Britischer Ex-Geheimdienstchef: Auf Distanz zu Tony Blair
John Scarlett bestreitet, dass Infos seiner Behörde die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak belegt hätten. Er räumt ein, im Bericht von 2002 ungenau formuliert zu haben.
DUBLIN taz | John Scarlett, der im November als Geheimdienstchef pensioniert wurde, hat sich vorgestern bei der Untersuchung über die britische Rolle im Irakkrieg von Tony Blair distanziert. Der damalige Premier habe im Vorwort des Irak-Dossiers vom September 2002 die falsche Behauptung aufgestellt, dass geheimdienstliche Informationen zweifelsfrei die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak belegten, sagte Scarlett.
Er war der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, der das Dossier zusammengestellt hatte. Blair nutzte das Dossier als wichtigstes Argument für den Angriff auf den Irak auch ohne Mandat der Vereinten Nationen. "Ich habe das Vorwort nicht als Bestandteil des Berichts gesehen", sagt Scarlett. "Es war eine offenkundige politische Behauptung des Premierministers. Es stand mir nicht zu, daran etwas zu ändern."
Jedoch hatte Scarlett in seinem Bericht geschrieben, der Irak könne binnen 45 Minuten nach einem Befehl des damaligen Präsidenten Saddam Hussein chemische oder biologische Waffen abfeuern. "Das bezog sich nicht auf Raketen", sagte er nun. Es wäre besser gewesen, wenn er deutlich gemacht hätte, dass er Gefechtsmunition meinte.
Der Tory-Abgeordnete Adam Holloway behauptete am Dienstag, die Information über die 45-Minuten-Frist stammten von einem Taxifahrer, der ein Gespräch zwischen zwei hochrangigen irakischen Offizieren in seinem Taxi aufgeschnappt hatte. Obwohl der Geheimdienst diese Information als falsch einstufte, nahm die Regierung sie für bare Münze. Der Vorsitzende der Irak-Untersuchung, John Chilcot, sagte, Holloways Behauptung sei "nicht Gegenstand der Sitzung".
Chilcott, ein pensionierter Regierungsbeamter, gehörte der Untersuchungskommission über die irakischen Massenvernichtungswaffen an, die der Regierung 2004 einen Persilschein ausstellte. Blair sei nicht verantwortlich für die Informationspannen der Geheimdienste, hieß es in dem Bericht. Allerdings habe das Irak-Dossier die Geheimdienstinformationen "bis an die äußerste Grenze" interpretiert. Blair muss 2010 ebenfalls vor dem Ausschuss aussagen.
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