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Buch „Pleasure“ von Jovana ReisingerDie Renaissancewoman

Kolumnistin, Künstlerin, Selbstdarstellerin – Jovana Reisinger kann vieles. Jetzt hat sie ein Manifest für den Glamour und die Lust vorgelegt.

Jovana Reisinger: „Ohne meine Outfits wäre ich nicht die scharfe Denkerin, die ich bin“ Foto: Thomas Dashuber/laif

Die Schriftstellerin Jovana Reisinger befindet sich eigentlich gerade im Urlaub. In einem Resort auf Sizilien: Hotelzimmer mit Meerblick, nur ein paar Stufen bis zum Strand. Vor zwei Jahren schon hat sie drei Wochen dafür im Kalender markiert. Da war noch nicht klar, was genau dieses Jahr passieren würde.

Sie hat es dann durchgezogen, trotz laufender Projekte, aber „es funktioniert natürlich überhaupt nicht“, erklärt sie. Sie arbeite die ganze Zeit, nur immerhin am Strand. Die Idee, zwei oder drei Wochen am Stück Ferien zu machen, passe vorerst nicht mehr in ihr Leben, sagt sie. Besonders genussvoll klingt das nicht. Dabei ist der Genuss doch ihr Thema.

Jovana Reisinger hat momentan einen Lauf. In den vergangenen Monaten hat sie unter anderem die Theaterfassung ihres essayistischen Romans „Enjoy Schatz“ an der Berliner Schaubühne erarbeitet, in der sie selbst erstmals als Schauspielerin auf der Bühne stand und dessen Aufführungen wenige Minuten nach Veröffentlichung des Spielplans ausverkauft waren.

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Sie hat einen Langfilm abgedreht, ihren Abschlussfilm der HFF München, der sich aktuell im Rohschnitt befindet. Und sie hat ein Buch geschrieben, das „Pleasure“ heißt und bei Park x Ullstein erscheint.

Ciao Bella

„Pleasure“ ist nicht ihr Debüt. Ihren ersten Roman „Still halten“ veröffentlichte Reisinger 2017, 2021 folgte ihr zweiter, „Spitzenreiterinnen“. 2022 dann „Enjoy Schatz“. Seit 2020 schreibt sie eine Menstruationskolumne namens „Bleeding Love“ und andere Texte für die deutsche Vogue.

Im September vor zwei Jahren erschien dort etwa ihr vielbeachteter Essay „Die subversive Kraft der Tussi, oder: In Barbiecore gegen das Patriarchat“. Seit 2023 hat Reisinger eine Single-Kolumne in der FAZ. Und Künstlerin ist sie auch. Die nächste Gruppenausstellung, an der sie beteiligt ist, eröffnet am 31. Oktober in Wien. Jovana Reisinger ist eine Art Renaissancewoman des 21. Jahrhunderts.

Jovana Reisinger: „Pleasure: Schlafen, Essen, Mode“. Park Ullstein Verlag, Berlin 2024, 320 Seiten, 22 Euro

Normalerweise wird davon abgeraten, der Beschreibung des Äußeren einer Künstlerin in einem Porträt zu viel Platz einzuräumen. Im Fall von Reisinger verhält sich das jedoch anders. Bei einer Frau, die in ihrem neuen Buch Sätze schreibt wie „Ohne meine Outfits wäre ich nicht die scharfe Denkerin, die ich bin“, ist dies sogar eher obligatorisch.

Was also trägt die Schriftstellerin zum Interview? Ein Rosa wie aus der Bonbontüte. „Ciao Bella“ steht auf ihrem T-Shirt geschrieben. Wer Reisinger auf Instagram folgt – und das tun derzeit knapp 9.700 Menschen –, weiß, dass sie es sich kürzlich irgendwo in Rom gekauft hat. Ein billiges, lustiges Stück Stoff. So was findet sich in ihrer Garderobe genauso wie Designerfummel, alt oder neu, echt oder gefälscht. Strass, Spitze, Satin, alles, was glitzert und funkelt. Knappe Kleidchen kombiniert mit hohen Hacken, knallig lackierten langen Nägel, winzigen Handtaschen.

Mode als Sprache

„Aufsehenerregende Fashion“, nennt sie es, bezeichnet Mode als ihre Sprache: „Sie zu beherrschen, ermöglicht ein neues Vokabular, eine enorme Bandbreite des Dechiffrierens. Mode vermittelt, verdeutlicht, verheimlicht und verschleiert.“

Um jenes Spiel mit den Codes und Stereotypen, um Distinktion und Selbstdarstellungsmethoden geht es ihr im Leben und in „Pleasure“. Um das pure Vergnügen, mit der Mode bestenfalls immer zu tun hat. Und auch ums Essen – Reisingers zweite große Leidenschaft.

