Browser Ballett über Satire: „Nicht nach unten treten“
Christina Schlag und Schlecky Silberstein wollen Perspektiven von Minderheiten einbeziehen. Ein Gespräch über Sensibilität, Humor und Lisa Eckhart.
taz: Frau Schlag, Herr Silberstein, steht es aktuell schlecht um den deutschen Humor?
Schlecky Silberstein: Ich glaube, man muss über jeden Humor fröhlich sein, den man hat. Ich weiß gar nicht, wo wir im internationalen Maßstab stehen. Aber ich fühle mich noch nicht übersättigt von dem Humorangebot in Deutschland.
Christina Schlag: Der deutsche Humor ist jetzt nicht als der beste bekannt. Ich würde zumindest behaupten, dass es ihn noch gibt.
Silberstein: Das Interessante ist ja, dass wir Deutschen uns selbst keinen Humor attestieren. Humor und deutsch, wenn man das so zusammendenkt, da wird man meistens still. Ich glaube, dass wir durch unsere Geschichte ein bisschen unlockerer mit Humor umgehen. Das Humorverständnis in Deutschland ist eigentlich sehr gut ausgeprägt. Ich habe aber oft das Gefühl, dass man denkt: Ich, in mir drinnen, in meinen Synapsen, finde es lustig. Aber ich bin mir jetzt nicht sicher, ob ich lachen soll oder nicht.
In den letzten Wochen und Monaten wurde vermehrt darüber debattiert, was Satire alles darf. Ist das überhaupt die richtige Frage?
Schlag: Erst mal ist Lachen ein Impuls. Und Impulse zu hinterfragen, ist zwar schwierig, aber gut. Die Frage ist ja immer: Wie bringe ich das rüber, was ich sagen will. Ich kann beispielsweise gezielt provozieren und damit bei anderen Leuten etwas auslösen, was eine Debatte anstößt. Oder ich kann versuchen, das anders zu verpacken. Darin liegt der feine Unterschied, was eine gute Satire ausmacht, oder was Satire sollte und was nicht.
In der aktuellen Debatte stehen vor allem Bühnenaussagen von Dieter Nuhr und Lisa Eckhart im Zentrum. Ihre Verteidiger:innen argumentieren, Nuhrs und Eckharts Satire sei von der Kunstfreiheit gedeckt. Steckt darin nicht ein Bezugsfehler? Schließlich verbietet niemand, dass die beiden ihre Aussagen in die Welt lassen.
Schlag: Ich glaube, es geht in der Debatte viel darum, was solche Satire auslöst. Ich bin mir nicht sicher, ob die Mittel, die manchmal gewählt werden, die besten sind. Wir beim „Browser Ballet“ versuchen uns daran zu halten, nicht „nach unten“ zu treten, die Perspektiven von Betroffenen oder Minderheiten einzubeziehen, anstatt einfach nur Klischees zu reproduzieren.
Christina Schlag, ist Psychologin und stand als Poetryslammerin und Saxophonistin auf der Bühne. Sie ist ist Co-Host und Autorin beim „Browser Ballett“.
Schlecky Silberstein, ist Buchautor und Social-Media-Kritiker. Er ist Host des „Browser Balletts“.
In den aktuell diskutierten Satiresendungen wird gelacht über Menschen mit Behinderung, über #MeToo, über Schüler:innen, die sich für den Umweltschutz engagieren. Rassistische und antisemitische Klischees sind auch nicht weit. War deutsche Satire schon immer so und es fällt uns erst jetzt auf? Oder hat sich da etwas verschoben?
Silberstein: Ich glaube, es hat sich total viel dadurch verändert, dass wir ja in den letzten 20 Jahren eine ganz gewaltige Umwälzung der Öffentlichkeit mitbekommen haben. Der Diskursraum ist ja gigantisch im Vergleich zum Jahr 2000 zum Beispiel. Es ist unglaublich dynamisch geworden. Ich glaube, da gibt es gerade bei allen – auch bei uns – Orientierungsprobleme. Und da passieren wahrscheinlich sehr, sehr oft Fehler. Wichtig ist, dass man sich im Eifer des Gefechts oder der Emotionen an die Grundregeln hält – und die Gegnerschaft noch mal prüft. Also: Ist das ein Gegner, der sich wehren kann? Ist es ein Gegner, der damit rechnen kann, weil er in der Öffentlichkeit steht, viel Geld oder viel Einfluss hat? Wenn man sich an diese Leitplanken hält, kommt man durch dieses Chaos einigermaßen gut durch.
Diese Grundregeln scheinen jedenfalls im Kabarett in letzter Zeit missachtet worden zu sein.
