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Buch über Geschichte der BlasphemieIn des Herren Wunden scheißen

Gerd Schwerhoffs „Verfluchte Götter: Geschichte der Blasphemie“ erzählt die Karriere eines Delikts als Identitätsmaschine. Und enttäuscht.

Gotteslästerung par excellence: Jesusfigur, gekreuzigt auf einem US-Kampfjet Foto: Kim Schwarz/dpa

Wenn Verbrechen Comebacks feiern könnten, dann wäre die Blasphemie ungefähr in der Liga von Guns N’ Roses und Spice Girls: künstlerisch vielleicht nicht wertvoll, aber mit ordentlich Hype. Die Gotteslästerung, lange als mittelalterliches Spurenelement im modernen Rechtsstaat erachtet, ist mit den dänischen Mohammed-Karikaturen und dem Anschlag auf das französische Magazin Charlie Hebdo zurück in den Schlagzeilen.

Und wirft zentrale Fragen postmoderner Identitätsdiskurse auf: Wer darf eigentlich wie wen lästern, wer besitzt das Privileg zum Beleidigtsein, wer jenes zum Beleidigen? Dabei schlägt Gerd Schwerhoff, Historiker mit Schwerpunkt Frühe Neuzeit, in „Verfluchte Götter“, seiner aktuellen historischen Gesamtdarstellung der Blasphemie, eigentlich vor, die Gotteslästerung nicht von Extremen aus zu betrachten, sondern in ihrer Alltäglichkeit.

Es ließe sich die blasphemische Rede, die erst in jüngster Zeit so eng an die Meinungsfreiheit gekoppelt ist, an einen Diskurs, der sie als aufklärerische Notwendigkeit begreift, von den kleinen Flüchen her besser verstehen als nur in Betrachtung der großen Fälle: Der Künstler George Grosz, der 1928 die Konservativen der Weimarer Republik mit einem Christus mit Gasmaske provozierte (Freispruch), die Affäre um den jungen Adligen La Barre, der 1766 in der französischen Provinz verdächtigt wurde, einem Kruzifix Schnittwunden zugefügt zu haben (Hinrichtung).

Und so ziehen über weite Strecken der Studie kleine ungesühnte oder milde bestrafte „Zungensünden“ von Bauern, Wirtinnen und Handwerksgesellen über die Seiten. Ein Ausdruck der Durchdringung des Alltags mit Religion, die Gott so nahe rücken ließ, dass seine Beschimpfung ähnlich selbstverständlich war wie jene des Gewinners beim Kartenspiel.

Furztrockene Schreibe

Die Schreibe ist dabei oft so furztrocken, dass es wie ein absichtlicher Effekt wirkt, wenn Schwerhoff theoretischen Ausführungen zu „Fäkalinjurien“ und „skatologischen Aus­drücken zur Entehrung Gottes“ eine Parade göttlich böser Flüche folgen lässt: „Ich schiss unserm Herrn in die Wunden“ (St. Gallen 1513), „Ich widersage Gott und unserer Frau, der verfickten Hure, mit ihrem Hahnrei, dem Arschloch“ (Toledo 1526) oder „Komm Teufel, dass dich Gottes fünf Kreuze im Himmel schänden“ (Basel 1520).

Eine umfassende Geschichte der Gotteslästerung von Moses bis ‚Charlie Hebdo‘ will das Buch sein. Zwischen der Bibel und dem Satireblatt liegen 3.000 Jahre

Gott selbst tritt dabei bisweilen als Proll auf, dessen Stimme den Tod eines Lästerers kommentiert: Er lasse sich ja noch beleidigen, aber „meine liebe Mutter beschimpfen, das konnte ich nicht mehr hinnehmen“. Die Verbindung von Blasphemie mit einer Poetik der Männlichkeit macht Schwerhoff für das ausgehende Mittelalter und die frühe Neuzeit überzeugend deutlich.

Eine „umfassende Geschichte der Gotteslästerung von Moses bis ‚Charlie Hebdo‘“ will das Buch sein. Zwischen der Bibel und dem Satireblatt liegen freilich 3.000 Jahre, zwischen dem Sinai und Paris aber auch nur unwesentlich mehr Kilometer. Die Geschichte der Blasphemie reduziert sich hier auf eine der Blasphemie im „alten“ Europa.

Iranische Fatwa

Das mag angesichts der Schwerpunkte des Dresdner Professors nicht verwundern, in Zeiten der Globalgeschichtsschreibung aber schon. Vor allem, weil er im letzten Viertel des Buchs den Blick weitet, auf Pakistan, Indonesien oder Nigeria. Hier werden die Diskurse nach dem Bruch analysiert, den die iranische Fatwa gegen den indischen Schriftsteller Salman Rush­die 1989 darstellt: Comeback eines Delikts auf der Weltbühne.

Das Buch

Gerd Schwerhoff: „Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie“. S. Fischer, Frankfurt/Main 2021, 528 S., 29 Euro.

Denn: Auch wenn Schwerhoff eine neue westliche Lust an der Sakralisierung säkularer Symbole ausmacht, „die Flagge“, „das Volk“ – der Blasphemie-Diskurs ist heute nicht ohne die politischen Ak­teu­r*in­nen der islamischen Sphäre in Europa und weltweit denkbar.

Schwerhoff stellt redlich objektiv und umfassend beide Seiten der westlichen Debatte – Blasphemie als „aufklärerische Tugend“ versus „rassistische Hatespeech“, postkoloniale Theorie gegen bedingungslose Säkularisierung – an den genannten Beispielen dar, während er für die globale Gegenwart Blasphemie-Anklagen klar als politische Unterdrückungsinstrumente benennt.

Doch: Wie sich in islamischer Tradition das Verständnis davon durch die Jahrhunderte verändert hat, ob die harten Gesetzgebungen islamisch geprägter Länder theologischen Tendenzen des Islam selbst folgen, streift das Buch nur am Rande.

Fake-Messias

Was allein schon deswegen schade ist, weil der kurze Exkurs zu Judentum und Islam, den der Autor zwischen Antike und Mittelalter setzt, die etablierten Narrative durcheinanderbringt: Dort begegnen den Le­se­r*in­nen Juden, die sich im frühmittelalterlichen deutschen Reich genüsslich über den Fake-Messias Jesus Christus lustig machen, und Christ*innen, die sich im maurischen Spanien als Schmalspur-Märtyrer*innen auf die Überholspur in den Himmel setzen.

Er habe sich von einem Richter einladen lassen, in der islamischen Lehre unterwiesen zu werden, heißt es etwa vom heiligen Isaak von Cordoba. „Als der Rechtsgelehrte mit seinen Erklärungen begann, unterbrach ihn Isaak aber sofort wieder und begann, den Propheten Mohammed als Lügner zu beschimpfen, der vom Teufel verführt sei und seine Anhänger ins ewige Verderben führe.“ Er wird dafür im Jahr 851 hingerichtet und verehrt, sein Handeln: Zeugnis einer christlichen Identitätskrise im Assimilationsprozess, deutet Schwerhoff.

„Schmähung und Gegenschmähung, Empörung und das Gefühl der Verletzung, Anklage und Gegenaktion – all das stellt jene Grenzziehung zwischen dem ‚Wir‘ und dem ‚Sie‘ her“, schreibt er. Der Gott, der es dabei abkriegen mag, von Allah bis Star-Sprangled Banner, ist nunmehr bloß Kollateralschaden dieser Identitätsspiele. Möge er, „bei Gottes blutendem Schwanz“ (1385), damit seinen Frieden finden.

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