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Buch über JudentumEine Wunde, die nicht heilt

Der deutsch-israelische Soziologe Natan Sznaider untersucht die Spannung zwischen religiöser und säkularer Identität im Judentum und im Staat Israel.

Der von Hamas-Mördern zerstörte Zaun zwischen Gaza und Israel: Natan Sznaider hat das Buch kurz nach dem 7. Oktober fertiggestellt Foto: Evelyn Hockstein/reuters

Auf dem Cover einer Sonderausgabe von Spiegel Geschichte“ waren vor einigen Jahren zwei ältere Herren zu sehen. In ein Gespräch vertieft, sitzen die beiden vor einem Hauseingang. Sie tragen schwarze, abgewetzte Kleidung, Hüte und lange Bärte.

Aufgenommen wurde das Foto 1929 im Berliner Scheunenviertel, wo sich um die Jahrhundertwende viele osteuropäische Juden auf der Flucht aus Litauen, Polen und der Ukraine niedergelassen hatten. Thema des Spiegel-Heftes waren „jüdische Lebenswelten in Deutschland“ – eine, so der Untertitel, „unbekannte Welt von Nebenan“.

Natan Sznaider hat das umstrittene Spiegel-Cover als visuellen Ausgangspunkt für sein neues Buch gewählt. Mit „Die jüdische Wunde“ führt der Soziologe thematisch und konzeptuell sein Buch „Fluchtpunkte der Erinnerung“ (2022) weiter. Ging es darin um die Frage, wie sich Holocaust und Kolonialismus analysieren lassen, ohne die verschiedenen partikularen Gewalt­erfahrungen zu relativieren, legt Sznaider seinen Fokus nun auf partikulare jüdische Lebenswelten im Ringen um Anpassung an die Mehrheitsgesellschaften und dem Streben nach Autonomie.

Natan Sznaider: „Die jüdische Wunde. Leben zwischen Anpassung und Autonomie“. Hanser Verlag, München 2024, 272 Seiten, 26 Euro

Sznaider schreibt aus einer jüdisch-israelischen Perspektive, die den Zionismus als nationale Befreiungsbewegung begreift, die jüdische Lebenswelten nicht nur radikal transformiert hat, sondern diese unter dem Vorzeichen der politischen Souveränität fortsetzt. Mit seinem Buch richtet sich der Soziologe dezidiert an ein nichtjüdisches Publikum. Ihm geht es darum, die Komplexität jüdischer Partikularitäten aufzuzeigen, gerade auch um die Leerstellen in den hiesigen Debatten sichtbarer zu machen.

Emanzipation und Assimilation

„Die jüdische Wunde“ beginnt mit den öffentlichen Debatten zur jüdischen Emanzipation und Assimilation im Deutschland ab Ende des 18. Jahrhunderts. Analysiert werden unter anderem Gotthold Ephraim Lessings Drama „Nathan der Weise“ (1779) oder Hannah Arendts Auseinandersetzung mit dem Leben der Schriftsellerin und Salonnière Rahel Varnhagen (1771–1833).

Schon damals ging es laut Sznaider um den komplexen Widerstreit zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit; zwischen jüdischer agency und der Diskriminierung durch Andere; sowie um den Widerstreit zwischen partikularen Erfahrungen als Gruppe und den Versprechungen und Verlockungen des Universalismus.

Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

In seinem neuen Buch richtet sich Sznaider noch deutlicher gegen die Ignoranz und das laute Schweigen auch in progressiven, vermeintlich weltoffenen Milieus. „Fluchtpunkte der Erinnerung“ war kurz vor dem Documenta-15-Skandal erschienen und wurde zu einem viel beachteten Debattenbeitrag. Über einen wissenssoziologischen Blickwinkel versuchte Sznaider darin, sich in die Perspektive der anderen hineinzuversetzen und über diesen Weg auch die trennenden Unterschiede der Gewaltgeschichten hervorzuheben.

Begonnen zum Auftakt der Bür­ger:in­nen-Proteste gegen die antiliberale Justizreform und fertiggestellt kurz nach dem 7. Oktober, wurde „Die jüdische Wunde“ in einer gänzlich anderen Zeit verfasst. An vielen Stellen thematisiert – und reflektiert – der Essay die existenzielle Verunsicherung, die der Terrorangriff der Hamas bei Juden und Israelis ausgelöst hat; Sznaider insistiert, dass eine ambiguitätstolerante Erzählung der jüdischen Wunde sich der traumatischen und tragischen Vergangenheiten mitsamt ihrer Unversöhnlichkeit stets bewusst sein muss.

Zu dieser Unversöhnlichkeit könnte man auch Sznaiders Polemik gegen antiisraelische Agitprop-Exponate und kuratorisches Scheitern auf der Documenta 15 zählen. Insgesamt fällt auf, wie sehr seinem Essay eine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive fehlt. Es wird deutlich, dass „Die jüdische Wunde“ in einer neuen, aufwühlenden Zeit enstanden ist, in der bestehende Hoffnungen und Gewissheiten schmerzvoll in Frage gestellt wurden.

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