Entlang von Kleidung, Essen und Schlaf dekliniert Reisinger im Buch das gute Leben durch, der Schlaf ist dabei „das eigentliche Überthema“. Diese drei Dinge empfindet sie „als die hilfreichsten und dankbarsten Kategorien, dem Klassismus auf die Spur zu kommen, der subkutan unsere egalitäre Gesellschaft bestimmt“. Reisingers Anspruch ist nämlich durchaus ein politischer, „Pleasure“ ist für sie „eine Haltung, die von unten kommt und die oben entweder als anmaßend, vulgär oder unkritisch wahrgenommen wird“ und daher „eine ästhetisch-weltanschauliche Revolution“.

Hardwork and dedication. So laufe es einfach nicht, nicht alle, die sich anstrengten und eine Leidenschaft hätten, erreichten ihre Ziele

Für sie selbst, für das Buch gab es dabei einen direkten Auslöser. Vorn im Buch beschreibt sie ihn. Schauplatz ist der rote Teppich bei einem Filmfest. Reisinger hört eben dort einen abwertenden Kommentar über sich, über ihr „slutty“ Outfit, über „die Prostituierte auf dem roten Teppich“. Nicht getroffen, sondern herausgefordert fühlt sie sich da: „In diesem Moment wusste ich, ich will unbedingt etwas über Kleidung schreiben, über Performance und Selbstdarstellung, in Bezug auf Klassen, die Klasse, aus der man kommt, und die, zu der man möchte“, sagt sie.

Ein einziges Büfett

Jovana Reisinger ist 1989 in München geboren. Aufgewachsen ist sie in einem Dorf in Österreich, wo ihre Eltern das Wirtshaus der Großeltern übernahmen, daher stammt zweifellos die Obsession für Essen. „Für mich war dieses Wirtshaus ein einziges Büfett, ist ja klar.“ Der Erfolg blieb jedoch aus, die Eltern gingen pleite und zogen zurück nach Deutschland, in eine bayerische Kleinstadt, wo die Familie in einem „schäbigen und verlebten Sozialbau“ hauste. Ihre Geschichte sei eine des Klassenwechsels, erklärt Reisinger.

Es ging hoch und runter, auch bei ihr selbst war der Weg kein geradliniger. Hoffnungslos sei sie oft gewesen, als Kind, als Teenager, auch als junge Erwachsene. „Ich dachte immer, ich werde diese Lücke niemals aufholen können und es niemals schaffen, von meiner Kunst leben zu können.“

Ihr Buch ist ein Manifest, so nennt sie es selbst, „ein Manifest für den Glamour, eine Lanze für das Rumliegen, die Völlerei, den Kitsch“, ein Manifest, das sich an alle richte. An diejenigen, die das, was sie umtreibt, als oberflächlich abtun.

Es sei aber auch ein Text für Leute, die so aufgewachsen seien wie sie, auch wenn sie sich dabei ein bisschen schwertue, aus Sorge davor, man könne darin eine Aufsteigerinnengeschichte lesen, der man nacheifern sollte, à la man brauche nur „Hardwork and dedication“. So laufe es einfach nicht, nicht alle, die sich anstrengten und eine Leidenschaft hätten, erreichten ihre Ziele.

Plädoyer für Hingabe und Völlerei

Um neoliberale Leistungsgedanken geht es ihr nicht, im Gegenteil, ihr Plädoyer für Hingabe und Völlerei richtet sich quasi an jeden Geldbeutel – und kommt genau passend, weist doch der Zeitgeist, gerade was Nahrungsaufnahme betrifft, momentan in die entgegengesetzte Richtung. Ozempic ist das Produkt der Stunde, die Abnehmspritze, die es schafft, sämtliche Gelüste einzudampfen. „Pleasure“ lässt sich als radikales Gegenprogramm dazu verstehen.

Üppig fällt es auch selbst aus, doch die 317 Seiten lesen sich schnell weg. Reisinger verfällt oft in einen Plauderton, beschreibt seitenlang die Auslage im Berliner Delikatessgeschäft Rogacki oder das Interieur von Hotels. Immer wieder landet sie dann aber unverwandt da, wo es wehtut. Bei sexueller oder anderer Gewalt, die Frauen leider ja oftmals dort ereilt, wo sie sich eigentlich sicher fühlen: im eigenen Zuhause, im eigenen Bett. Reisinger beschönigt nichts, geht überall in die Vollen, selbst da.

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