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Buch über Frankfurts ClubgeschichteSich wegballern aus der reality

Der Journalist Leonhard Hieronymi nähert sich in „Trance“ der Frühgeschichte der Frankfurter Clubkultur. Die spielt noch vor dem Berlin-Techno-Hype.

Der deutsche DJ, Labelbetreiber und Musiker Sven Väth 1992 Foto: imago stock&people

„Ekstase, Schweiß, Abfahrt, Feelings, laute Musik, Bass, stundenlanges Tanzen bis zur vollkommenen Erschöpfung.“ So beschreibt Mark Spoon vom Trance-Duo Jam & Spoon in der TV-Sendung „Disco-Kult in Frankfurt“ (1994) das, was sich Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger auf den Tanzflächen der Clubs in der Mainmetropole abspielt. Techno und Trance sind noch einigermaßen junge Phänomene, der Hotspot in Deutschland ist Frankfurt am Main. Nicht etwa Berlin, wohin sich später alles verlagert.

Diese Ära zu beschreiben, ist das Anliegen von „Trance“, dem neuen Buch des Hamburger Autors Leonhard Hieronymi. Fernsehdokumentationen sind dabei – neben Büchern über Techno – die wichtigste Quelle für ihn, so hat der bei Youtube mehr als 3,6 Millionen Mal geklickte HR-Beitrag „Im Techno Rausch – 60 Stunden Dauerparty“ eine fast initiale Bedeutung für das Buch.

In dem Film geht es um Jana und Jochen, die ein Wochenende Drogen nehmen, durchtanzen und durchfeiern. Warum machen die das? Hieronymi interessiert sich mehr für das Lebensgefühl jener Subkultur und der Neunziger insgesamt als für die musikhistorische Einordnung.

Das Thema ist faszinierend: Während die Berliner Technoszene wohl bereits in allen denkbaren Schattierungen und Ausformungen porträtiert und ausgeleuchtet wurde, gibt es zum Sound of Frankfurt angesichts der Bedeutung des Standorts vergleichsweise wenig Literatur (dafür aber jetzt ein Museum). Auch der Ansatz von „Trance“ ist überraschend: Der Autor (oder dessen Alter Ego) lebt zur Hochzeit von Trance und Techno als Teenager im Speckgürtel Frankfurts, streift die Szene, ahnt und riecht geradezu, dass sich in der Nähe eine clubkulturelle Revolution ereignet – aber er ist nicht selbst dabei.

„Wir saßen in Steinbach, in Kronberg, in Oberursel, in Königstein und in Bad Homburg und verpassten dort alles.“ Für obskure Phänomene hat der Autor Hieronymi eine Vorliebe, zuletzt hat er ein Buch über Pinocchio-Eis in Deutschland veröffentlicht, 2017 das Manifest „Ultraromantik“.

Das angenehm Unprofessionelle

„Trance“ besteht nun zum einen aus dem autobiografischen Strang, zum anderen aus sehr vielen transkribierten O-Tönen von unter anderem Sven Väth, Mark Spoon, Gerd Schüler (Betreiber des Clubs Dorian Gray), „Technoclub“-Initiator Talla 2XLC und Rainald Goetz, um nur einige zu nennen.

Der Autor will bewusst keine retro­spek­tiven Interviews mit den Beteiligten führen, die aufgezeichneten Live-Reportagen sind für ihn das interessanteste Material. Das etwas essayistische Hin-und-her-Wabern ist das Besondere an diesem Buch. Das angenehm Unprofessionelle, wenn man so will.

Jede:r, der oder die sich für Club- und Popkultur interessiert, wird hier auf spannendes Material stoßen. Großartig etwa, wenn junge Club­gän­ge­r:in­nen in gebotener Ausführlichkeit ihre Wochenenden beschreiben: „(…) dann ham wir uns halt ins Auto gesetzt, haben die Anlage angemacht, dann sind wir zum Imbiss gefahren, haben uns noch ’n Eis geholt. Wir haben im Auto dann nochmal ne Line Speed gezogen und da ging’s dann richtig zur Sache. War ne richtig tolle Party. Sabine war dann nicht so gut drauf, um die mussten wir uns ein bisschen kümmern. Die berühmte Pille zu viel.“

Und so weiter und so fort. Oder wenn Hieronymi zwischendurch mit feinem Humor und in zwei Sätzen die Zäsur zwischen den Neunzigern und Nullerjahren beschreibt: „Wir hatten von unserer Freundin Senna erfahren, dass sich Marilyn Manson zwei Rippen hatte entfernen lassen, um sich besser selbst oral befriedigen zu können; und leider war das genau ein Tag nach dem 11. September.“

Techno: keine Gegenkultur

Auch die Thesen und Gedanken, die aufgeworfen werden, sind sehr spannend. Zum Beispiel wenn Jürgen Laarmann, zeitweilig Loveparade-Veranstalter, sagt, Techno sei nicht wirklich eine Gegenkultur gewesen.

Oder wenn der Autor konstatiert, dass sich für Teenager ohnehin alles nur um Liebe, Drogen und Erlebnisse drehe und Weltgeschichtliches für sie irrelevant sei: „[I]rgendwelche Geschichten wie der Fall der Mauer oder Tschernobyl oder 9/11 oder die Loveparade in Duisburg zählen nichts im Auge des Jugendlichen, gar nichts.“

Das Buch

Leonhard Hieronymi: „Trance. Amok, Drogen und der Sound of Frankfurt“. Korbinian Verlag, Berlin 2022, 216 Seiten, 25 Euro

An anderer Stelle schreibt ­Hieronymi, dass es beim Techno-Mythos nicht darum gehe, ob die erzählten Geschichten nun wahr seien oder nicht. Oder es wird angedeutet, dass es auch schon im Krautrock eine Trance-Schiene gab (Klaus Schulze). Alles wirklich sehr interessant. Doch meistens werden diese Thesen eben nicht weiterverfolgt, sie bleiben – inklusive ihrer Widersprüche – im Raum stehen. Dies sind die größten Leerstellen des Buchs. Auch warum Trance und Goa als Massenphänomene so kurzlebig waren, wird nicht weiter thematisiert.

Autobiografischer Strang nicht auserzählt

Zudem fehlt es „Trance“ an Struktur, und es fasert stellenweise zu sehr aus. Warum zwischendurch die (bereits sehr gut dokumentierten) Szenen Detroits, Manchesters und Berlins noch beleuchtet werden, ist unklar. Vor allem aber wird die autobiografische Geschichte nicht auserzählt.

Der Freundeskreis des Autors verzichtet erst auf Drogen und Party, lebt asketisch und straight edge, ist wohl später aber doch offen für Drogen jeglicher Art – so genau versteht man das alles nicht, man weiß auch gar nicht, woraus diese Clique genau besteht und was aus ihr wird.

Den Moment einzufangen, den Techno und Trance in dieser Zeit hatten, gelingt Hieronymi hingegen sehr gut: den Größenwahn, die permanente Gegenwart, die Gleichgültigkeit, den Rausch, den Raubbau am eigenen Körper, das Wegballern aus der „krassen reality“, wie es an einer Stelle heißt. Das entschädigt dafür, dass mit diesem Buch auch Potenzial verschenkt wurde.

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