radikal, wie der Musikhistoriker Michael Haas in seinem Buch „Die Musik der Fremde“ schildert. Er folgt den Spuren von Komponisten, die vor dem Nationalsozialismus flohen. Darunter sind prominente Namen wie Kurt Weill oder Erich Wolfgang Korngold. Haas geht es aber ausdrücklich auch um heute vergessene Musiker und deren kaum bekannte Lebenswege im Exil.
Karol Rathaus etwa war im Deutschland der Zwischenkriegszeit ein namhafter Komponist. Er floh 1933 zunächst nach Paris und weiter nach London, wo er Erfolg mit Filmmusik hatte. Um seine Familie zu retten, nahm er eine Stelle in New York an einem College auf Long Island an. Fortan beschränkte er sich auf die Lehre und verschwieg vor seinen Studenten sogar seine Vergangenheit. Er suchte auch keinen Kontakt zu Kollegen von früher, die in Manhattan als Dirigenten auftraten.
Haas versucht mit seinem Buch, „die inneren Konflikte zu erforschen, die sich aus dem Verlust von Heimat ergeben“. So begannen viele der Musiker sich erst im Exil mit ihrer jüdischen Identität genauer zu beschäftigen und diese mitunter in ihre Kompositionen einzubeziehen.
Aus dieser erzwungenen Selbstreflexion zogen die Komponisten Arnold Schönberg und Erich Zeisl zum Beispiel ganz verschiedene Konsequenzen. Während Schönberg sich zum Zionismus bekannte, beschloss Zeisl, dass er als Jude „auch wie ein Jude komponieren sollte“.
Michael Haas: „Die Musik der Fremde. Komponisten im Exil“. Aus dem Englischen von Susanne Held. Reclam Verlag, Ditzingen 2025, 448 Seiten, 34 Euro
Antisemitismus in Europa vor der NS-Zeit
Diese Schicksale stellt Haas in einen größeren Zusammenhang, beginnend mit dem Antisemitismus in Europa vor der NS-Zeit. Ebenso zeichnet er nach, wie sich die Lage für Juden in Deutschland von 1933 an verschlimmerte. Eine ambivalente Rolle spielte der Jüdische Kulturbund, der sich bemühte, jüdischen Künstlern eine Beschäftigung zu ermöglichen, nachdem sie offiziell nicht mehr arbeiten durften, doch zugleich versuchte er, die emigrierten Künstler zurückzuholen, ihrer Fähigkeiten wegen.
Haas lässt nicht unerwähnt, dass die Flucht vor dem NS-Regime auch eine soziale Frage war, da sie oft Personen mit Vermögen und internationalen Kontakten vorbehalten war. Die Bedingungen, unter denen andere Länder Flüchtlinge aufnahmen, waren ebenfalls schwierig.
In Großbritannien war der Antisemitismus so stark, dass man verschwieg, dass die meisten Flüchtlinge, die kamen, Juden waren. Und während die Musiker in den Ländern, aus denen man sie vertrieb, ein Vakuum hinterließen, zahlten sie im Exil für den „abrupten Kreativitätsbruch“ meist einen Preis.
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