Buch über Kryptojünger: Was ist schon eine Million gegen zehn?
Juan S. Guse hat Männer begleitet, die durch Kryptowährungen extrem reich geworden sind. Er fragt sich: Was macht das mit ihnen – und kann ich das auch?

Es gibt eine Szene in Juan S. Guses Buch „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“, da steht eine Salatschüssel voller AirPods Pro auf einer Kommode in einer Berliner WG. Es ist eines der kleinen, aber wesentlichen Details, die zeigen, was hier die feinen Unterschiede ausmacht (Pierre Bourdieu bemüht Soziologe Guse in seinem Text später passend dazu auch noch).
Denn die Realität der Protagonisten seines Buches, die Allerweltsnamen wie Arne, Basti oder Malte tragen, könnte einerseits nicht weiter entfernt sein von, sagen wir mal, der einer Kassiererin bei Ikea oder eines Ingenieurs bei VW.
Die Salatschüssel mit den teuren In-Ear-Kopfhörern, die hier achtlos übereinanderliegen wie Bonbons, steht sinnbildlich für einen unermesslichen Reichtum, erwirtschaftet durch den Kauf und Verkauf von Kryptowährungen.
Die Männer, die Guse für sein Buch trifft, sind in kürzester Zeit Multimillionäre geworden, aber fahren einen alten Saab, gärtnern auf dem Friedhof, zelten auf dem Campingplatz. Vor allem sind sie eins: Nerds mit einem esoterischen Urvertrauen in eine neue Zeit, in der Tokens und die Blockchain-Technologie die Zentralbanken nichtig werden lassen.
Juan S. Guse: „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2025, 192 Seiten, 23 Euro
Unterwegs in Subsytemen
Was ist „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“ also für ein Buch? Guse arbeitete sich in seinen literarischen Texten schon immer an irgendwie verschobenen Realitäten von Preppern („Lärm und Wälder“) oder Gamern („Miami Punk“) ab und fühlt sich dementsprechend wohl in Subsystemen, deren Codes man genau studieren muss, um sie zu durchdringen. Sein neues Werk ist aber kein Roman, genau genommen nur am Rande ein literarischer Text, sondern eine Art Mash-up aus teilnehmender Beobachtung, Reportage und Essay.
Guse hat sich dafür auf Discord-Servern, in Subreddits und auf Twitter herumgetrieben, um sogenannte Sleeper ausfindig zu machen. Sleeper, das sind, bezogen auf Kryptowährungen, Menschen, die zwar zu Multimillionären geworden sind, denen man das aber nicht ansieht. Das vermeintliche hässliche Aschenputtel oder der libertäre Wolf im Schafspelz – wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.
Am Anfang, das wird in Guses Text klar, steht immer eine Entfremdung von den Arbeitsverhältnissen in unserer Gesellschaft, gepaart mit einer Mischung aus Spieltrieb und Risikobereitschaft. Es stellt sich die Frage: Ist Wohlstand in unserer Gesellschaft durch Lohnarbeit überhaupt noch zu erreichen? Arne, Basti und Malte würden darauf mit Nein antworten.
Guse schreibt vom Begriff des „Lohnsklaven“, den Noam Chomsky im Kontext der Industrialisierung für Fabrikarbeiter verwendete, der mittlerweile aber eher von rechten Maskulinisten wie Andrew Tate genutzt wird, um andere abzuwerten. Die Konsequenz: junge Männer, die erfolgreich werden wollen um jeden Preis. Krypto bietet da einerseits einen guten Ansatz, andererseits gibt es unzählige windige Scam-Maschen, und vor allem braucht man eins: Startkapital. Es bleibt für viele ein unerfülltes Versprechen.
Erlösung von der „Lohnsklaverei“
Nicht so für Arne, Basti und Malte. Für sie hieß die Erlösung von der „Lohnsklaverei“ wahlweise Ohm, Quant oder Chainlink. Krypto, das hat viel mit Glauben zu tun, und im Fall von Guses Protagonisten hat dieser Glaube zu einem Klassenaufstieg geführt. Auch davon handelt dieses Buch. Basti, der Sozialarbeiter, der nebenbei Gras anbaute, immer paranoider wurde und seinen Gewinn schließlich in Krypto investierte. Arne, der DB-Streckenplaner, der für sein Investment einen Kredit aufnahm. Malte, der früher Zelte verkaufte.
Während sie mit Guse klettern, zelten oder in der WG mit der AirPods-Salatschüssel chillen, zeigt sich ein Bild von Nerds, die sich aus einer Mischung aus Hinweisen von anonymen Twitter-Accounts und der Untersuchung dubioser Reddit-Threads ein vermeintliches Geheimwissen erarbeitet haben.
Sie alle bezeichnen die Kryptowährungen der jeweils anderen als Betrug – und ihre eigene als die einzig richtige. Immer dann, wenn Guse weiterbohrt, offenbart sich: Eigentlich weiß niemand so richtig, was er da tut und mit was er es zu tun hat. Das Geheimwissen ist nur so lange etwas wert, bis die Kurse einbrechen. Guse, der schließlich ebenfalls in Ohm investiert, verliert 2.000 Euro.
Ambivalente Sehnsüchte
Das Schöne an diesem Buch ist, wie ruhig und wertfrei Guse hier über die ambivalente Sehnsucht nach Wohlstand, Selbstständigkeit und den Krypto-Rausch schreibt. Er folgt den Männern auf leisen Fersen, will sie nicht entlarven, sondern verstehen – und versteht am Ende noch weniger als zuvor.
Dazu passen die Guse-typischen, surreal anmutenden Alltagsszenen, die man in ähnlicher Intensität etwa bei Joshua Groß findet: Der seltsame Nebel in den Gassen Barcelonas, wo er eine Krypto-Konferenz besucht. Ein Mann, der wie eingefroren auf einen Red-Bull-Kühlschrank starrt. Kaum bekleidete Männer mit Helmen im Wald? Letzteres ist eine intertextuelle Referenz auf den kommenden Roman Guses, aus dem er bereits beim Bachmannpreis 2022 vorlas. „Man wusste nun, wie sie aussahen (hellhäutig, eher klein), wie sie sich kleideten (kaum, Helm)“, heißt es an einer Stelle über Lebensformen, die in einem Graben im Taunus entdeckt wurden.
Guse verwebt in seinem Text also die Realitäten der Kryptojünger mit seiner eigenen Romanwelt, und das passt ja. Denn was Guses Buch eindrucksvoll zeigt, ist doch: Eigentlich wissen wir gar nichts. Krypto-Geheimwissen kann eine genauso gut erzählte Fiktion sein wie ein Roman. Der einzige Unterschied ist, dass man durch einen Roman niemals zum Multimillionär wird.
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