Schlag: Ich bin mir ehrlich gesagt nicht so sicher. Ich glaube, dass die Wahrnehmung eine andere ist. Manche Sachen wurden auch vorher schon gesagt. Aber jetzt sind wir sensibilisiert dafür und reagieren anders. Ich finde, das ist eine Chance. Kabarettist*innen oder Satiriker*innen, die älter sind, einer anderen Generation angehören, haben auch noch ein anderes Weltbild. Das kann für uns eine Möglichkeit sein. Wenn das Bewusstsein aber nicht da ist, „passieren“ solche Dinge.
Lisa Eckhart ist 28. Da funktioniert das Generationenargument nicht ganz.
Schlag: Man muss auch sehen, dass es viele andere gibt in der Comedybranche, die einen anderen Ansatz haben als sie. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, in einer Demokratie, und es gibt unterschiedliche Ansätze und Meinungen. Das finde ich auch legitim. Eckhart ist eine Person von sehr vielen, die einen anderen Ansatz für sich gewählt hat. Ob man das gut findet oder nicht, ist Privatsache.
Wofür Eckhart ja aber besonders kritisiert wird, ist ein Gag, der sich auf antisemitische Klischees stützt und sexuelle Belästigung verharmlost. So etwas unter Kunstfreiheit zu verbuchen – liegt da nicht schon der Fehler?
Schlag: Ich verstehe den Einwand. Ich glaube aber, was Eckhart macht, ist eine Form, etwas rüberzubringen, für die man sich oder gegen die man sich entscheiden kann. Man kann Sachen reproduzieren oder eben auf anderem Wege aufzeigen. Ich würde deshalb nicht sagen, so etwas sollte zensiert werden.
Silberstein: Ich tue mich grundsätzlich schwer, über Leute zu reden, mit denen ich nicht mal ein Bier getrunken habe. Das ist ja sowieso ein Phänomen unserer Zeit: Ich entdecke selbst bei mir, wie ich relativ vorschnell über Leute urteile, nur auf Basis dessen, was ich zum Beispiel auf Social Media von ihnen sehe. Und das ist ja auch nicht ganz fair. Man kann aber die Frage vielleicht ganz gut damit beantworten, dass jeder verantwortlich ist für das, was er tut und was er sagt.
In der englischsprachigen Comedy gelingt es ganz gut, nicht gegen Dritte zu wettern. Da geht es mehr um die eigenen Verstrickungen und die Widersprüche der Welt. In Deutschland wirkt es eher, als würden die Bühnen zur Wutbürgerhölle verkommen.
Silberstein: Der englische Humor lebt sehr vom Understatement. Keine andere Kultur wie die angloamerikanische hat es geschafft zu etablieren, dass es hilfreich sein kann, über sich selbst zu lachen. Es gibt gerade sehr viele, die versuchen, die Art und Weise, worüber wir lachen, zu formen. Und das ist ein spannender Prozess. Ich würde gar nicht so sehr gucken, was in letzter Zeit verkniffen oder nicht so optimal war im deutschen Humor, sondern eher gucken, was da noch wachsen kann.
Was ist Ihre Herangehensweise in diesem Prozess?
Schlag: Wir sind ein diverses Team und versuchen, aus möglichst vielen Blickwinkeln Sachen zu betrachten. Natürlich ist das manchmal schwierig. Aber wenn es gelingt, sind wir froh, etwas „geschaffen“ zu haben, das auf mehreren Ebenen funktioniert, und in dem sich Leute aller Couleur wiederfinden. Das ist unser Anspruch. Es geht nicht darum, gezielt gegen eine Gruppe anzugehen, sondern eher gesamtgesellschaftliche Phänomene runterzubrechen und zu parodieren.
Das „Browser Ballet“ gibt es bereits seit vier Jahren erfolgreich als Format im Internet. Nun hat es den Sprung ins Fernsehen geschafft. Was dürfen Zuschauer:innen erwarten?
Silberstein: Wir nennen es die Verfilmung einer Show oder eine Parodie auf Shows. Es wird natürlich Filme in der Machart geben, wie man sie schon von uns kennt. Weil wir jetzt aber 30 Minuten Zeit haben, haben wir mehr Gelegenheit zur Kontextualisierung.
Sehen Sie es als ein Upgrade, vom Internet ins Fernsehen zu kommen?
Silberstein: Das Internet ist das, wo wir herkommen. Das ist ein Teil unseres Universums. Und jetzt haben wir eben noch eine weitere Plattform. Wenn wir es richtig gut machen, gibt es auch eine Wechselwirkung zwischen den beiden Kanälen. Es bedeutet natürlich auch, dass online alles genauso bleibt, wie es ist. Das Fernsehen ist eine Ergänzung, die das ganze Universum „Browser Ballet“ komplett macht. Vielleicht gibt es uns dann auch irgendwann auf Vinyl.
„Browser Ballett“, ab 3. Dezember, 23.35 Uhr im Ersten
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